Ehrlich statt perfekt

„Menschen sehnen sich nach dem echten Leben“

Gesund
29.01.2025 06:00

„Es geht mir gut“, sagen wir uns. „Wirklich gut“, erzählen wir anderen. Die Wahrheit sieht oft ganz anders aus. Die österreichische Bestsellerautorin und Podcasterin Andrea Weidlich über ihr neues Buch und warum wir uns oft selbst belügen.

„GesLeb“: In Ihrem Buch „Es geht mir gut und andere Lügen“ erzählen Sie von alltäglichen Schummeleien und von Selbstbetrug. Aber macht es uns den Umgang mit anderen nicht auch einfacher, wenn wir uns nicht ständig erklären müssen?

Andrea Weidlich: Oberflächlich betrachtet, ja. Denn kennen wir das nicht alle? Jemand fragt uns, wie es uns geht und wir antworten dann automatisch: „Gut!“ Wir haben stets die Antwort auf die Frage der anderen parat, und die lautet: „Es geht mir gut.“ Natürlich geht es mir gut. Es darf mir nicht schlecht gehen. Aber die Wahrheit sieht manchmal eben ganz anders aus, weil das Leben nicht perfekt ist und auch wir es nicht sind und auch nicht sein müssen. Es kann uns nicht immer gut gehen. Aber würden wir das uns und anderen eingestehen, wäre die logische Konsequenz, dass wir etwas ändern müssten. Und davor haben viele Menschen Angst. Das ist absolut menschlich und verständlich, aber es hindert uns auch oft an unserem Glück.

Ist unser Leben nach außen mehr Schein als Sein?
Das kann schon vorkommen. Und auch das ist okay, solange es uns bewusst ist. Das ist nur leider meistens nicht der Fall. Wir halten all das, was uns andere Menschen auf Social Media präsentieren, für die Wahrheit. Aber die ist eben nicht immer so glänzend, wie sie nach außen scheint. Sie ist ein kleiner Auszug der Realität. Dann fangen wir vielleicht an, uns zu vergleichen und fühlen uns schlecht. Manche verspüren den Druck, dann vielleicht auch etwas Schönes zeigen zu müssen. Der Drang ist manchmal sogar stärker, wenn wir nichts Schönes in uns fühlen. Wir vergessen dann aber, dass wir alle nur Menschen mit kleinen und manchmal auch größeren Sorgen sind und nicht immer so strahlen, wie wir das nach außen zeigen.

Ihre Neuerscheinung ist ein faszinierendes Abenteuer über die Macht des Unbewussten. Was dürfen wir den Lesern verraten? Wie würden Sie den tiefgründigen Plot beschreiben? 
Das Unbewusste ist für viele ein großes Rätsel. Und dennoch übt es eine enorme Kraft auf uns aus, die uns zu Entscheidungen treibt, die außerhalb unseres Verständnisses liegen und die wir uns oft nicht erklären können. Alles, was wir nicht fühlen wollen und daher verdrängen, ist dort verborgen. Im Buch begeben sich acht Menschen auf eine Reise ans Meer, um herauszufinden, was sie noch zurückhält, damit sie aus ihrem Schatten treten können. Sie alle tragen ein Geheimnis in sich, das langsam an die Oberfläche tritt. Eine zentrale Frage im Buch lautet auch: „Was will ich?“ Diese Frage erscheint den meisten zu groß, daher gilt es vorher noch einige andere Fragen zu klären und herauszufinden, welche Angst sie bisher abgehalten hat, das Hamsterrad zu verlassen und in ein Meer voller Möglichkeiten zu tauchen.

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Ich bin ein sehr ehrlicher Mensch und halte es für wichtig, im richtigen Moment etwas zu sagen, wenn die Wahrheit der Mehrheit hilft. Aber ich halte es auch für eine Tugend zu schweigen, wenn es die Gefühle eines anderen Menschen verletzt.

(Bild: © guschbaby.com)

Podcasterin und Autorin Andrea Weidlich

Was ist die Quintessenz der Erlebnisse dieser acht Menschen auf ihrer Reise ans Mittelmeer?
Diese Menschen beschäftigen unterschiedliche Dinge, die ihnen bisher gar nicht bewusst waren. Wenn sich Dinge immer wieder für uns wiederholen, die wir gar nicht wollen, denken wir manchmal, es wäre Schicksal. Dabei sind sie vielfach die Konsequenz vieler unbewusster Entscheidungen, die wir zuvor in der Vergangenheit getroffen haben. Sie uns bewusst zu machen und wieder die Verantwortung zu übernehmen, ist der erste Schritt für Veränderung. Erst, wenn wir herausfinden, warum wir handeln, wie wir handeln, können wir auch etwas verändern. Wenn wir aber Negatives immer wegdrücken, holt es uns am Ende auf die eine oder andere Art wieder ein. Manchmal müssen wir erst verlernen, was wir bisher für wahr und richtig gehalten haben, um aus unserem Schatten zu treten. Das Ziel sollte sein, den selbst programmierten Autopiloten abzustellen, und wieder das Steuer zu übernehmen.

Sie leben in Wien und sind mit Ihren Büchern auch in Deutschland auf der Bestsellerliste gelandet. Könnte es an Ihrer Ehrlichkeit liegen? Und daran, dass wir schon genug haben von dieser perfekten Welt, in der kaum mehr Echtes Platz hat?
Ich glaube, die Menschen sehnen sich wieder nach echten Inhalten, sozusagen einer Darstellung des echten Lebens. Ich versuche in meinen Büchern einerseits mit Leichtigkeit und Humor über das echte Leben zu erzählen, andererseits aber auch gleichzeitig mit Themen in die Tiefe zu gehen, die so viele von uns beschäftigen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Bücher so viele Leser berühren und etwas in ihnen bewegen. Genau dafür schreibe ich.

Gute Miene zum bösen Spiel. Wenn alles zu viel wird, es zeigen und sagen oder weiter so tun, als ob man alles stemmen kann? (Bild: stock.adobe.com/Krakenimages.com)
Gute Miene zum bösen Spiel. Wenn alles zu viel wird, es zeigen und sagen oder weiter so tun, als ob man alles stemmen kann?

Haben Sie schon einmal das Experiment gestartet, jeden Tag ganz bei sich zu sein? Auf jede Frage ehrlich zu antworten und das zu tun, was Sie wirklich wollen?
Ich bin vor ein paar Jahren an den Punkt gekommen, an dem ich alles auf den Kopf gestellt habe, um mich dem zu widmen, was ich wirklich will. Ich wusste, dass ich hauptberuflich schreiben möchte. Das war bereits einige Zeit, bevor mein erstes Buch veröffentlicht wurde. Ich bin entgegen allen Meinungen und gesellschaftlicher Normen meinem Herzenswunsch gefolgt. Auch wenn es zu dem Zeitpunkt tatsächlich nach außen hin absurd gewirkt hat. Seither mache ich genau das, was ich will. Ich bin auch ein sehr ehrlicher Mensch und halte es für wichtig, im richtigen Moment etwas zu sagen, wenn die Wahrheit der Mehrheit hilft. Aber ich halte es auch für eine Tugend zu schweigen, wenn es die Gefühle eines anderen Menschen verletzt und es diesen Menschen auch nicht weiterbringen würde. Jeden Tag ganz bei sich zu sein, halte ich für unmöglich. Wir haben alle auch schlechte Tage, manchmal auch schlechte Phasen. Es passieren nicht immer nur gute Dinge im Leben. Wichtig ist, dass wir immer wieder zu uns zurückfinden.

Andrea Weidlich macht in ihrem neuen Buch Mut zur Authentizität. (Bild: mvg verlag)
Andrea Weidlich macht in ihrem neuen Buch Mut zur Authentizität.

Warum denken Sie, steigen wir tagtäglich in dieses Hamsterrad? Weshalb braucht es so viel Mut, sich selbst treu zu sein?
Weil uns die Gitterstäbe unseres Hamsterrades auch Sicherheit geben. Sie sind uns vertraut und unsere gewohnte Umgebung halten wir für unumgänglich und daher auch richtig. Wir sagen uns, dass wir doch zufrieden damit sein sollten, auch wenn wir vielleicht tief drinnen etwas ganz anderes fühlen. Die Vorstellung, etwas zu verändern, ist für viele beängstigend. Es ist einfacher, im alten Leben zu bleiben – dabei ist die Angst vor Veränderung meist größer als alles, was die Veränderung letztlich mit sich bringt. Was wir dann tun sollten, ist, uns die Angst, die dahintersteckt, einmal genauer anzusehen.

„Der Kampf endet dann, wenn du aufhörst, andere von deinem Wert überzeugen zu wollen“, schreiben Sie. Warum ist es uns überhaupt so wichtig, wie wir nach außen wirken?
Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich zugehörig zu fühlen – sowohl in Gruppen als auch in Paarbeziehungen. Das Bedürfnis nach Bindung und dem Gefühl, angenommen zu sein, lässt uns aber manchmal auch eigene Grenzen übertreten. Die Gefahr ist dann, es immer allen Menschen recht machen zu wollen und schlussendlich vielleicht ein Leben zu führen, das allen anderen gefällt, aber uns selbst nicht mehr.

2019 ist Ihr erstes Buch erschienen. Alle Ihrer Bücher haben eines gemein: Sie beschäftigen sich mit der Frage, wie Menschen ihr volles Potenzial entfalten können. Ist Ihnen das bereits gelungen?
Die Frage, was Menschen antreibt und sie glücklich oder eben manchmal auch unglücklich macht, hat mich immer schon beschäftigt. Was uns erfüllt und wie wir Dinge für uns verändern können, ist eine Frage, die mich schon lange begleitet. Jedes meiner Bücher beschäftigt sich mit einem anderen Thema, aber es geht immer um Menschen und was sie umtreibt. Das Leben ist ein Weg. Und wie ich bereits in einem meiner Bücher geschrieben habe: Am Ziel werden wir diesen Weg vermissen. Daher sollten wir das Beste aus ihm machen.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Mein nächstes Buch. Ich habe so viele Ideen für Bücher im Kopf, dass ich sie wahrscheinlich gar nicht alle umsetzen kann. Mein Kopf spielt mir jeden Tag neue Bilder und Ideen zu. Es ist so, als würde ich meine Lieblingsserie einschalten und sehen, wie es weitergeht. Ich liebe es, lange zu recherchieren, Gespräche zu führen, sie mit meinen Ideen zu verknüpfen und zu Papier zu bringen. Und vor allem liebe ich es, dass sich so viele Menschen darin wiederfinden und weiterlesen wollen. Kaum habe ich ein Buch veröffentlicht, kommt schon der Wunsch nach einem neuen. Ich denke, die Menschen spüren alle Emotionen, die ich in jedes Buch einfließen lasse. Für mich ist es ein Geschenk, dass wir alle so viel Freude dabei empfinden. Denn was andere beim Lesen fühlen, fühle ich selbst auch beim Schreiben.

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