Nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes ist die Zukunft der über 1,6 Millionen Syrer, die im Laufe der letzten Jahre innerhalb der EU Zuflucht gesucht haben, höchst ungewiss. Neben einem Einfrieren von Asylentscheidungen diskutieren derzeit viele Mitgliedsländer, wie die freiwillige Rückkehr beschleunigt werden könnte. Und dafür wird sogar teils tief in die Tasche gegriffen ...
Österreich preschte am Mittwoch vor und gab bekannt, jedem ausreisewilligen Syrer bis zu 1000 Euro für einen „neuen Start“ zu zahlen. Wie berichtet, hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zuletzt angekündigt, rückreisewilligen Syrern Unterstützung anbieten zu wollen. Sogar von der Organisation von Flügen war die Rede. Zudem werden sämtliche syrische Asylanträge (derzeit fast 15.000) eingefroren. Auch der Familiennachzug wird ausgesetzt.
Dänemark bietet jedem Erwachsenen 27.000 Euro an
Nun zieht das sozialdemokratisch (!) geführte Dänemark nach. Auch dort wird die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Bürger eingestellt. Und noch mehr: Erwachsene, die nach Syrien zurückkehren, bekommen im Schnitt 200.000 dänische Kronen (rund 27.000 Euro), pro Kind gibt’s 50.000 Kronen (rund 6700 Euro).
Der dänische Integrationsminister Kaare Dybvad Bek erklärte gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Seit 2015 sind etwas mehr als 5100 Syrer aus Dänemark ausgewandert – davon sind fast 600 Syrer mit rechtmäßigem Aufenthalt seit 2019 mit finanzieller Unterstützung im Rahmen des Rückführungsgesetzes freiwillig aus Dänemark nach Syrien zurückgeführt worden. Ich hoffe, dass angesichts der neuen Entwicklungen noch mehr Menschen von dem Angebot Gebrauch machen.“
Ich hoffe, dass angesichts der neuen Entwicklungen noch mehr Menschen von dem Angebot Gebrauch machen.
Der dänische Integrationsminister Kaare Dybvad Bek
Ministerpräsidenten mit klarer Botschaft sn Syrer
Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die politisch der S&D-Fraktion (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament) angehört, aber mit ihrer Haltung zur Einwanderungspolitik oft allein unter den europäischen Sozialdemokraten steht, erwartet, dass die Syrer nach dem Sturz von Assads Regime in ihre Heimat zurückkehren, um ihr Land wieder aufzubauen: „Wenn ich gezwungen wäre, aus Dänemark zu fliehen, hätte ich den brennenden Wunsch, zurückzukehren. Dies ist mein Land, meine Sprache und der Ort, an dem meine Familie seit Generationen lebt“, sagte Frederiksen.
Wenn ich gezwungen wäre, aus Dänemark zu fliehen, hätte ich den brennenden Wunsch, zurückzukehren. Dies ist mein Land, meine Sprache und der Ort, an dem meine Familie seit Generationen lebt.
Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen
Scholz: Gut integrierte Syrer können bleiben
Deutschlands Kanzler Olaf Scholz wiederum steigt auf die Bremse. Er will keine gut integrierten Syrer in ihr Land zurückschicken. Wer die deutsche Sprache spreche und einen Arbeitsvertrag habe, könne sich in Deutschland sicher fühlen.
Deutschland: Deutschland war eines der Hauptaufnahmeländer für syrische Flüchtlinge, Österreichs nördlicher Nachbar nahm fast eine Million Syrer auf. Die Entscheidung Deutschlands, Asylverfahren auszusetzen, betrifft mehr als 47.000 Syrer. Bei ihren Anträgen würden der Bürgerkrieg und die aktuelle politische Lage in Syrien eine wichtige Rolle spielen, um zu entscheiden, ob die Antragsteller Asyl erhalten oder nicht, so ein Sprecher des Amts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die stellvertretende Sprecherin des deutschen Innenministeriums, Sonja Kock, erklärte, dass „die Möglichkeit besteht, die Priorität von Asylentscheidungen herabzusetzen“, eine Option, auf die das BAMF in unklaren Situationen, wie der aktuellen in Syrien, zurückgreifen kann. Das bedeutet, dass Asylentscheidungen nicht gelöst, sondern zurückgestellt werden und andere Asylentscheidungen Vorrang haben, sagte sie.
Frankreich und Italien: Die französische Regierung ist anderen europäischen Ländern gefolgt und beschloss ebenfalls, das Asylverfahren einzufrieren. „Wir haben beschlossen, eine Maßnahme nach deutschem Vorbild zu ergreifen“, bestätigte eine Quelle aus dem französischen Außenministerium. Auch die italienische Regierung schloss sich am späten Montag den Ländern an, die Asylanträge aussetzen.
Belgien und Niederlande: Auch Belgien (mehr als 4000 Antragsteller) hat die Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern ausgesetzt. Die Behörden des Landes wollen mehr Klarheit über die künftige Entwicklung in Syrien und die Risiken einer möglichen Rückkehr in das Land. „Der Flüchtlingsstatus ist nicht zwangsläufig für immer. Wenn sich die Lage in Syrien nachhaltig verbessert, werde ich die CGRS (die für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständige Stelle) bitten, den Flüchtlingsstatus von Syrern, die in den letzten fünf Jahren hierhergekommen sind, zu überprüfen“, sagte die Staatssekretärin für Asyl und Migration Nicole de Moor. In den Niederlanden verhängte das Kabinett einen sechsmonatigen Entscheidungsstopp für Asylanträge von Syrern. Das kündigte die Ministerin für Asyl und Migration, Marjolein Faber, in einem Schreiben an die Abgeordnetenkammer an. Syrer, deren Anträge abgelehnt werden, werden nicht zurückgeschickt.
Finnland und Schweden: Am Dienstag haben auch die Einwanderungsbehörden Finnlands und Schwedens angekündigt, als Reaktion auf den Sturz Assads die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Bürger einzustellen.
Spanien und Portugal: Die spanische Regierung erwägt nicht, die Asylverfahren für syrische Staatsbürger vorerst auszusetzen, sagte der Minister für auswärtige Angelegenheiten, José Manuel Albares, am Dienstag. Portugal habe noch nicht entschieden, ob es die Aufnahme künftiger Migranten aussetzen wird, sagte Premierminister Luís Montenegro. Das Land werde die 1243 Flüchtlinge, die es derzeit aufnimmt, nach dem Sturz Assads nicht nach Syrien zurückschicken. „Wir werden keinen von ihnen zurückschicken, sondern uns um ihre Integration und Aufnahme kümmern“, sagte Montenegro.
Tschechien, Slowenien und Bulgarien: Nach Ansicht des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala birgt die Situation in Syrien Sicherheitsrisiken für Europa, kann aber auch eine Chance für ein besseres Leben im Land und die Rückkehr einiger syrischer Flüchtlinge sein. „Um in Zukunft bessere Lebensbedingungen in Syrien zu schaffen, als sie bisher unter der Assad-Regierung herrschten“, sagte er. Derzeit gibt es 328 Menschen syrischer Nationalität, denen in der Tschechischen Republik internationaler Schutz in Form von Asyl oder subsidiärem Schutz gewährt worden sei, sagte Fiala. Slowenien verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Spanien. Am Mittwoch gab das Innenministerium bekannt, dass die Bearbeitung von Anträgen auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen in Slowenien vorerst nicht ausgesetzt wird. Die Daten des Innenministeriums zeigen, dass Syrer nach wie vor die größte Gruppe illegaler Migranten sind; in den ersten zehn Monaten des Jahres kamen mehr als 14.000 von ihnen ins Land. Bulgarien hat noch keine Entscheidung getroffen, die Gewährung von Asyl für Menschen aus Syrien auszusetzen, da die Lage im Land noch zu unsicher sei, sagte der geschäftsführende Außenminister Iwan Kondow am Mittwoch. „Zu diesem Zeitpunkt ist es von äußerster Wichtigkeit, einen inklusiven, von Syrien geführten politischen Dialog in Umsetzung der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates einzuleiten, um einen geordneten, friedlichen und inklusiven Übergang zu gewährleisten“, betonte er.
In Europa sind noch 100.000 syrische Asylanträge offen
Aus den am Mittwoch von der Europäischen Agentur für Asyl (EUAA) veröffentlichten Zahlen geht hervor, dass Ende Oktober EU-weit mehr als 100.000 Asylanträge syrischer Bürger anhängig waren. Der Syrien-Krieg zwang insgesamt die Hälfte der 23 Millionen Einwohner des Landes aus der Vorkriegszeit zur Flucht.
„Unklarheit der Lage“
Auch die EU-Außenminister werden sich bei ihrem letzten Treffen vor Weihnachten am Montag in Brüssel mit der Lage in Syrien beschäftigen. Derzeit gibt es noch keine klare Linie der EU für den Umgang mit einem neuen Regime oder die von mehreren Ländern ausgesetzten Abschiebungen. Für Österreich nimmt Alexander Schallenberg (ÖVP) teil. EU-Diplomaten betonten am Freitag die „Unklarheit der Lage“ und die „unsichere Informationslage“.
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