Ein armer Schlucker ist sie, die G-Klasse von AMG. Sie schluckt Sprit in rauen Mengen und kann nicht anders. Ja, das ist böse. Und trotzdem macht ihr Anteil an der Produktion 60 Prozent aus. Warum? Weil sie wie eine Droge wirkt.
Es ist schon ein Procedere. Leicht ehrfürchtig auf den schwarzen Dinosaurier zugehen, kurz die Sidepipes bewundern (wer baut denn so was noch serienmäßig?!), die Tür öffnen, die Fahrerkanzel erklettern, die Tür zuschlagen, Tür nochmals öffnen und nochmals zuschlagen – es braucht ein bisschen Zeit, bis man sich daran gewöhnt hat, dass hier alles etwas gröber zugeht. Nicht lang fackeln, Startknopf drücken!
Man kommt beim ersten Mal gar nicht dazu, sich im Innenraum umzusehen oder die neuen digitalen Features zu bewundern, die „gläserne Front“ zum Beispiel. Man will den V8 hören, aufs Gas steigen und auf den Schallwellen surfen, die das Triebwerk produziert. Wild und zugleich geschmeidig.
Elektrische G-Klasse mit einem Hauch AMG
Was lustig ist: In der elektrischen G-Klasse klingt das Starten fast genauso. Der Druck auf den Knopf löst ein derart sonores Bellen aus, dass ich mich nochmal vergewissern musste, ob wirklich EQG drin ist, wo ich geglaubt habe, dass EQG draufsteht. Das war bei den Testfahrten für die World Car Awards in der Nähe von Los Angeles, wo ich die Gelegenheit für ein erstes Kennenlernen hatte. Aber das nur am Rande. Zurück zum G63.
Strom jetzt auch im AMG G63
Nicht dass ihn das zu einer umweltfreundlichen Alternative machen würde, aber der G63 hat jetzt auch einen Elektromotor. Der unterstützt im 48-Volt-Netz als integrierter Startergenerator den bewährten Vierliter-Biturbo-V8 mit bis zu 20 PS und 200 Nm, solange noch nicht die vollen 585 PS angetrabt und die 850 Nm vollzählig versammelt sind. Bisweilen sogar zusätzlich. Feiner Nebeneffekt: Die Start-Stopp-Automatik funktioniert so nahtlos, dass man kaum unterscheiden kann, ob der Motor beim Losfahren an der Ampel erst noch starten muss oder nicht.
Klar, wenn man den Sprint auf 100, der jetzt in 4,3 Sekunden (bzw. 4,4 ohne Performance-Paket) möglich ist, abreiten will, sollte das Triebwerk schon laufen. Aber dafür hat man ja jetzt auch die Launch Control.
Unfassbare Performance
Bei wild und geschmeidig waren wir, bevor uns der Strom dazwischengefunkt hat. Wir haben hier einen der echtesten Offroader überhaupt, aber der Testwagen ist voll im Asphalt-Trimm. Mit 22-Zoll-Felgen und Straßenreifen. Dazu das neue „AMG Active Ride Control“-Fahrwerk mit aktiver Wankstabilisierung, die sich dreistufig variieren lässt. Damit zieht der G63 im Extremfall praktisch aufrecht ums Eck, ohne sich aus der Kurve zu neigen. Er lenkt auf den Punkt genau ein, auch weil die Reifen immer gerade auf dem Boden aufliegen, ohne Sturzverlust. Ein unfassbares Erlebnis, das man eigentlich nicht für möglich halten würde. Die in Zug- und Druckstufe adaptiven Dämpfer ermöglichen hohen Komfort, aber auch ein knallhartes Fahrwerk. Das Arge ist: Wir reden hier noch immer von 2617 kg DIN-Gewicht und einer Starrachse hinten!
Das alles ist nicht nur auf der Straße gut, sondern sorgt auch für höchste Offroad-Performance. Je nach Einstellung können sich die Achsen maximal verschränken, sodass immer Bodenkontakt besteht, oder man fährt mit steifem Chassis einfach rallyemäßig schnell durchs Gelände. Oder etwas dazwischen. Das Fahrwerk kann man einzeln, im Offroad-Paket oder im Performance-Paket bestellen.
Der Motorsound kommt besonders gut mit offenen Fenstern, weil dann die Sidepipes den maximalen Effekt haben. Der Sound ist jedenfalls mächtig. Man glaubt, jeden Tropfen der gut 20 Liter, die auf 100 Kilometer durch die Leitungen rauschen, einzeln herauszuhören. Im normalen Realbetrieb. Mehr geht immer. 15,7-14,7 l/100 km sagt das Datenblatt, rund 1,5 Liter weniger als früher. Aber das ist alles graue Theorie.
Mit Performance-Paket läuft der G63 bis zu 240 km/h schnell, sonst sind es 220 km/h. So oder so wird es schon sehr viel früher sehr laut im Auto – nicht wegen des Auspuffs, sondern wegen der Windgeräusche. Die schwellen jetzt allerdings ein bisschen später an als früher, weil die neue G-Klasse über eine Windabweiser-Verkleidung an den A-Säulen sowie vorn einen Dachkantenspoiler verfügt. Auf der Autobahn darf man aber trotzdem keine empfindlichen Ohren haben.
Noch ein bisschen Alltag:
Der Spurführungsassistent passt nicht ganz zum Preis. Er tut sich recht schwer damit, in leichten Autobahnkurven die Spur zu halten und warnt nicht einmal wirklich, wenn er nicht mehr zurandekommt. Die G-Klasse hat erstmals Keyless Go, aber die Hecktür verschluckt sich gern beim Entriegeln. Dann ist das Schloss zwar entsperrt, die Tür lässt sich aber trotzdem nicht öffnen. Und der Tempolimitassistent ist so mies wie überall sonst.
Eines muss auch hier wieder gesagt werden (beinahe wie einst bei Cato dem Älteren): Die Bedienelemente sind richtig schlecht und unangenehm, weil nicht gut bedienbar. Dass Mercedes sie in allen Baureihen einsetzt, macht sie nicht besser. Aber vermutlich wird längst der letzte Verbrenner vom Band gelaufen sein, wenn man das in Stuttgart kapiert.
Und was kostet der Schmaus für die Sinne?
Im Fall des Testwagens exakt 351.066,40 Euro, der Extras im Wert von 56.176,40 Euro an Bord hat. Fast ein Drittel des Kaufpreises macht die NoVA aus: 110 511,83 Euro.
Fahrzit
Das ist sicher eines der Autos, die man nicht braucht, dafür aber haben will, wenn man entsprechend gestrickt ist. Blendet man jedes klimabedingte schlechte Gewissen aus, ist der G63 ein Heidenspaß. Ist es aber präsent, sollte man zum EQG greifen. Gänsehaut gibt es bei dem aber nicht einmal gegen Aufpreis.
Warum?
Weil der G63 mit der Überarbeitung (optional) unfassbar gut geworden ist.
Weil man einen solchen Sound heute kaum noch wo bekommt – und der G500 neuerdings ein Sechszylinder ist.
Warum nicht?
Weil über 20 Liter Realverbrauch im Alltag eine echte Hausnummer sind.
Weil der Preis nicht nur für arme Schlucker zu hoch ist – auch wenn man den G63 als Anlageobjekt sehen könnte.
Oder vielleicht …
… Mercedes EQG oder in all seiner Absurdität ein BMW XM. Aber auch Lamborghini Urus.
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