„Krone“-Interview

Nothing, Nowhere.: Ungefiltert, echt, authentisch

Musik
23.12.2024 09:00

Wenn introvertiere Menschen extrovertiert auf die Bühne gehen, dann ist immer viel Selbstüberwindung im Spiel. Joe Mulherin aka Nothing, Nowhere. veröffentlichte 2024 vier Alben und hat sich aus einem Strudel der mentalen Unzulänglichkeiten gekämpft. Nun ist er endlich völlig unabhängig.

(Bild: kmm)

Wenn Joe Mulherin bei sich zu Hause in Vermont aus dem Haus geht, geht er als Erstes zu seinen Hühnern und sammelt die frisch gelegten Eier, um sie seinen Besuchern, Nachbarn oder Freunden zu geben. Mulherin ist seit seinem ersten College-Jahr vegan, hat noch nie geraucht, Alkohol getrunken oder sich an anderen Drogen vergriffen. Der heute 32-Jährige ist der Inbegriff eines schüchternen und introvertierten Menschen, der sich am liebsten auf seiner ländlichen Bleibe aufhält und den Stress der Welt an sich vorbeiziehen lässt. „Das Leben am Land ist ungefiltert“, erzählt er der „Krone“ im Interview, „kein Werbeplakat schreit dich an, du hörst keine Sirenen und keinen Straßenlärm. Es ist ein sehr einfacher, purer Weg, um zu leben. Man sagt Künstlern für gewöhnlich nach, dass sie besonders feine Antennen besitzen. Möglicherweise brauche ich diese Ruhe und Abgeschiedenheit, um die Antennen auszufahren und richtige Inspiration für meine Musik zu erfahren.“

Endlich freigestrampelt
Joe Mulherin kennt man in der Öffentlichkeit nicht, wohl aber Nothing, Nowhere. Unter diesem Banner kreiert der Amerikaner seit knapp zehn Jahren Musik, die sich nicht in Stile einordnen lässt. Der Unterbau ist die Liebe für Punkrock und Nu-Metal der Millenniumsjahre. Limp Bizkit, Linkin Park, Fall Out Boy oder Senses Fail, dazu kommen moderne Trap- und Rap-Zitate, unlängst hat sich auch der in den USA so gehypte Country in den Soundbrei geschlichen. Hierzulande war der Künstler vor der Corona-Pandemie in der Wiener Arena und beim Nova Rock zu sehen, vor ziemlich genau zwei Jahren spielte er in der Grellen Forelle. Seitdem ist viel passiert – von seinem ehemaligen Major-Label Warner Music hat er sich gelöst, um seine Karriere als Independent-Künstler fortzusetzen. 2025 hat er nicht weniger als vier Alben veröffentlicht, das letzte, „Cult Classic“, kam taufrisch vor dem Weihnachtsfest. Stilistisch? Alles. Rap, Emo, Country, etwas Metal, Indie-Rock. Grenzen sind dazu da, um eingerissen zu werden.

Der alles zusammenhaltende Kitt lässt sich nicht im Sound, sondern in den Texten finden. Nothing, Nowhere. leidet seit vielen Jahren an Depressionen und Panikattacken, lässt die negativen Erlebnisse und Unzulänglichkeiten seines Lebens nur allzu gerne in seine Texte einfließen. „Ich denke meine Musik nicht in Genres. Wenn ich aufwache, habe ich einmal Lust auf das, dann wieder auf etwas anderes. Ich folge einfach meiner Stimmung und schaue dann, was dabei rauskommt.“ Bekanntschaften haben ihm auf dem schwierigen Weg ins Rampenlicht geholfen. Für sein 2023 veröffentlichtes Album „Void Eternal“ arbeitete er mit Top-Stars wie Will Ramos (Lorna Shore) oder Pete Wentz von Fall Out Boy. „Ich habe tolle Freunde, aber sie leben ein anderes Leben. Pete kann ich fragen, wie man bei einem Festivalauftritt vor 20.000 klarkommt, wenn man die Situation nicht kennt, weil er weiß, wie man das übersteht. In der Musikbranche erlebt man ähnliche Dinge, die können Menschen von außerhalb nicht mit dir klären.“

Dringend Hilfe gesucht
Das Musikbusiness selbst ist Fluch und Segen für den sensiblen Künstler. Die Entscheidung, sich zugunsten von mehr Selbstständigkeit vom Major-Label zu entfernen, war wohlüberlegt, gleichzeitig fühlt er sich in der artifiziellen Welt daheim und sicher. „Ich gewinne mit jedem Album an Selbstvertrauen, was viel wert ist. Es ist mit jedem Mal etwas mehr Licht am Ende des Tunnels zu sehen, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, dass die Welt hell erleuchtet ist.“ 2018 musste Nothing, Nowhere. sogar Shows absagen, weil es seine mentale Verfassung nicht zuließ. Das war für ihn der richtige Zeitpunkt, um erstmals therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich mit buddhistischen Mönchen kurzuzuschließen, um zu meditieren. „Ich brauchte Zeit, um all das zu verarbeiten und habe mich damals bewusst länger rausgenommen. Ich musste mir darüber klarwerden, was ich aushalte und was mir noch Spaß macht.“

Die Liebe zur Musik war bei Mulherin stets so stark, dass er damit alle sich auftuenden Hürden überwinden konnte. „Ich wollte mich von mentalen Rückschlägen nicht daran hintern lassen, weiterzumachen. Ein Leben als Musiker zu führen und bestenfalls auch davon überleben zu können ist mehr als ein Lottogewinn. Mir ist es ungemein wichtig, dass ich weiterhin alles dafür tue, um nichts und niemanden in diesen Weg kommen zu lassen.“ In den schlimmsten Zeiten sperrte sich Mulherin bis zu vier Monate in seinem Haus ein und sah in der Zeit nur den Verkäufer beim angrenzenden Greißler, wenn er wieder einmal Lebensmittel kaufen musste. „Vor Hunderten oder Tausenden Menschen zu spielen und mit anderen Leuten auf Tour zu gehen, war absolut unvorstellbar. Irgendwie ging es und wenn ich anderen, die ähnliches durchmachen, etwas raten kann, dann ist das, dass sie unbedingt weiterkämpfen sollen. Musik machen zu dürfen ist alles wert. Und wenn man im Leben manchmal schwer strampeln muss, schätzt man die schönen Seiten noch mehr.“

Keine Maske mehr nötig
Abseits der Kunst versucht Mulherin Körper und Geist fit zu halten. Trainingseinheiten im Fitnesscenter sind dabei gleich wichtig wie der richtige Zugang zu Spiritualität. „Irgendwann lernt man sich und seine Macken kennen. Mein Hirn funktioniert ganz speziell. Ich kann dir zwei Stunden nach dem Frühstück nicht mehr sagen, was ich gegessen habe, aber weiß genau, wann ich welchen Song wo geschrieben habe. Ich bin einfach nur ein Typ, der auf dieser Welt überleben will – so wie wir alle. Spiritualität anzunehmen ist so, als würde man seinen Geist duschen.“ So wie seine Umgebung will auch Mulherin als Künstler ungefiltert und echt sein. In der Musik von Nothing, Nowhere. ist kein Platz für Kitsch und ein paar Extragramm kompositorisches Fett. „Ich muss mich heute nicht mehr verstecken und sehe das als große Stärke. Früher habe ich mich hinter einer Maske versteckt und mich nicht gezeigt. Diese Zeiten sind vorbei. Ich will Musik machen und mich mit den Menschen verbinden. Dann heim zu meinen Hühnern. Das macht mich glücklich.“

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