Sven Hannawald hat 2001/2002 als erster Skispringer in einer Ausgabe alle vier Stationen der Vierschanzentournee gewinnen können. Seither warten die Deutschen auf einen erneuten Erfolg. Mit Pius Paschke scheinen die Chancen jetzt groß zu sein. Doch auch mehrere ÖSV-Adler sind bereit. Mit „Sportkrone.at“ hat Skisprung-Legende Hannawald über das Duell der beiden Nationen, seine Burnout-Erkrankung und „Skisprung-Dino“ Noriaki Kasai gesprochen.
„Kronesport“: Du warst der Erste, der alle vier Springen der Vierschanzentournee in einer Ausgabe gewonnen hat. Welches Gefühl war das damals für dich?
Sven Hannawald: Man kann es nicht wirklich greifen. Ich weiß, dass es so war und dass man es geschafft hat, obwohl ich mich bis heute immer noch wundere. Es war am Ende durchaus eine enge Entscheidung. Wenn ich heute als Experte und Zuschauer die virtuelle grüne Linie sehe, dann wundere ich mich immer noch, wie ich das damals in dem Moment abschätzen habe können. Zu wissen, dass es gereicht hat und ich als erster Skispringer alle vier Stationen in einem Jahr gewonnen habe, das war irgendwie komisch. Aber gleichzeitig war auch zu spüren, was es körperlich gekostet hat. Die zehn Tage waren dann schon extrem. Ich war in einem Zustand des Schwebens, entspannt und glücklich, aber zugleich war ich wirklich am Limit.
Nach wie vor bist du der letzte Deutsche, der die Tournee gewinnen konnte. Endet diese Durststrecke dieses Mal mit Pius Paschke?
Ich hoffe es. Ich ertappe mich jedes Jahr immer wieder, dass ich sage, in diesem Jahr ist nochmal eine bessere Voraussetzung als im letzten. Ich glaube aber, dass man die Position, in der sich Pius jetzt befindet, eigentlich nicht toppen kann. Das, was er aktuell an den Tag legt, auch von seiner Konstitution, vom körperlichen her, sieht schon spielend leicht aus. Pius hat sich zudem auf verschiedenen Schanzenprofilen, bei verschiedensten Bedingungen am Ende doch durchsetzen können. Also ich drücke die Daumen, dass wir am 6. Januar endlich mal wieder die deutsche Hymne hören.
Da haben die Österreicher aber etwas dagegen. Und auch die ÖSV-Adler warten nun schon länger auf einen Triumph …
Ihr seid aber auch wirklich verwöhnt und hattet schon auch Zeiten, wo ihr jahrelang dominiert habt. Und wir sprechen im deutschen Fall immer noch davon, dass ich der bisher letzte Sieger bin. Im Jahr 2002! Also glaube ich schon so, dass ihr uns da jetzt mal den Vorrang geben solltet (lacht). Aber klar, Österreich wird ein ordentliches Wort mitsprechen.
Wie siehst du die ÖSV-Adler aufgestellt?
Mit Jan Hörl und Michael Hayböck gibt es zwei, die einen ähnlichen Sprungstil haben, die sind jetzt nicht die Aggressiven, sondern eher die Schweber. Das sind zwei ernsthafte Konkurrenten für Paschke. Bei Hörl fehlt manchmal die Konstanz – aber es kann auch ein Vorteil sein, wenn man dann mit weniger Druck springen kann als Paschke. Auch einen Stefan Kraft würde ich nicht abschreiben, weil auch er in Einzelspringen gezeigt hat, dass mit ihm zu rechnen ist und er blickt halt auf reichlich Erfahrung zurück. Deshalb gehe ich davon aus, dass es dieses Jahr ein deutsch-österreichisches Duell um den Sieg gibt.
Spitzensport hat aber nicht nur Glanzpunkte, sondern auch Schattenseiten. Du hast etwa eine Burnout-Erkrankung öffentlich gemacht. Eine Folge des Leistungsdrucks?
Ich glaube, das ist typenabhängig, weil es ja nicht bedeutet, dass jeder, der im Sport Höchstleistungen bringt, automatisch Burnout bekommt. Da geht es eher um die Einstellung zur Sache, wie man mit gewissen Dingen umgeht. Das merke ich bei mir, dass ich immer noch sehr ehrgeizig bin und oft vielleicht weniger perfektionistisch sein sollte. Aber ich habe von klein auf nie halbe Sachen gemacht oder mich mit halben Sachen zufriedengegeben. Und dann gibt es andererseits halt Typen, die können besser abschalten. Bei mir führte es schließlich dazu, dass ich leider meine Karriere früher als mir lieb war beenden musste. Ich musste lernen, die Dinge besser zu trennen und auch nicht alles ins Private mitzunehmen.
Was können Sie Sportlern bzw. generell Menschen raten, die ebenfalls Burnout gefährdet sind?
Am Ende des Tages zählt es, auf die innere Stimme zu hören. Die habe ich lange Zeit gelernt, zu ignorieren. Eine Zeit lang funktioniert das, aber dann werden die Schreie natürlich irgendwie lauter. Man fühlt, dass man überfordert ist, dass man seine Ruhe möchte. Das ist eigentlich kein neutraler Zustand eines Menschen, sondern genau der Punkt, wo es kritisch wird. Da soll man nicht nur davon ausgehen, dass es weggeht, oder es nur temporär ist. Also mein Körper signalisiert mir, für heute ist es eigentlich genug und das ist okay. Darauf muss man hören. Ich musste das auch erst lernen und kämpfe immer noch damit, auch wirklich darauf zu achten.
Viele Menschen fragen sich immer noch, was jemanden dazu bringt, mit zwei Skiern über eine Schanze zu springen. Was macht für dich die Faszination aus?
Man kommt als kleines Kind dazu. Da sieht man Skispringen, wächst in der Region auf, wo man Skispringen kann, und dann machen Kinder das, was sie sehen, nach. Dementsprechend bin ich auch froh, dass ich als kleines Kind im Erzgebirge die Möglichkeiten hatte. Weil einfach so im Erwachsenenalter mal Skispringen auszuprobieren, das ist gar nicht einfach. Ich weiß, für mich persönlich wird es, im sportlichen Bereich, nichts Schöneres geben und ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte.
Gab es nie Momente, in denen deine Knie am Schanzentisch gezittert haben?
Ja, es gab schon zwei-, dreimal Momente, wo ich nicht so in Form war und nicht so ganz das Vertrauen spürte. Wenn es dann noch schwierige Bedingungen gibt, macht man sich schon Gedanken. Normalerweise hat man aber ein gutes Gefühl, was man zu tun und zu lassen hat. Auch teilweise hat das mal mit einem Sturz zu tun, wo man weiß, okay, das war zu viel, das mach ich nie wieder. Und das sind die Dinge, da lernst du draus. Du hast immer wieder ein bisschen Schmetterlinge im Bauch, aber das ist auch wichtig und gut so, weil das dann auch deine ganzen Gefühle und deine ganzen Synapsen einfach wachhält.
Jemand, der das scheinbar perfektioniert hat, ist Noriaki Kasai. Den kennst du sogar aus deiner aktiven Zeit …
Noriaki ist jetzt an dem Punkt, wo es ihm schwerer fällt, sich teamintern durchzusetzen, dass er zumindest den sechsten Startplatz oder den fünften Startplatz bekommt. Aber ich wäre sehr gerne in seiner Haut, weil ich natürlich dann wüsste, dass ich nach wie vor immer noch Skispringer bin. Und dementsprechend ziehe ich den Hut davor. Wir haben uns eh schon von Anfang an verstanden, auch wenn wir sprachlich natürlich schon auch Hürden haben (lacht). So eine Geschichte ist einfach schön mit anzusehen. Ich drücke ihm die Daumen, dass er lange gesund bleibt, dass er lange noch körperlich die Kraft hat, gewissen Kräften, die im Skispringen wirken, entgegenzuwirken. Und dementsprechend freue ich mich, wenn ich ihn vielleicht das nächste Mal irgendwann wieder aktiv erleben könnte.
Ryoyu Kobayashi hat in diesem Jahr mit einem Sprung auf 291 Meter einen unglaublichen Rekord aufgestellt. Offiziell anerkannt wird der Rekord aber nicht überall. Wie stehst du zur Debatte?
In meinen Augen ist der Rekord offiziell. Weltrekorde stehen nicht nur auf irgendwelchen Ergebnislisten von Wettkämpfen, wo man sich bewerben kann. Ryoyu ist dort geflogen, die Voraussetzungen waren vergleichbar mit einer Weltcup-Schanze. Bisher war es so, dass man nicht weiter als die 253,5m fliegen konnte, weil es eben keine größere Schanze gab. Am Ende sprechen wir hier aber nun von einem normalen Schanzenrekord in Vikersund. Für mich ist einfach klar: Weltrekorde sind kein FIS-Wettkampf!
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