„Nicht am Zettel“

Täterprofil bringt Terrorforscher aus der Fassung

Ausland
21.12.2024 15:51

Nach der unfassbaren Schreckenstat in Magdeburg gehen herzzerreißende Bilder um die Welt. Bei der Frage nach dem Warum schütteln selbst hartgesottene Experten den Kopf – denn mit so einem Hintergrund hat wohl niemand gerechnet.

„Nach 25 Jahren in diesem ,Geschäft‘ denkst Du, nichts könnte Dich mehr überraschen. Aber ein 50-jähriger, saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für eine Toleranz ggü (Anm: gegenüber) Islamisten bestrafen will – das hatte ich wirklich nicht auf dem Zettel“, gesteht Terrorforscher Peter Neumann auf X. Je mehr er über den Täter Taleb A. herausbekomme, desto weniger sei er sich sicher, dass dies ein islamistischer Anschlag gewesen sei: Sein „Twitterprofil suggeriert eher das Gegenteil.“

Saudi-Arabien warnte vor dem Mann
Das Heimatland des Täters, Saudi-Arabien, dürfte den 50-Jährigen schon länger auf dem Radar gehabt haben. Saudischen Sicherheitskreisen zufolge hatte Riad Deutschland vor der Attacke gewarnt. Das Königreich habe sogar seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland aber nicht reagiert, hieß es. Der Mann stammt demnach aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens. Er sei Schiit gewesen.

Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Immer wieder gibt es Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin hatte es vor rund einem Jahr eine Art Warnhinweis zu dem Mann an die deutschen Behörden gegeben. Zutiefst betroffen wandte sich das Königreich an Deutschland. Es bringe „seine Solidarität mit dem deutschen Volk und den Familien der Opfer zum Ausdruck“, schrieb das saudische Außenministerium in einer Mitteilung auf X.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reiste zum Tatort. Er sprach von einer „furchtbaren, wahnsinnigen Tat“. (Bild: APA/AFP/Ronny HARTMANN)
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reiste zum Tatort. Er sprach von einer „furchtbaren, wahnsinnigen Tat“.

Internationales Entsetzen und Mitgefühl
Der Anschlag sorgt für ein enormes internationales Echo. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich auf X „zutiefst schockiert“ angesichts des „Horrors, der an diesem Abend den Weihnachtsmarkt in Magdeburg“ getroffen habe. Frankreich teile „den Schmerz des deutschen Volkes und bringt seine volle Solidarität zum Ausdruck“. Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der spanische Regierungschef Pedro Sánchez äußerten sich entsetzt in dem Online-Dienst.

Die USA versicherten ihre Solidarität und boten an, Unterstützung zu leisten für einen seiner engsten Partner und stärksten Verbündeten, wie Außenministeriums-Sprecher Matthew Miller erklärte. Der Milliardär und Berater des kommenden US-Präsidenten Donald Trump, Elon Musk, wählte einen weniger diplomatischen Weg und griff den deutschen Kanzler frontal an. „Scholz sollte sofort zurücktreten“, wütete der Chef des Autobauers Tesla auf seiner Plattform X in Reaktion auf den Anschlag in Magdeburg. Musk ging sogar so weit, Scholz als „incompetent fool“ zu beschimpfen – was so viel wie „unfähiger Idiot“ bedeutet.

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für heimische Weihnachtsmärkte
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußerte sich zutiefst bestürzt. „Die Nachrichten aus Magdeburg sind erschütternd und machen uns fassungslos. Unsere Gedanken sind in diesen schwersten Stunden bei den Opfern, ihren Familien und den Rettungskräften“, schrieb er auf X. „Wir stehen eng an der Seite unserer deutschen Freunde!“, versicherte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP).

Angesichts dieses dramatischen Ereignisses erfolgt „selbstverständlich eine aktuelle Lagebeurteilung auch in Österreich“, verriet Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Zudem seien die Sicherheitsmaßnahmen für Weihnachtsmärkte bereits vor mehreren Wochen erhöht worden, seither seien sowohl Spezialkräfte als auch Zivilermittler im Einsatz. Der Verfassungsschutz stehe im engen Austausch mit zahlreichen europäischen Sicherheitsbehörden, um permanent die Lage beurteilen zu können.

Mann kam 2006 nach Deutschland
Der Tatverdächtige stammt aus Saudi-Arabien und kam 2006 nach Deutschland. In sozialen Medien und Interviews erhob er zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: „Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland!“

Gegner des Herrscherhauses sind sich durchaus bewusst, dass sie auch im Ausland weiter auf dem Radar der Behörden ihres Heimatlandes sind – spätestens seit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. US-Geheimdienste sehen den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman als Drahtzieher hinter der Tat. Das Königshaus weist das zurück.

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