Hass statt Trauer

Rechter Mob wütet durch Magdeburgs Innenstadt

Ausland
22.12.2024 15:40

Beim Trauergottesdienst nach dem Anschlag in Magdeburg ist am Samstag den Rettungskräften für ihren Einsatz gedankt worden. Währenddessen marschierten in Magdeburg Neonazis auf. Statt Mitgefühl für die Opfer und ihre Angehörigen zu zeigen, wird die Tat von Rechten instrumentalisiert. Getreu dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Am Freitag, um 19.07 Uhr, ging die letzte Hassbotschaft des Amok-Fahrers Taleb A. aus Magdeburg auf X (vormals Twitter) online. Er spricht Englisch mit arabischem Akzent: „Mein Name ist Taleb al-A., ich bin Arzt, Psychiater, und ich arbeite in Deutschland“, stellt der 50-Jährige sich vor.

Zwischen Verschwörung und Rechtsextremismus
Ihn würden auch heute noch Religionskritiker verfolgen, sagt er in dem Video. „Die Nation, die heute Islamkritiker aktiv strafrechtlich verfolgt, um ihre Leben zu zerstören, ist die deutsche Nation.“ Er würde gerne eine Geschichte erzählen, denn auch Sokrates sei im antiken Griechenland wegen seiner Religionskritik hingerichtet worden. 

So wirr und bizarr seine Argumentationen in seinen eigens kreierten Echokammern auf der sozialen Plattform X auch sind, erweist sich sein Tatmotiv als weitaus komplexer als zunächst angenommen und fordert selbst Experten heraus.

„Nach 25 Jahren in diesem ,Geschäft‘ denkst Du, nichts könnte Dich mehr überraschen. Aber ein 50-jähriger, saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für eine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will – das hatte ich wirklich nicht auf dem Zettel“, gesteht Terrorforscher Peter Neumann auf X. Je mehr er über den Täter Taleb A. herausbekomme, desto weniger sei er sich sicher, dass dies ein islamistischer Anschlag gewesen sei: Sein „Twitterprofil suggeriert eher das Gegenteil.“

Was man heute weiß: Taleb A. ist wohl ein arabischer Ex-Muslim und AfD-Anhänger, der in Deutschland als Islamkritiker um Asyl ansuchte. Am Samstag wurde der 50-Jährige vernommen, er befindet sich nun in Untersuchungshaft. „Er hat sich zum Tatmotiv geäußert“, sagte der verantwortliche Oberstaatsanwalt Horst Nopens am Samstagnachmittag in Magdeburg. „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen“ könne demnach der Hintergrund der Tat von Taleb A. gewesen sein.

Hass und Hetze statt Trauer
Rechte Kreise blenden gezielt Details aus, um Taleb A. in ihr Feindbild zu integrieren: Für sie ist er ein Asyl suchender Araber. Sie propagieren einfache Lösungen, wo die Probleme besonders komplex sind. Dass Taleb A. ein bekennender Anhänger führender rechtsextremer Akteure ist und deren Beiträge sowie rassistische Ideologien wiederholt teilte, bleibt in sozialen Netzwerken offenbar unbeachtet.

Es ist halb neun am Abend, rechtsextreme Parolen hallen am Samstagabend über den Magdeburger Willy-Brandt-Platz. „Antifa Hurensöhne“ und „Remigration!“, grölen ein paar junge Männer, wie deutsche Medien berichten. Immer wieder treffen kleine Gruppen schwarz gekleideter Gestalten am Hauptbahnhof ein. Zwei junge Migranten kommen am Bahnhof an, sie werden von Männern angerempelt und geschubst. Andere Rechtsextreme kommen dazu – Polizisten eilen herbei, um die Angreifer von den Migranten zu trennen.

Ein Nutzer auf X berichtet von der teils vermummten, rechtsextremen Gruppierung in der Innenstadt von Magdeburg am Samstagabend:

Rund um den Magdeburger Hauptbahnhof treiben sich am Samstagabend Hunderte Neonazis herum. Zuvor hatte sich eine rechtsextreme Demo in der Innenstadt aufgelöst. Aufgerufen hatte die nationalistische Splitterpartei „Die Heimat“, ehemals NPD, unterstützt von weiteren rechtsextremen Gruppen, um Stimmung gegen Migranten und Migrantinnen zu machen. Unter dem Motto „Demonstration gegen den Terror“ versammelten sich nach Angaben der Polizei mehr als zweitausend Menschen. Thorsten Heise, ein mehrfach vorbestrafter Aktivist und Kopf der „Heimat“, peitschte die Menge mit hetzerischen Reden auf.

Zitat Icon

Magdeburg darf nicht zum Spielfeld rechter Hetze werden.

Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt

„Seid die andere Seite derselben Medaille“
Das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt zeigt sich entsetzt über die politische Instrumentalisierung des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. „Magdeburg darf kein Schauplatz rechter Hetze werden“, erklärte das Netzwerk. Mitarbeiter und Mitglieder des Verbandes hätten mehrere Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen bereits bestätigt.

Neben den kursierenden Falschinformationen rechter Medien auf X, die von einem „islamistischen“ Anschlag sprechen, entgegnen auch viele User: „Mit dem Attentäter von Magdeburg habt ihr mehr Gemeinsamkeiten, als ihr euch eingestehen wollt. Ihr hasst dieses Land, seine Werte und seid lediglich die andere Seite derselben Medaille.“

Auch der Sport nimmt sich dieser Tage zurück, hält inne und gedenkt der Opfer. Bei einem Drittliga-Spiel in Essen am Samstag will ein Mann das Schweigen nutzen, um eine rassistische Parole zu verbreiten. Das Stadion antwortete entschlossen und unmissverständlich mit „Nazis raus“ -Rufen. 

Nach der tödlichen Attacke mit einem Auto hatte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Taleb A. beantragt. Der von ihm gesteuerte Wagen war am Freitagabend mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Nach Behördenangaben wurden vier Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren sowie ein neunjähriger Bub getötet.

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