In „Die Bossin“ (Penguin Random House Verlag) nimmt die 43-jährige in Wien geborene Musik-PR-Beraterin Marina Buzunashvilli ihre Leser mit auf eine 20 Kapitel starke Lektion „von der Hodd an die Spitze des Musikbusiness“. Ein interessantes, lehrreiches, zuweilen aber auch etwas enervierendes Lesevorhaben.
Marina Buzunashvilli hatte es nicht leicht im Leben. Die aserbaidschanisch-georgische Musikbegeisterte wurde in Wien geboren und zog mit ihrer Familie aufgrund von ausuferndem Rassismus früh nach Berlin-Kreuzberg. Dort musste sie schon in jungen Jahren Verantwortung übernehmen, weil es die familiäre Situation nicht anders zuließ. Der Vater weg, die Schwester gefangen im Drogenkartell, die Mutter mehrmals kurz vor dem Suizid. In diesen zerrütteten Familienverhältnissen lässt sich die heute 43-Jährige früh eine dicke Schale wachsen, die irgendwann so undurchdringbar wird, dass sie sich darin selbst nicht mehr aushält. Aufgrund der persönlichen und privaten Probleme ist Buzunashvilli früh darauf angewiesen, die Familie aus diversen Grenzsituationen raus zu zahlen, dementsprechend hoch ist ihr Arbeitseinsatz.
Beginn der Boss-Mentalität
Der leidenschaftliche Boyband-Fan (den Backstreet Boys reist sie gerne nach, bleibt aber – laut eigenem Bekunden – stets diskret und distanziert) hat früh den Wunsch, ein Teil der glitzernden Musikindustrie zu sein und verfolgt dieses Ziel mit Ehrgeiz, Akribie und enormer Verbissenheit. Vor 20 Jahren beginnt sie ihre Karriere als PR-Beraterin in der Hip-Hop-Szene und macht sich offenbar einen Namen als die Härteste unter den Harten. Natürlich – wer mit offensiven und zuweilen auch chauvinistischen Charakteren wie Sido, Haftbefehl, Kool Savas und Co. zu tun hat und dann auch noch weiblich ist, muss sich ein dickes Fell wachsen lassen. In der männerdominierten Szene setzt sich die Berlinerin aber zunehmend durch und wird respektiert. In ihren ersten Jahren im Hip-Hop-Kosmos eignet sie sich – vermischt mit ihrer schweren Kindheit – die titelgebende „Boss-Mentalität“ an.
In ihrer Autobiografie bringt sie Interessierten, aber vor allem Mädchen und jungen Frauen in 20 durchargumentierten Lektionen näher, wie man sich als zierliche Frau mit Leistung, Authentizität und Beharrlichkeit Respekt verschafft. Offen geht Buzunashvilli aber auch mit den Kehrseiten ihres beruflichen Erfolgs um. Durch die ständige Arbeit und die nach außen gekehrte Härte verpasst sie das Begräbnis ihrer geliebten Schwester, vergrault eine Zeit lang ihren Lebenspartner und saugt vielversprechenden Nachwuchstalenten in ihrer Branche den Lebenssaft aus Geist und Körper. Die bewusst präsentierte „Unweiblichkeit“, wie die Autorin ihr Dasein selbst nennt, birgt in der Unterhaltungsbranche Vor- und Nachteile. Sich an Künstler anbiedern oder bei Aftershowpartys Koks-Lines zu ziehen käme nicht infrage, dafür wäre sie 24/7 am Handy erreichbar und mitunter dadurch stets einen Schritt weiter als die Konkurrenz in ihrem Berufsfeld.
Am besten immer arbeiten
In verschiedenen Kapiteln zeichnet sie ihren Weg von einer Agentur in die Selbstständigkeit und wieder zurück zum Branchenprimus Sony Music nach. Sie berichtet detailliert und selbstkritisch von gewonnenen Erkenntnissen und begangenen Fehlern, geht öfters hart mit sich selbst ins Gericht, propagiert daneben aber auch eine Kämpfer- und Karrieristenmentalität, die – ihren furchtbaren persönlichen Erfahrungen zum Trotz – genau in die neoliberale und arbeitnehmerfeindliche Kehre schlagen, weswegen Unternehmer nur allzu gerne Gewerkschaften abschaffen und Betriebsräte auflösen würden. Sie unterscheidet zwar zwischen Selbstständigkeit (unendlich arbeiten) und einer Anstellung (stringentes Zeitkorsett), doch als Quintessenz der modernen Mär des ständigen Hustles bleibt, dass man am besten ständig arbeitet, will man etwas aus sich machen.
In „Die Bossin“ bekommen nicht nur Menschen aus der Musikindustrie und interessierte Fans Einblicke in eine oft nicht leicht zu verstehende und hedonistische Branche, die von Buzunashvilli niedergeschriebenen Lektionen könnte man freilich auch in anderen Sparten umsetzen. Obschon man mit der Autorin mitfiebert und sich gerne darüber freut, welches berufliche Maximum sie aus der immens schwierigen Situation in ihrem Leben gemacht hat, ist das ständige darauf Hinweisen, die Beste und die Stärkste zu sein, mit Fortdauer der Lektüre enervierend. Ein immer noch nicht verstummter Schrei nach Liebe ist bei all der Lebenslast nachvollziehbar, doch dem Rezipienten kann man nicht die Last der Absolution aufbürden. Zudem stören inhaltliche Fehler den Lesefluss. Etwa in einem Kapitel, in dem die PR-Beraterin und Managerin davon erzählt, mit wie vielen Euros sie 2001 in Deutschland unterwegs war, obwohl die Währung als Barmittel nachgewiesenermaßen erst 2002 eingeführt wurde.
An die persönliche Spitze
„Die Bossin“ beinhaltet freilich viel mehr als bloßes „Boss-Blabla“, aber mit etwas weniger „ich muss es auch euch allen beweisen“-Mentalität wäre das Werk tatsächlich eine interessante und sehr persönliche Bestandsaufnahme geworden. So bleibt trotz der Kurzweil und vieler interessanter und informativer Kapitel ein leicht schaler Geschmack von Selbstbeweihräucherung, der so gar nicht sein müsste, weil man ihr Durchkämpfen und sich Durchsetzen über die 250 Seiten ohnehin respektvoll honoriert. Nebenbei sollte man sich vom Untertitel nicht in die Irre führen lassen: Korrekter wäre gewesen „Von der Hood an die PERSÖNLICHE Spitze des Musikbusiness“. Bei allem Respekt vor der Karriere Buzunashvillis, die landesweite oder gar globale Konzernleiterin eines Majorlabel ist sie (noch) nicht …
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.