(Bild: KMM)

Archivbesuch

Was Boris Johnson in Wien unbedingt sehen wollte

Großbritanniens ehemaliger Premierminister studierte in Wien die berühmte „Kongressakte“, welche die Neuordnung des Kontinents nach Napoleons Sturz und ein Gleichgewicht der konservativen Mächte Europas garantieren sollte.

Soll niemand sagen, dass „Mr. Brexit“, Großbritanniens ehemaliger Premierminister Boris Johnson, sich nicht für europäische Geschichte interessiert. Denn der Mann, der das Vereinigte Königreich aus der EU führte, hatte bei seinem Österreichbesuch im Herbst 2016 einen besonderen Wunsch: Nach absolviertem Arbeitsprogramm wollte der damalige britische Außenminister dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien einen Besuch abstatten.

Allzu viele Politiker verirren sich nicht ins Staatsarchiv, Boris Johnson war einer dieser wenigen. Er wollte hier ein Dokument von besonderer historischer Bedeutung für Europas Geschichte begutachten: Die Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815, auch kurz „Kongressakte“ genannt.

Die Unterschriften und Siegel der europäischen Staats- und Regierungschefs.  (Bild: picturedesk.com/Austrian Archives / brandstaetter images / picturedesk.com)
Die Unterschriften und Siegel der europäischen Staats- und Regierungschefs. 

Archivdirektor Thomas Just erinnert sich an Johnsons großes Interesse an diesem Dokument: „Es war sein expliziter Wunsch, sich das anzusehen.“ Dementsprechend aufmerksam studierte Boris Johnson die am 8. Juni 1815 von Europas Großmächten unterzeichnete Kongressakte, die nach dem Sturz Napoleons die Neuordnung des Kontinents und ein Gleichgewicht der konservativen Mächte Europas garantieren sollte.

Die Schlussakte von außen und die Seite mit den Unterschriften.   (Bild: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com)
Die Schlussakte von außen und die Seite mit den Unterschriften.  

Was Boris Johnson bei seinem Besuch noch begutachtet hat? Das Glückwunschschreiben der englischen Königin Victoria zur Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs und die „Haager Allianz“ vom 7. September 1701, ein Bündnis zwischen dem Habsburger Leopold I., England und der Niederlande gegen Frankreichs König Ludwig XIV. während des „Spanischen Erbfolgekrieges“.  

Es war nicht das erste Mal, dass Boris Johnsons großes Interesse für Geschichte aufgefallen ist. Für die beliebte BBC-Serie „Who do you think you are?” in der Historiker und Genealogen die Vorfahren von Prominenten recherchieren, ließ Johnson damals seine Familiengeschichte durchleuchten. Er selbst verglich seine Herkunft humorvoll mit einer Produktbezeichnung, die er einst auf einem Honigglas gelesen habe, als „Produkt vieler Länder“.

Seine Vorfahren kommen aus England, Frankreich und wohl auch aus der Türkei, so Johnson im Vorgespräch zur Sendung. Genaueres fanden schließlich die Historiker und Genealogen im Auftrag der BBC heraus: Boris Johnsons Stammbaum ist wirklich eine „europäische Mischung“.

Mütterlicherseits stammten Boris Johnsons Vorfahren von den Baronen von Pfeffel ab, Münchner Briefadel. Sein ganzer Name lautet: Alexander Boris de Pfeffel Johnson. Boris Johnsons Urgroßvater väterlicherseits war der türkische Journalist Ali Kemal, der nach dem Ersten Weltkrieg kurz türkischer Innenminister wurde. Dem Politiker unterlief allerdings eine fatale Fehleinschätzung: Er unterschätzte die Popularität und das politische Talent eines türkischen Kriegshelden namens Mustafa Kemal, der später als legendärer Staatsgründer der Republik Türkei unter dem Namen Kemal Atatürk in die Geschichte eingehen sollte.

Die Karriere des Urgroßvaters war damit erledigt. Die Kinder aus seiner Ehe mit einer Engländerin namens Winifred Johnson – darunter Johnsons Großvater – wuchsen in Großbritannien auf. Sie durften auf energisches Betreiben ihrer englischen Großmutter und mit Billigung des Innenministeriums ihren türkischen Nachnamen Kemal auf Johnson, den Mädchennamen ihrer Mutter ändern. Die Ururgroßmutter ist also dafür verantwortlich, dass „Mr. Brexit“ als Boris Johnson und nicht als Boris Kemal in die Geschichtsbücher eingeht.

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