Riccardo Muti (83), Doyen der internationalen Dirigentenelite und Liebling der Wiener, leitet am Mittwoch zum 7. Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Für die „Krone“ sprach er mit Dr. Karlheinz Roschitz.
„Nicht daheim und doch zu Hause“, lacht Maestro Riccardo Muti, „Wien ist meine zweite Heimat. Seit ich 1973 an der Staatsoper mit Verdis ,Aida‘ debütiert habe, verbindet mich mit vielen Philharmonikern, mit denen ich mitunter schon über 50 Jahre zusammenarbeite, eine Freundschaft fürs Leben. Jetzt dirigiere ich zum 7. Mal das Neujahrskonzert im Goldenen Saal. Und heuer fand ich die Arbeit an der Programmauswahl und vor allem die Entdeckungen, die wir da machten, aufregend. Die Proben laufen ganz wunderbar.“
Eine Frau, die weiß, was sie will
Als ich vor ein paar Tagen mit dem Maestro in Ravenna über das Programm telefonierte, meinte er: „Es ist richtig und wichtig, dass die ,Wiener‘ – erstmals! – ein Werk einer Frau im Neujahrskonzert aufführen: Ich finde, der ,Ferdinandus-Walzer‘ der damals erst 12-jährigen Constanze Geiger (1835 bis 1890) ist ein Juwel. Zu Recht brachten Johann-Strauss-Vater und Sohn Geigers ,Frühlingsträume‘ und „Carlsklänge‘ zur Uraufführung.
Heute kennt die ,Universalkünstlerin‘ – die Geiger war Schauspielerin, Pianistin und Komponistin – zwar kaum jemand. Aber ihre Musik strotzt vor Energie und Fantasie. Als wollte sie sagen: ,Ich bin zwar eine Frau, aber ich bin da‘. Eine Frau, die wusste, was sie wollte. Sie hat’s immerhin bis zur Gattin des Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha gebracht.“ Und zum Beweis für Geigers Originalität legt Muti sein Handy aufs Klavier und klimpert mir – aus seinem Haus in Ravenna – Teile ihres „Ferdinandus“-Walzers vor.
Muti findet es selbstverständlich, dass bei den „Wienern“ jetzt Frauen spielen können. „Im 19. Jahrhundert gab es in Wien Frauenorchester, die vorwiegend Kompositionen von Frauen spielten. Ich war dreizehn Jahre Chef des Chicago Symphony Orchestra und bin dort jetzt Musikdirektor emeritus auf Lebenszeit: Als ich 2007 in Chicago startete, wusste ich, ich müsse in den Chicago-Sound mediterrane Sonne, Entspannung, italienischen Humor bringen. ,Cantare!, lassen Sie die Instrumente singen‘, habe ich ihnen immer wieder gesagt. Da haben mir die Frauen im Orchester, die in der Mehrheit waren, sehr geholfen.
Und auch bei meinen Opernakademien in Japan oder vor kurzem in China, wo ich mit jungen Sängerinnen & Musikerinnen ,Cavalleria rusticana‘ erarbeitete, dominierten Frauen. Es macht keinen Sinn, heute über das leidige Thema Mann oder Frau im Orchester zu diskutieren! Und wenn jetzt Diskussionen beginnen, ob eine Frau ein Neujahrskonzert der ,Wiener‘ dirigieren soll, kann ich nur sagen: Ich bin offen für alles. Entscheidend ist nur die Qualität, die Kultur.“
Mit dem Neujahrskonzertprogramm ist Muti sehr zufrieden. Im Mittelpunkt steht der Walzerkönig anlässlich seines 200. Geburtstags mit seinen „Klassikern“ wie dem „Lagunen-“, „Transactionen-“ und „Accelerationen-Walzer“, „Wein, Weib und Gesang“, der „Tritsch-Tratsch“-, „Entweder – oder!“-, „Demolirer“- und „Annen“-Polka.
Muti: „Wichtig sind mir aber auch die Werke, die zur Szene Wiens der Ringstraßenzeit gehören, wie die melancholischen Stücke Josef Strauss’, Bravour und Witz bei Eduard Strauss’ oder beim Hofkapellmeister Joseph Hellmesberger jun., dem Nachfolger Gustav Mahlers als Dirigent der Wiener Philharmoniker.
„Billige Späße passen nicht in dieses Konzert!“
Nur in einem Punkt ist Muti unerbittlich: „Billige Späße und Jokes passen nicht in dieses Konzert. Ich mag keine Gags – auch Karajan mochte sie nicht. Die Welt ist voll tragischer Ereignisse, mit Gags machen wir die Bedeutung dieser Musik runter. Ich habe vor Johann Strauss’ Musik allerhöchsten Respekt. Ich verstehe sie auch als meine Friedensbotschaft!“
Sogar Ehefrau Cristina Mazzavillani-Muti genoss mit ihrem süßen, weißen Malteser-Hündchen am Schoß die Pressekonferenz im Hotel Imperial. Kurz vor dem musikalischen Superevent galt es noch ein paar Dinge zu verkünden. Und zu erleben, wie innig das Verhältnis zwischen den „Wienern“ und dem Maestro aus Neapel ist.
Eine Beziehung, die 1971 mit dem ersten Konzert begann und bisher über unglaubliche 500 Fortsetzungen gefunden hat. Philharmoniker-Vorstand Froschauer dazu: „Jedes Mal, wenn ich ihn vom Flughafen abhole, ist es ein Gefühl von mehr als Freundschaft, es ist wie Familie.“
Großes Thema war natürlich auch das erste Stück einer Frau in einem Neujahrskonzert. Daniel Froschauer reiste dafür extra mit drei Stücken von Constanze Geiger zur Auswahl zu Muti nach Ravenna. Auch erinnerte er ans Covid-Neujahr 2021 im leeren Musikverein: „Muti hat das Konzert gerettet.“
Das verbindet. Für Muti ist Musik ohnehin „die beste Medizin für die Seele“. 1993, bereits nach seinem ersten Neujahrskonzert wollte er keines mehr dirigieren, weil „es sehr fordernd und technisch schwierig ist“. Am Mittwoch leitet er sein siebentes und betont: „Aber dieses Mal ist es das letzte!“
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