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Kreativer Protest: Georgien tanzt den Widerstand

Außenpolitik
30.12.2024 19:54

Georgien protestiert! Gegen die pro-russische Regierung und die Gefahr einer Autokratie, für Freiheit und Demokratie. Das Regime reagierte mit Gewalt und Propaganda. Doch der Protest geht weiter. Und wird immer kreativer.

Seit mehr als einem Monat gehen in Georgien die Menschen gegen die prorussische Regierung auf die Straßen, mit der Forderung nach freien und fairen Neuwahlen. Die Proteste eskalierten nach den umstrittenen Parlamentswahlen, die durch Manipulationsvorwürfe überschattet wurden. „Es gab Berichte und Videos von Wahlmanipulationen, etwa dass Bündel von Stimmzetteln einfach in Urnen gestopft wurden“, erklärt die Politologin und Autorin Nini Tsiklauri im „Krone“-Gespräch.

Die Wahlkommission, die für die Stimmenauszählung verantwortlich war, handelte unter Einfluss der prorussischen Regierungspartei „Georgischer Traum“. Besonders wütend machte die Menschen die Ankündigung, die EU-Beitrittsgespräche auf 2028 zu verschieben. „Das widerspricht nicht nur den Wahlversprechen, sondern auch der Verfassung, die Georgien auf EU- und NATO-Kurs verpflichtet.“

Die Polizei geht mit harter Hand gegen die Demonstranten vor. (Bild: APA/AP)
Die Polizei geht mit harter Hand gegen die Demonstranten vor.

Über 500 Personen wurden verhaftet, mehr als 350 niedergeschlagen, darunter ein 22-Jähriger, der im Koma lag. „Ein Todesfall könnte die Lage dramatisch verschärfen“, warnte Tsiklauri. Die Proteste haben das ganze Land und die im Ausland lebenden Georgier erfasst. „Erstmals stehen nicht nur die Menschen in Tiflis auf der Straße, sondern auch in Städten wie Batumi oder Zugdidi und gleichzeitig auch international“, berichtet sie. Besonders beeindruckend sei der Zusammenhalt zwischen der jungen europäischen Generation, die nichts mit einem autoritären Regime anfangen will, und die der älteren, die schon seit vielen Demonstrationen und Regierungsumbrüchen auf die Straßen gehen. „Meine 83-jährige Großmutter sagt, sie protestiert für ihre Enkel und Urenkel. Sie und viele andere ältere Menschen tragen Plakate mit Aufschriften wie: „Wir sind keine Babuschkas, wir sind Bebos (georg. für Oma).“ Sie lassen sich von nichts einschüchtern.“

28 neue Gesetze zur Repression
Als erste Amtshandlung hat der am Sonntag vereidigte, prorussische neue georgische Präsident Micheil Kawelaschwili 28 Gesetze unterzeichnet, die das Land erschüttert haben. Darunter Regelungen, die es ermöglichen, Menschen wahllos zu verhaften, um mögliche zukünftige Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. „Es ist absurd“, sagt Tsiklauri. „Brillen sind verboten, Masken sind verboten.“ Was sich in Georgien abspielt, ist mehr als nur Protest der Bevölkerung. Es ist ein Ausdruck des Widerstands gegen eine selbst ernannte Regierung, die das Land in Richtung eines totalitären Regimes zu steuern scheint. „Der Protest ist das Einzige, was uns noch bleibt – und das wissen die Menschen. „Wir können es uns nicht leisten, nicht auf die Straße zu gehen“, sagt Tsiklauri nachdrücklich.

Politologin Nini Tsiklauri (Bild: Nini Tsiklauri)
Politologin Nini Tsiklauri

Doch die Repressionen der Regierung zeigen sich nicht nur durch Gewalt. „Die ging kurzzeitig zurück. Dafür fuhr die strategische Propaganda-Maschine hoch“, erklärt Tsiklauri. Protestierende würden marginalisiert, ihre Anliegen lächerlich gemacht. Gelungen ist das laut Tsiklauri nicht. So wurde die ehemalige Präsidentin Salome Surabischwili, die sich als die letzte legitime politische Kraft in Georgien sieht, zur Inauguration von Trump eingeladen – nicht der amtierende Präsident. Für die prorussischen Machthaber der Partei „Georgischer Traum“ eine bittere Pille. Sie glaubten, Trump stünde auf ihrer Seite.

Frauen tanzen den Kriegertanz
Der Protest wird täglich kreativer, mit drei Generationen von Georgiern auf der Straße. Jeden Tag wird ein neues Motto von unterschiedlichen Gruppen wie Künstlern, Musikern, IT-lern oder Lehrern gefunden. Kurz vor Weihnachten führten die Demonstrierenden gemeinsam mit den Tänzern des Nationalen georgischen Balletts „Sukhishvili“ in Tiflis den traditionellen Kampftanz „Khorumi“ auf. „Es war unglaublich emotional“, erzählt Tsiklauri. „Junge Frauen standen an der Spitze des Tanzes, obwohl er traditionell von Männern in Kampfausrüstung geführt wird. Der Tanz ist in Georgien ein starkes Symbol für die Verteidigung der Freiheit.“

Symbolfigur des Widerstands: Ex-Präsidentin Salome Surabischwili (Bild: AP)
Symbolfigur des Widerstands: Ex-Präsidentin Salome Surabischwili

Auch Opernsängerin Anita Rachvelishvili brachte den Geist der Proteste auf die Straße, indem sie live vor Demonstrierenden auf der Straße sang. „Kultur ist ein zentraler Teil unseres Widerstands“, betont Tsiklauri. Dennoch bleiben die Herausforderungen gewaltig. „Wir bewegen uns immer mehr in Richtung eines totalitären Regimes“, warnt Tsiklauri. Alle Institutionen, bis auf die oppositionellen Medien, seien bereits von der Regierungspartei besetzt. „Unsere Wirtschaft kann diese vom Westen isolierte Regierung nicht lange tragen“, sagt Tsiklauri. Doch trotz der Bedrohungen und Rückschläge bleibt sie hoffnungsvoll. „Der Protest ist nicht nur ein Kampf gegen die Regierung. Es ist ein Kampf für unsere Zukunft und die Europas – und den geben wir nicht auf.“ 

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