(Bild: KMM)

„Adieu Sperrvertrag“

Warum der Wiener Gipfel von 1961 so „frostig“ war

Im Juni 1961 fand in Wien das Gipfeltreffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow statt. Zeitgeschichte-Experte Stefan Karner über einen unterschätzen sowjetischen Regierungschef und wie der Wiener Gipfel Ost und West nicht einander näher, sondern an den Rand eines Atomkriegs brachte.

„Krone“: Herr Prof. Karner, Sie haben zum „Wiener Gipfel“ geforscht. Warum fand gerade in Wien das Treffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow statt?
Stefan Karner: Österreich hatte bereits internationales Vertrauen als neutrales Land zwischen den beiden Machtblöcken des Kalten Krieges erworben, besonders nach dem Ungarnaufstand 1956. Chruschtschow kannte Österreich von seinem 13-tägigen Staatsbesuch im Jahr zuvor und von 1945, als er die sowjetische Zone, aber auch Südösterreich, erkundete. Kennedy hatte sich 1939 als junger Harvard-Student in Tirol und am Wörthersee aufgehalten. Wien war also für beide Seiten willkommen.

In welcher Phase befand sich der Kalte Krieg damals?
In einer ganz entscheidenden: nach der Blockade Berlins durch die Sowjets 1948, dem Koreakrieg 1950 bis1953 und dem Fiasko in der Schweinebucht von Kuba des gerade angelobten, jungen US-Präsidenten 1961. Kennedy brauchte und suchte das Gespräch mit Chruschtschow. Dieser war auf dem Höhepunkt seiner Macht und bot den Amis Paroli in Europa, in Südostasien und in Afrika, ja selbst vor der eigenen Haustür, in Kuba. Dort begann er heimlich Raketen zu stationieren, 1962 brachte dies die Welt an den Rand eines Atomkrieges.

Welche Erwartungen knüpfte man an den Gipfel?
Sehr hohe, hoffte man doch, die beiden mächtigsten Männer würden die großen Brocken der Welt lösen – Berlin, Abrüstung und Indochina. Kein Problem wurde gelöst, im Gegenteil – nur zwei Monate später ließ Moskau die Berliner Mauer bauen, Laos und Kambodscha versanken im Strudel des Vietnamkrieges mit Millionen Toten. Und zur Abrüstung: Nun gingen Aufrüstung und die Atomtests erst richtig los. „Adieu Sperrvertrag!“, raunten sich die US-Diplomaten zu.

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Nun gingen Aufrüstung und die Atomtests erst richtig los.

Stefan Karner über den verpatzten Wiener Gipfel

Was weiß man über die Atmosphäre des Treffens? Konnten Kennedy und Chruschtschow miteinander?
Die Atmosphäre war frostig. Chruschtschow drohte angriffig immer wieder mit Krieg, Kennedy war dem nicht gewachsen. Er hatte Chruschtschow völlig unterschätzt, war schlecht vorbereitet. Kennedy erzählte der New York Times: „Das war das Härteste, das ich je erlebt habe. Er hat mich windelweich geprügelt“ („he just beat the hell out of me“). Chruschtschow hingegen konnte dem Politbüro mit stolzgeschwellter Brust berichten: „Ich habe ihn das Fürchten gelehrt.“

Bundespräsident Adolf Schärf mit Kennedy und Chruschtschow (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Bundespräsident Adolf Schärf mit Kennedy und Chruschtschow

Gab es Vorfälle im Hintergrund, die damals verschwiegen wurden, die Sie später aber den Quellen entnehmen konnten?
Sehr viele. Etwa zu Berlin: Chruschtschow stellte das erste nukleare Ultimatum der Geschichte. Sollte der Westen seine Rechte über Westberlin nicht aufgeben und zu keinem Friedensvertrag bereit sein, würde die UdSSR einen solchen mit der DDR separat abschließen, was in letzter Konsequenz einen Atomkrieg bedeute. Kennedy fragte: „Wird der freie Zugang nach Westberlin blockiert?“ Darauf Chruschtschow: „Genau.“ Kennedy: „Nicht akzeptabel.“ Chruschtschow: „Wenn Sie wegen Berlin einen Krieg auslösen, dann besser jetzt als später, wenn es noch schlimmere Waffen gibt!“. Kennedy, tief geschockt, warnte zu Ende des Gesprächs: „Es wird einen kalten Winter geben in diesem Jahr!“ Dieser kam schon im August.

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Kennedy hatte Chruschtschow völlig unterschätzt.

Stefan Karner

First Lady Jackie Kennedy und Nina Chruschtschowa (Bild: Everett Collection / picturedesk.com)
First Lady Jackie Kennedy und Nina Chruschtschowa

Die beiden First Ladies begleiteten ihre Ehemänner nach Wien. Wie unterschied sich das Damenprogramm von Jackie Kennedy und Nina Chruschtschowa?Grundlegend. Selbst der Unterschied zwischen den beiden „Gipfeldamen“ war groß. Hier die mondäne, frankophile Jackie, dort die doch etwas hausbackene, aber warmherzige Nina, aus einer ukrainischen Bauernfamilie stammend. Das „Jackie, Jackie“-Gebrüll nach der Landung in Schwechat war beträchtlich. Die Medien beschäftigten sich vor allem mit ihrem Outfit, selbst Nikita schien beim Empfang in Schönbrunn von ihr hingerissen. Nina, ohne Make-up, im einfach geschnittenen Kleid, war das Gegenbild. Dass sie fließend Englisch sprach und gut Klavier spielte, wurde nicht vermerkt. Sie wirkte als eine Art Entspannungssignal, weil sie als erste Frau eines Kreml-Chefs ihren Mann begleitete.

Zur Person
Univ. Prof Stefan Karner
(Bild: Reinhard HOLL)

war bis zu seiner Emeritierung Vorstand des Institutes für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz und ist der Gründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung. Seine Forschungsergebnisse wurden in zahlreichen Büchern publiziert.

Welche Ergebnisse brachte der Wiener Gipfel?
Für die internationale Politik war Wien ein Gipfel der nicht verwirklichten Möglichkeiten. Für Österreich war es ein deutlicher Prestigeerfolg. Wien, bald auch Salzburg, konnten sich international als Orte für Gipfeltreffen positionieren. Es folgten Jimmy Carter – Leonid Breschnew in Wien 1979, Anwar Sadat und Gerald Ford in Salzburg 1975, die vielen Nachfolgetreffen von Helsinki, die zahlreichen Abrüstungsverhandlungen und die Etablierung von Wien als dritte UNO-Stadt.

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