Verdrängungswettbewerb

Streaming und lineares TV nähern sich zunehmend an

Web
02.01.2025 08:19

Fünf Jahre ist es bald her, dass die Pandemie Menschen in den Hausarrest zwang und als Nebeneffekt weltweit einen gewaltigen Push bei Video-Streaming auslöste. Netflix und Co. erlebten traumhafte Zuwachsraten bei Nutzern und Nutzung. Doch die Begeisterung unter den Anbietern ist inzwischen gedämpfter.

Denn einige Player haben die Gewinnzone bisher nicht erreicht. Und der Kampf um die Programmware – die besten Serien und beliebtesten Filme – wird aggressiver. Manche Programm-Produzenten verweigern sich auch. Deutschlands wichtigster Autorenfilmer Wim Wenders („Paris, Texas“) etwa: „Ich arbeite mit den Streamern nicht, weil sie mir zu gierig sind, sie behalten ja alle Rechte“, sagt der Filmemacher der Deutschen Presse-Agentur. „Was wollen sie mit den Inhalten denn machen? Nach der Auswertung kommen sie alle in eine große Gruft, und viele sind dann für alle Zeiten tot.“

Alle fischen im selben Becken
Ein Verdrängungswettbewerb macht sich breit. „Alle, ob Sender oder Streamingportale, wollen inzwischen die gleichen Inhalte zeigen und suchen sie hier auch“, schildert das Vorstandsmitglied des Londoner Unterhaltungsproduzenten Fremantle, Jens Richter, kürzlich auf der weltgrößten TV-Messe Mipcom in Cannes. Da nun alle im selben Becken fischen würden, würden auch die Grenzen immer mehr verschwimmen.

„Klassische Sender und Streamer nähern sich immer mehr an, Amazon oder Netflix etwa setzen jetzt Werbung ein und zeigen Live-Übertragungen, während die TV-Sender ihren Fokus auf ihre Streamingangebote legen“, so Richter. Ein Beispiel aus seinem Haus ist die Show „Got Talent“, die beim italienischen Disney+-Angebot in einer lokalen Version abrufbar ist. In Deutschland war es als „Das Supertalent“ bei RTL zu sehen. Marken werden stärker austauschbar.

TV-Sender verlängern ihre Marken
Zugleich nutzen TV-Stationen bekannte Formate aus ihrem linearen Programm, um Reichweite auf ihren Online-Plattformen zu erreichen. Einen ganz eigenen Weg geht Netflix. Obwohl das US-Unternehmen bereits viele erfolgreiche Serien selbst produziert hat, wollte die Mutter aller Streamingdienste sie noch nie an einen anderen Anbieter verkaufen – das macht sonst in der Branche niemand so. Dabei sitzt Netflix laut dem letzten Geschäftsbericht auf Gesamtschulden von 16 Milliarden Dollar (15,3 Milliarden Euro).

Netflix geht seit einigen Monaten gegen das Teilen von Passwörtern über einen Haushalt hinaus vor. Das treibt auch das Wachstum der Nutzerzahlen an. Viele bisherige Trittbrettfahrer holten sich ein eigenes Abo, statt Netflix den Rücken zu kehren. Dennoch wird der weitere wirtschaftliche Erfolg wohl auch mit der Annäherung an TV einhergehen: „Nur mit Werbung und dem Handel der Kundendaten können Streamer Gewinne erzielen“, ist sich der Fernsehwissenschafter Lothar Mikos sicher.

Ko-Existenz
Umgekehrt hält sich das gewohnte Fernsehen, das seine Streaming-Produktion immer weiter ausbaut, immer noch auf einem großen Sockel. Laut aktueller Bewegtbildstudie hat der TV-Bereich in der Gesamtzielgruppe mit 77 Prozent weiterhin klar die Nase vorn. „Der von vielen prognostizierte Absturz von TV ist de facto nicht eingetreten“, sagte dazu Thomas Gruber, Obman der Arbeitsgemeinschaft Teletest. „Es zeichnet sich das Bild einer Ko-Existenz von TV-Inhalten und Online-Alternativen ab, in denen beide Seiten ihren Platz gefunden haben könnten“, meinte RTR-Medien-Geschäftsführer Wolfgang Struber.

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