Am 18. Oktober 1221 verlieh der Babenbergerherzog Leopold VI. Wien das Stadtrechtsprivileg. Warum Wien erst spät das Stadtrecht bekam und was eine „Niederlage“ damit zu tun hat, erklärt der Experte der Wiener Stadtgeschichtsforschung, Professor Peter Csendes.
„Krone“: Herr Professor Csendes, wenn wir 800 Jahre zurückgehen, wie kann man sich Wien zu dieser Zeit vorstellen?
Peter Csendes: An der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert war Wien sehr stark erweitert worden und erreichte jene Ausdehnung, die es, vereinfacht gesprochen, bis zum Fall der Basteien im 19. Jahrhundert hatte. Es gab allerdings auch damals schon Vorstädte, besonders an den Ausfallsstraßen.
Es heißt, dass der Babenberger Leopold VI. am 18. Oktober 1221 auf drängende Bitte der Bürger Wien das Stadtrecht verliehen hat. Warum war es für die damaligen Wiener so wichtig, dass ihr Lebens- und Arbeitsort endlich zur Stadt erhoben wird?
Die „Bitten“ gehören zur Topik von Privilegien. Wien hatte 1221 schon seit vielen Jahrzehnten den Status einer Stadt innegehabt. Es ist daher deutlich festzuhalten, dass keine Stadterhebung stattgefunden hat, sondern erstmals eine Kodifizierung von Rechten, Sicherheits- und Handelsvorschriften erfolgt ist, die auch erste Strukturen einer städtischen Verwaltung erkennen lassen.
Angeblich hat die relativ späte Verleihung des Stadtrechts für Wien mit einer „Niederlage“, nämlich dem Stapelrecht zu tun. Was hat es damit auf sich?
Wien erhielt in der Urkunde auch das Niederlagsrecht, das fremde Kaufleute an der Durchfahrt hinderte und sie zwang, ihre Waren in der Stadt anzubieten, was Wien den Zwischenhandel an der Donau sicherte. Wahrscheinlich war dieses Vorrecht der Grund für die Ausstellung des Privilegs.
Das Stapelrecht war der Grundstein für den Wohlstand Wiens im Mittelalter. Es verpflichtete fremde Kaufleute, ihre Waren vor dem Weitertransport den Wiener Bürgern zum Kauf anzubieten. Die Wiener konnten diese Waren dann mit einer Gewinnspanne weiterverkaufen.
Was regelte oder garantierte das Stadtrechtsprivileg?
Wir finden viele Bestimmungen zum Straf- und Handelsrecht, aber auch zum Erbrecht. Es gibt auch Hinweise auf Vorrechte einzelner Bürgerschichten. Denn nur für Bürger galt das Privileg. Es wurde freilich bei Weitem nicht das gesamte materielle Recht der Stadt erfasst.
Der Experte der Wiener Stadtgeschichte war stellvertretender Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Direktor an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er lehrte Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien und veröffentlichte grundlegende Werke zur Wiener Stadtgeschichte.
Heute haben wir nur mehr eine Abschrift des Stadtrechtsprivilegs von 1221. Was ist mit dem Original passiert?
Wir wissen es nicht sicher. Es könnte bei einem Brand vernichtet worden sein, aber da alle Originale der Wiener Stadtrechtsprivilegien vor 1296 verloren sind, spricht alles dafür, dass es Folgen des Aufstands gegen Herzog Albrecht I. im Jahr 1288 waren. Er zog alle Privilegien ein und ließ ihm unliebsame Inhalte herausschneiden.
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