Juhu 2024: Wie eine Wiederentdeckung für größtes Opernglück sorgt, eine Rarität dank Weltkapellmeister nicht nur den Papst selig macht und eine neue Oper restlos begeistert
TOP I. „Der Idiot“ von Mieczysław Weinberg, Salzburger Festspiele: Woran das Sprechtheater gerne scheitert, hat Mieczysław Weinberg geschafft: Aus Dostojewskis Romanschwarte „Der Idiot“ drei Stunden faszinierendes Musiktheater komprimiert. Das in seiner ganzen Qualität zu erkennen, verdankt man den Salzburger Festspielen. Denen gelang der kaum gespielte„Idiot“ als Referenzaufführung.
Eine Großtat, die sich besonders Bogdan Volkov in der Titelpartie verdankt. Selten hat man Rolle und Darsteller so in Deckung erlebt, etwa wenn Volkov/Myschkin einen epileptischen Anfall durchleidet, dass es einem kalt über den Rücken läuft.
Krzysztof Warlikowski inszenierte schnörkellos präzise, sich bis ins ergreifende Finale groß steigernd, in der genialen Ausstattung von Małgorzata Szczęśniak. Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla ließ die Partitur mit den Wiener Philharmonikern dunkel glitzern und strahlen. Treffender auf den Punkt gebracht, kann Oper kaum gelingen.
TOP II. „Palestrina“ von Hans Pfitzner, Staatsoper Wien: Ein Triumph mit Jubel und Ovationen! Christian Thielemann leitete die Wiederaufnahme von Herbert Wernickes asketisch sparsamer, im Einheitsbühnenbild etwas unspektakulär gewordener Inszenierung des „Palestrina“ von Hans Pfitzner aus dem Jahr 1999.
Wunderbar, zu welcher Farbenpracht er das Staatsopernorchester animiert, mit welcher Intensität er die brutalen Machtkämpfe der Kirchenfürsten während des Konzils von Trient gestaltet. Perfekt aufeinander abgestimmt war die Besetzung der44 Rollen.
Michael Spyres’ nobler Tenor zeichnet einen beeindruckenden Komponisten Palestrina in seinem Reformwillen und als Weltverbesserer. Ein großer Ensemble-Abend. Unverständlich, dass das faszinierende Werk zur selten gespielten Rarität im Spielplan wurde.
TOP III. „Alma“ von Ella Milch-Sheriff, Volksoper Wien: Eine berührende Hommage für Alma Mahler-Werfel, die Society-Ikone Wiens um 1900. Die Israeli Ella Milch-Sheriff komponierte im Auftrag der Volksoper„Alma“: Moderne, vor der man sich nicht fürchten muss, mit effektvollen Walzern, Märschen, Tangos.
Ruth Brauer-Kvam inszenierte auf große Effekte bedacht, mit Gefühl für das turbulente Leben der „Muse von vier Künsten“, für ihr dramatisches Schicksal als Mutter wider Willen. Am Ende erschreckt das alt gewordene Monster Alma, eine Sphinx. Annette Dasch begeistert in der Titelrolle. Souverän am Pult: Omer Meir Wellber.
Appendix – Die Seebühnen zwischen Mörbisch und Ried am Wolfgangsee: Musical-Erfolge brachte der Open-Air-Sommer. Sowohl das neue „Wolf“-Mystical auf der eigens errichteten Seebühne im Salzkammergut als auch der frech ins London von heute verlegte Klassiker „My Fair Lady“ im Burgenland begeisterten ihr Publikum besonders.
Oje 2024: Wenn Verdi in Kostümpracht verreckt, Carmen sich vor lauter Heute nicht mehr wiedererkennt und man spontan bemerkt, dass die Bühnentechnik doch noch nicht funktioniert
FLOP I. „Das Phantom des MusikTheaters“, Theater an der Wien: Mit Antritt von Stefan Herheim als Nachfolger von Gründungsintendant Roland Geyer wurde dem grandios als drittes Wiener Opernhaus etablierten Theater an der Wien ein lustiges „Musik“ im Titel aufgesetzt. Eine Spielerei mit visionärem Potenzial!
Denn nach zwei mit ein paar Erfolgen durchwachsenen Saisonen im ungeliebten Ausweichquartier MQ wollte man am 12. Oktober das frisch sanierte Theater an der Wien mit Mozarts „Idomeneo“ in Herheims Regie wiedereröffnen.
Letztlich blieb vom „Theater“ aber nur noch die „Musik“. Am 9. September- da hätten die„Idomeneo“-Proben längst in vollem Gang sein müssen -landete bei den verdutzten Abonnenten ein Mail mit brisantem Inhalt: Alle szenischen Aufführungen müssen bis Jahresende abgesagt werden, weil die Bühnentechnik nicht rechtzeitig fertig wurde! Auch ein sommerlicher Wassereinbruch wurde als Grund ins Treffen geführt.
Flauer Start mit gar nicht festlichem „Idomeneo“
Die Eröffnung wurde dennoch durchgezogen. Mit einem „Idomeneo“-Konzert, von einer Qualität, die dem ehrwürdigen Haus nicht zur Zierde gereichte.
Echtes Musiktheater gibt es jetzt erst ab 18. Jänner mit „Das Spitzentuch der Königin“ von Johann Strauss – übrigens als Koproduktion mit dem von Ex-Intendant Roland Geyer verantworteten Strauss-Jahr.
FLOP II. „Don Carlo“ von Verdi, Staatsoper Wien: Wüstes Buhgeschrei und Protestrufe schon während der Aufführung. „So ein Schmarrn“, schimpften die Premierenbesucher dieses „Don Carlo“, den Kirill Serebrennikov, der von Putin jahrelang verfolgte russische Starregisseur, in ein Institut für Kostümkunde verlegte. Die Hauptfiguren verdoppelte er durch lebende Kleiderpuppen.
Verdis Oper wurde zum Endspiel in grauer Tristesse: In Betonräumen bei Müllcontainern verwelken Elisabeth, Carlos, PhilippI., Eboli und Rodrigo. Immerhin versuchte Philippe Jordan am Pult, die Produktion aus ihrer Fadesse zu holen. Im Mittelpunkt: die großartige Asmik Grigorian als Elisabetta, umringt von einer Herrenriege der Mittelklasse.
FLOP III. „Carmen“ von Bizet, Volksoper Wien: Ein schlechtes Omen? Schon vorab hatte Volksopernchefin Lotte de Beer gestanden, sie habe niemanden für die Regie der „Carmen“ gefunden. Also schritt sie tapfer selbst zur Inszenierungs-Tat, obwohl ihr schon einmal dieser Selbstläufer ziemlich misslungen ist. So viel, bei uns unbekannte Offenheit ehrt die sympathische Niederländerin.
Ihre neue „Carmen“ gelang dennoch wieder nicht. Zu viel gewollt, zu arg verrannt im Versuch, diesen Archetypus einer starken, sich bis in den Tod treu bleibenden Frau „heutig“ hinzubiegen. Da blieb auch die großartige Katia Ledoux in der Titelrolle etwas auf der Strecke.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.