Theater: Tops & Flops

Gold für die Josefstadt, Ab und Auf an der Burg

Kultur
04.01.2025 19:22

Gelungen 2024: Ehe ihm Intriganten das Leben vermiesten, schuf Herbert Föttinger die Inszenierung des Jahres. Stefan Bachmann übernahm mit Fortüne die Burg. „Jedermann“ hat sich erholt.

TOP I. „Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt, Theater in der Josefstadt: Wer statt Dramaturgengequatsche und Video-Müll lieber sein Stück sehen will, vertraut es dem attraktivsten Uraufführungstheater der Republik an: Nach Peter Turrini und Daniel Kehlmann folgte nun auch der junge Österreicher Thomas Arzt der Einladung des Intendanten Herbert Föttinger.

Das fulminante Lehrstück über die Wiener Februarkämpfe des Jahres 1934 löste nach endloser Corona-bedingter Verschiebung hellen Jubel aus. Das Haus wurde bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten gefordert, Regisseur Föttinger und das Bühnenbildkollektiv „Die Schichtarbeiter“ ließen in finsterer Egger-Lienz-Ästhetik die Leitkultur pervertierter Heimatbegriffe wüten.

Katharina Klar und Johanna Mahaffy leuchteten im Zentrum eines Luxusensembles. Wenig später scheiterte ein von anonymen Denunzianten geführter Putsch gegen den Direktor, der das Haus nun im Frühsommer 2026 nach erfolgreichen 20 Jahren an Marie Rötzer übergeben wird.

„Liliom“ mit Stefanie Reinsperger und Maresi Riegner (Bild: (c)Tommy Hetzel)
„Liliom“ mit Stefanie Reinsperger und Maresi Riegner

TOP II. „Liliom“ von Franz Molnár, Burgtheater Wien: Der deutsche Regisseur Philipp Stölzl wagte bei seinem Burg-Debüt den Weg zurück zu den zeitlosen Tugenden des Theaters: Ein Abend voll Poesie, Herzenswärme und drastischem Witz schwingt sich zur großen, perfekt gearbeiteten Menschheitstragödie auf.

Über allem leuchtet Stefanie Reinsperger, die in der Titelrolle ein unglaubliches Maß an Verwandlung vollzieht und sich im Wortsinn die Seele aus dem Leib spielt. Der Abend steht exemplarisch für den überwiegend geglückten Beginn der Ära Stefan Bachmann, die sich großen Texten und faszinierenden Schauspielern verschrieben hat.

Um Karten für die Brillanz-Soli von Niki Ofczarek (Bernhards „Holzfällen“) und Nils Strunk (Zweigs „Schachnovelle“) zu bekommen, bedarf es schon strategischer Fähigkeiten. Diesseits und jenseits der Rampe genießt man mittlerweile die positive Stimmung, die es dem freundlichen Schweizer Bachmann ermöglichte, an seinen ersten 101 Tagen im Amt 15 Premieren zu stemmen.

Jedermann Philipp Hochmair und seine Buhlschaft, gespielt von Delila Piasko. (Bild: Schöndorfer Karl/Karl Schöndorfer TOPPRESS)
Jedermann Philipp Hochmair und seine Buhlschaft, gespielt von Delila Piasko.

TOP III. „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal, Salzburger Festspiele: Viel hätte nicht gefehlt, und der produktivste Goldesel der Festspielgeschichte wäre mit Darmverschluss ausgefallen: Die für den schnellen Verbrauch gedachte Notinszenierung, die der Regisseur Michael Sturminger 2017 nach einem festspielinternen Zerwürfnis auf den Domplatz improvisiert hatte, tauchte im Gefolge der Corona-Krise sieben Jahre unter dem Bühnenboden durch.

Sie wurde immer banaler, und als im Sommer 2023 der Publikumsunmut bedrohlich wuchs, musste neben Sturminger auch der schuldlose Michael Maertens gehen.

Intendant Hinterhäuser wusste Rat: Die betörend unprovinzielle Inszenierung des Kanadiers Robert Carsen konzentrierte sich nach etwas aufgedonnertem Beginn auf den umjubelten Titelprasser Philipp Hochmair, dem unvergessliche Momente der Einsamkeit und Todesangst gelangen.

Zähe Südstaaten-Oper: „Orpheus steigt herab“ (Bild: © Matthias Horn)
Zähe Südstaaten-Oper: „Orpheus steigt herab“

Gescheitert 2024: Kusejs zäher, grantiger Abschied vertrieb das Publikum, Salzburgs neue Schauspielchefin scheiterte sofort. Und der Burg unterlief ein massiver Ausreißer nach unten.

FLOP I. „Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams, Burgtheater Wien:  Mit Tennessee Williams’ zäher Südstaaten-Oper hat es uns der ungern scheidende Direktor Martin Kušej noch einmal gegeben: Seine letzte Inszenierung am Dienstort ließ uns am Schicksal eines schönen, wilden, berauschend singenden Heldenjünglings teilhaben, der sich in ein reaktionäres Kaff herablässt und dort zu Tode gebracht wird.

Das überlange, finster aufgebrezelte Malheur schaffte trotz guter Schauspieler die Übernahme in den Herbst nicht, weil das Publikum verweigerte.

Die nach rekordkurzen fünf Jahren beendete Direktion brachte es nie zur Ära: Anders als Staatsopern-Kollege Bogdan Roščić scherte sich Kušej anno Corona nicht um sein Haus und gab anlässlich der Teichtmeister-Katastrophe abermals die Personalunion aus Krise und Manager.

Auf der Haben-Seite stehen die Wiederentdeckung der von den Nazis vertriebenen Schriftstellerinnen Anna Gmeyner und Maria Lazar und einige gelungene Schauspieler-Engagements: Bibiana Beglau und Norman Hacker kamen aus München, Felix Kammerer, der mittlerweile zum Filmstar wuchs, engagierte er von der Schauspielschule weg.

„Orestie I – IV“ auf der Salzburger Perner-Insel (Bild: Salzburger Festspiele / Armin Smailovic)
„Orestie I – IV“ auf der Salzburger Perner-Insel

FLOP II: „Orestie I – IV“, Salzburger Festspiele: Aus welchen Gründen immer die Festspielgremien ihre Schauspielchefin Marina Davydova nach nur einem Jahr feuerten: Mit ihrem Debütprogramm machte sie selbst Sympathisanten das Mitleid schwer. Das wirre, form- und konzeptlose Konglomerat aus polyglottem Theater, Tanz und Performance schwang sich unter missbräuchlicher Verwendung der griechischen Antike zum Tiefstpunkt ab.

Unter dem Hohngelächter der Fachpresse warf der Regisseur Nicolas Stemann die postdramatische Mischmaschine an: Erklärtexte von Wikipedia- und Kinderfunk-Anmutung, eine niederschmetternde Talkshow-Parodie, lärmende Gesangseinlagen und eine Publikumsabstimmung über die Schuld des Muttermörders Orest verklumpten sich zum Stumpfsinn in Überlänge. PS.: Den gelungenen „Jedermann“ hat Intendant Hinterhäuser selbst ersonnen.

Hamlet: Michael Maertens, Marie-Luise Stockinger, Kate Strong, Alexander Angeletta (Bild: Burgtheater/Lalo Jodlbauer)
Hamlet: Michael Maertens, Marie-Luise Stockinger, Kate Strong, Alexander Angeletta

FLOP III. Hamlet“ von William Shakespeare, Burgtheater: Wäre dieser Eröffnungsabend für die Absichten der neuen Burgtheaterdirektion gestanden, hätte man sich um das Haus große Sorgen machen müssen. Denn Karin Henkels Inszenierung gleicht einer Parodie auf das schon fast mumifizierte postdramatische Theater der Jahrtausendwende: Die Titelrolle ist fünfgeteilt, das Stück zum unbekömmlichen Salat aus Shakespeare-Fragmenten, theatertheoretischen Platituden und deutscher Klamaukpädagogik gehäckselt.

Aber es war Gott sei Dank anders beabsichtigt. Der größte Publikumskracher der Theatergeschichte mit Iffland-Ring-Träger Jens Harzer: Das hätte etwas werden können, doch ist Harzer vermutlich wegen der Filetierung des Dänenprinzen nach der ersten Leseprobe abgereist. Jetzt stimmt wieder alles: Das Publikum schimpft, und die Einladung zum bizarren Berliner Theatertreffen scheint sicher.

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