Misthaufen, Hühner und Statisten, die Bauern spielen: Frankreichs Königin Marie Antoinette erfüllte sich ihren großen Traum vom einfachen Leben und ließ im Schlosspark von Versailles ein authentisches Bauerndorf errichten. Dort molk sie Kühe, fütterte Hühner und hütete Schafe.
Es ist ein kleines Idyll, dieses winzige normannische Dorf. Am Weiher rattert die Mühle. Kühe, Ziegen und Lämmer grasen friedlich auf den Wiesen, und rund um die Bauernhäuser herrscht rege Betriebsamkeit.
Doch nichts an dieser Szenerie ist echt. Das normannische Dorf ist ein Fantasiedorf, entstanden auf dem Reißbrett, und es liegt nicht in der Normandie, sondern inmitten des riesigen Schlossparks von Versailles. Es ist das luxuriöse Spielzeug der französischen Königin Marie Antoinette (1755-1793). Es heißt „Hameau de la Reine“, das Dorf der Königin.
Marie Antoinettes Bauerndorf wird aus dem Boden gestampft
Die Tochter der österreichischen Landesmutter Maria Theresia, die mit 14 Jahren nach Frankreich verheiratet wurde, lebt in unvorstellbarem Luxus. Doch sie träumt von etwas ganz anderem: von einem ruhigen und beschaulichen Leben auf dem Land, wo sie nicht Königin, sondern eine einfache Frau vom Lande ist. Wenn man als Königin von Frankreich jedoch finanziell aus dem Vollen schöpfen kann, muss so ein Wunsch nicht unerfüllt bleiben.
Und so entsteht in einem Winkel des riesigen Schlossparks von Versailles, neben dem Lustschloss Petit Trianon ein Puppendorf für Marie Antoinette. Der berühmte Architekt Richard Mique erhält den eigenartigen Auftrag, ein authentisches normannisches Bauerndorf zu errichten. Inmitten des barocken Gartens von Versailles mit seinen geometrischen Figuren legt der Architekt eine natürliche Landschaft an: Ein sanfter Hügel wird aufgeworfen, ein kleiner Weiher angelegt, ein Bach durchzieht diese künstliche Natur – das Wasser dafür muss über kilometerlange Rohre aus einem Reservoir hierher transportiert werden.
Außen pfui, innen hui, ist das Prinzip des königlichen Dorfes
Hier errichtet Richard Mique acht Bauernhäuser mit Strohdächern, eine Mühle, ein Taubenhaus, einen Aussichtsturm und das berühmte „Maison de la Reine“, das Haus der Königin und das größte des Dorfes. Dazu kommen Ställe, Schober und Scheunen. Damit die Häuser auch authentisch wirken, werden sie sofort nach der Fertigstellung speziell behandelt: Der Kalkverputz wird abgeschlagen, Schindeln abgerissen, die Schornsteine schwarz getüncht und das Holz präpariert, damit es verwittert aussieht. Außen pfui, innen hui, ist das Prinzip des königlichen Dorfes – denn das ärmliche Innenleben der normannischen Bauernhäuser, das nur aus einem Lehmboden und wenigen Holzmöbel bestand, muss nun wirklich nicht sein.
Die passenden Statisten sorgen für die richtige Atmosphäre
Vor allem das Haus der Königin soll innen jenen Komfort bieten, den eine Dame von höchstem Rang gewohnt ist. Deshalb ist das Innere dieses Hauses auch ausgestattet wie ein Palais: Es gibt verspiegelte Wände, Farbfliesen, Keramiköfen, die behagliche Wärme ausstrahlen, kostbare Kanapees und natürlich ein Boudoir für Marie Antoinette.
Doch die Königin will nicht nur ein leeres Dorf, sie will sich auch wirklich fühlen wie auf dem Land. Erst die passenden Statisten sorgen für die richtige Atmosphäre: Bauern und Bäuerinnen, Müller und Müllerinnen sowie Schäferinnen werden in den Versailler Schlosspark geholt, damit sie hier das tun, was sie am besten können, mit dem kleinen Unterschied, dass sie jetzt zur Unterhaltung einer gelangweilten Königin ihr Tagwerk verrichten: säen, ernten, mähen, düngen und das Vieh versorgen. Es wächst der Misthaufen und die Hühner laufen herum – authentischer geht es nicht mehr.
Marie Antoinette führt putzige Babyschafe am seidenen Band spazieren
„Hier bin ich ich selbst“, seufzt Marie Antoinette regelmäßig, wenn sie in einfachen, aber doch immens teuren Seidenkleidern unter ihrem Sonnenschirm in der Wiese sitzt, ihren Bauernstatisten bei der Arbeit und den Frauen beim Wäschewaschen im Bach zusieht oder wenn sie putzige Babyschafe am seidenen Band spazieren führt.
Die Königin legt auch wirklich Hand an in ihrem Bauerndorf, allerdings auf Königinnenart: Bevor sie Kühe melkt, wird der Stall gereinigt, die Kühe gewaschen, das Euter poliert und der kostbare Kübel aus der Manufaktur Sèvres bereitgestellt. Besonders gerne hütet sie die Schafe, dafür hat sie sich extra spezielle Schäferinnenkostüme schneidern lassen. In ihr Dorf zieht sich Marie Antoinette in den letzten Jahren als Königin fast täglich zurück, hier dürfen sich weder die Hofgesellschaft noch die Diener blicken lassen, nur ihre Kinder und ausgewählte Freunde haben Zutritt.
Das lebensgroße Puppendorf war eine Flucht vor der Realität
Marie Antoinettes Tragödie war, dass sie keine Ahnung vom Zustand ihres Landes hatte. Während sie sich in ihrem lebensgroßen Puppendorf ihren Fantasien vom echten, wahren Leben der glücklichen Bauern hingab, begannen sich diese in Wirklichkeit bereits im ganzen Land zu erheben. Doch von Missernten, Hungeraufständen und einer drückenden Steuerlast hatte die Königin keine Ahnung. Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution im Jahr 1789 war Marie Antoinettes Idyll jäh zu Ende, vier Jahre später wurde die ehemalige Königin enthauptet.
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