Die junge Britin Anna B Savage sucht in ihrer folkloristischen Musik nach Auswegen aus der eigenen Unsicherheit. Mit ihrem Drittwerk „You & I Are Earth“ hat sich die 25-Jährige tief in die Landschaft und die Seele Irlands begeben und daraus ein Album voll kühler Schönheit kreiert.
Im Rahmenprogramm der „Viennale“ 2016 wird Anna B Savage das erste Mal in Österreich vorstellig. Das Jungtalent ist damals zarte 16 Jahre alt und zieht mit ihrer markanten Stimme und malerischen Folk-Songs die Aufmerksamkeit von Künstlern wie Father John Misty oder Jenny Hval auf sich. Ihre schlicht „EP“ betitelte erste EP ist ein klangliches Amalgam aus Jazz, Folk, Singer/Songwritertum und Art-Pop. Die dazu passenden Touren und Liveauftritte kommen für Anna aber etwas zu früh. Die in ihren frühen Liedern besungenen Ängste über Unsicherheiten und Selbstzweifel breiten sich in der Realität wieder aus und treiben die introvertierte Künstlerin ins Off. Sie befreit sich aus einer üblen Beziehung, kündigt ihre nervigen Jobs und arbeitet wieder an Musik. 2020 verpufft ihr Debütalbum „A Common Turn“ in den Pandemie-Wirren, 2023 folgt das introspektive „in/Flux“, mit dem sie für ihre erste richtige Show ins Wiener B72 kommt.
Musikalischer Haushalt
„Mir fiel das zweite Album schon wesentlich leichter als das erste“, erzählt sie der „Krone“ im Interview, „vor ,A Common Turn‘ war ich extrem verunsichert. Ich hatte ja noch nie ein Album geschrieben und keine Ahnung, wie man so etwas hinkriegen sollte. Beim zweiten Mal wusste ich bereits, was auf mich zukommt und es fiel mir auch wesentlich leichter, mich zu öffnen und mit anderen zusammenzuarbeiten.“ Savage stammt aus einem musikalischen Haushalt und wurde mit Klassik und Jazz erzogen. Mutter und Vater singen und als Kind sieht sie die beiden täglich bei den Proben in der Londoner Royal Albert Hall, beim Aufführen von Bach-Kompositionen. „Eine Zeit lang musste ich mich dazu zwingen, Songs zu schreiben und an ihnen zu arbeiten“, erinnert sie sich zurück, „es sollte eigentlich Spaß machen, aber das tat es nicht immer. Dessen musste ich mir erst klar werden.“
Dieser Tage erscheint ihr drittes Album „You & I Are Earth“ und wie es der Titel suggeriert, lässt sich die heute 25-Jährige damit tief in die Welt der Natur fallen. Geschrieben wurden die Songs in der pittoresken Landschaft Irlands. In Dublin machte sie bereits 2020 einen Master in Musik. Komponisten und Schriftsteller aus dem Land der Schafe begeistern sie genauso wie ihre zwei irischen Lehrer, die ihr vor einer Dekade in Manchester die Kunst der Poesie näherbrachten. Savage wühlt sich in irische Literatur, lernt viel von der Geschichte des Landes und lässt sich von der Landschaft inspirieren. Auf aktuellen Promobildern vergräbt sie sich etwa tief in Mooslandschaften und zeigt damit, dass sie sich gerade in einer ständig alarmisierten Welt der Entrücktheit und der Empörung gerne mit dem verwurzelt, was das Wesen und das Leben erst so richtig ausmacht.
Neue Kräfte freigemacht
Das neue Album schließt musikalisch nahtlos an den Vorgänger an, wirkt in seiner Grundaufmachung aber lebensbejahender und positiver. So als hätte Savages Wechsel von London nach Irland neue Kräfte freigemacht. Schon im Opener „Talk To Me“ werden die Hörer von Meeresrauschen und sanften Streichern umschmiegt. Die offen zur Schau gestellte Intimität ist kein Stilmittel, sondern pure Notwendigkeit im künstlerischen Schaffen der Britin. Nicht zuletzt die Pandemie hat sie noch einmal ordentlich durchgerüttelt. „Ich war unheimlich vorsichtig und auch ängstlich. Ich bin dann von London weggezogen, weil mir die Enge der Stadt in dieser Zeit zu viel wurde. Vielleicht habe ich auch deshalb länger gebraucht, um wieder hineinzufinden und mich wohlzufühlen.“ Das neue Album behandelt auch zeitgeistige Themen zwischen Dualität und Transformation – Dinge, die Savage als Person und Musikerin fühlt und empfindet.
Der Albumtitel ist einer Plakette aus dem 17. Jahrhundert entlehnt, die Savage in einer Londoner Schneiderei gesehen hat. Perfekt spiegelt der Spruch das Sentiment und den Lebenszugang der Künstlerin wider. Das Album überzeugt mit einer klar in den Vordergrund gekehrten Verletzlichkeit, versteckt sich aber nicht vor der Realität. „I Reach For You In My Sleep“, „The Rest Of Our Lives” und die inoffizielle Irland-Hymne „Donegal” überzeugen mit einer eleganten, sehr gemütlichen Aufmachung, die vor allem von Annas ausdrucksstarker Stimme lebt. „Ich mache nicht nur Musik, sondern habe viele Leidenschaften. Malen, Stricken und Kochen gehören da auch dazu. All diese Ventile sind für mich eine Notwendigkeit.“ Das Einswerden mit der Erde und die Verknüpfung mit der Natur sind die Grundpfeiler des sanften Werkes, das ein sich ruhender Gegenpol zur Hektik des Alltags ist.
Kunst ist essenziell
Eine Live-Rückkehr nach Österreich wäre auch für Savage erwünscht, ist zum gegebenen Zeitpunkt aber noch offen. Bei ihrem letzten Stelldichein in Wien war sie tagsüber in diversen Museen unterwegs, um sich künstlerisch inspirieren zu lassen. „Meine Mutter malt auch gerne und ich besuche Galerien, seit ich mich erinnern kann. Sie gehören für mich genauso wie Musik und Museen zu meinem gesamten Kunstverständnis.“ „You & I Are Earth“ ist ein weiteres Kapitel unverfälschter und purer Tonkunst, wie sie nur von Personen erschaffen werden, die Musik nicht als reines Ventil für Ruhm und Erfolg betrachten. „Eine Zeit lang habe ich meine frisch geschriebenen Songs zwei Vertrauenspersonen geschickt. Ich bekam immer dasselbe Feedback: Eine Person fand den Song genial, die andere nicht gut genug. Und das abwechselnd. Daraus habe ich gelernt, dass ich mich unweigerlich von jedem Lied trennen und das Feedback von außen tolerieren muss. Seitdem fällt es mir viel leichter, mit Songs in die Öffentlichkeit zu gehen.“
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