Er wurde nur 29 Jahre alt. Dennoch wird das Erbe von Franz Michael Felder in Vorarlberg bis heute hochgehalten. Autor Robert Schneider kann mit dieser Form der „Heldenverehrung“ nicht viel anfangen.
Dieser Ungelesene, dessen Schrifttum und Andenken nur ein öffentlich subventioniertes Archiv und ein Verein vor dem völligen Vergessen bewahren (wie lange noch?), dessen Name jedes Volksschulkind in der vierten Klasse einmal hersagen muss (wie lange noch?), um ihn dann sofort wieder zu vergessen, dieser selbst hierzulande fast nur vom Hörensagen bekannte Name Franz Michael Felder, wird nur deshalb künstlich beatmet, weil sich seine sozio-ökonomischen Reformen in das Gedächtnis gebrannt haben, der enorme Mut eines Bauernburschen aus Schoppernau in der Mitte des 19. Jhdts., nicht aber sein Schrifttum.
Schaltet man nämlich die lebenserhaltenden Maßnahmen ab, ist Franz Michael Felder für die Literatur vergessen. Man vertraut seinem Werk nicht. Man glaubt nicht daran, dass seine Bücher sich ihren Weg selbst suchen.
„Was für ein edler Mensch“
Es ist Zeit, Felder zu vergessen, wie er uns eingetrichtert wurde: der sozial engagierte Gutmensch. Der erste, tadellose Linke Vorarlbergs. Das hat seine Literatur nicht verdient. Noch weniger hat sie es verdient, stetig mit Biografischem konnotiert zu werden. Es beeinflusst die Leseempfindung und auch die literarische Urteilskraft, zu wissen, was der Schriftsteller doch für ein erbärmliches Leben leben musste, wie radikal und prophetisch er zu seiner Zeit war, was für ein edler Mensch.
Umgekehrt ist es genau so, wie man an der Biografie Martin Heideggers ersehen kann. Lebensläufe sind verstörend. Durch sie ein Werk zu erklären, ist unzulässig. Was ist es für ein Erkenntnisgewinn, bei Schubert an einen syphilitischen, armen und verkannten Tropf zu denken, der dieser Welt so viel unfassbar Schönes hinterlassen hat? Seine Musik wäre gleich umspannend, hätte er von einer lebenslangen, fürstlichen Apanage gelebt, wäre weit um gefeiert und verehrt worden.
Atem aus sich selbst heraus schöpfen
Literatur ist abzüglich alles rein Biografischen zu beurteilen. Genau das hat die Felder-Pflege hierzulande viel zu lange nicht getan. Der Reformer hat den Literaten immer überragt. Man muss Felder wieder als Schriftsteller lesen. Und man soll auch den Mut haben, das Sauerstoffgerät abzuschalten, um vielleicht zu sehen, dass seine Texte doch den Atem aus sich selbst heraus schöpfen. Er hätte es Odem genannt. Er hatte nicht die dramaturgische Raffinesse eines Jeremias Gotthelf, aber ihm gelangen irrlichternde Passagen von ephemerer Schönheit, die bleiben.
Die Stelle über den Tod seines Vaters in „Aus meinem Leben“ z.B., wo der Schmerz über den Verlust beinahe etwas Numinoses erhält und selbst der gestirnte Nachthimmel davon zu erzählen beginnt: Da steht er allein im Dunklen; droben aber winken tausend und abertausend Sterne, ziehen ihn ins Unendliche, und sein Wesen beginnt sich wunderbar zu weiten, dass er sich nicht mehr sehnt nach dem Lärm des Tages, nicht mehr hinein sich wünscht ins ruhelose unzufriedene Treiben der Menschen. („Aus meinem Leben“, Kap. VII., S. 74., Libelle-Verlag, 2004.)
Schwierige Umstände
Felders Schrifttum wird literarisch nicht gewichtiger in dem Wissen, dass er schier unerträgliche Schicksalsschläge zu verkraften hatte und mit neunundzwanzig Jahren allzu jung gestorben ist. Dass er ein halbes Jahr vor seinem Ableben den Tod seiner Frau Anna hinnehmen musste und mit fünf Kindern allein zurückblieb. Das Schicksal sagt nichts über ein Buch aus. Die Biografie erhellt nicht das Betriebsgeheimnis eines Kunstwerks. Ich lese Dostojewski nicht weniger staunend, weil ich weiß, dass er Epileptiker war und spielsüchtig, seine Manuskripte in äußerster finanzieller Not seiner Frau – auch eine Anna – in die Feder diktiert hat. Die Umstände nehmen mich mehr für die Dostojewskaja ein, für das Schicksal der Felderschen Vollwaisen, weniger für den Text selbst.
Das sind Sätze einer zutiefst poetischen Seele, die durch ihr soziales Engagement auch einen Käsehandlungsverein gegründet hat. Ja, auch, aber das spielt bei der Lektüre keine Rolle, mag auch im Leben beides zusammen gegangen sein.
Sich an den Dichter erinnern
Felders Sätze heben noch immer ab, und ihre Qualität ist in einem Atemzug mit der Passage der nächtlichen Lichterscheinung in Adalbert Stifters „Bergkristall“ zu nennen. Man muss Felder vergessen, um sich wieder an den Dichter zu erinnern, der er war. Ohne Biografie. Biografie ist für Zaudernde, für jene, die Erklärungen suchen. Poesie ist radikal. Sie rechtfertigt sich nicht und findet eben keine Erklärung.
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