Weckruf für uns alle

Burnout und Co: Wenn die Zeitfalle zuschnappt

Vorarlberg
14.01.2025 06:05

Erkrankungen wie Burnout und Depressionen nehmen zu. Es gilt die Stopptaste zu drücken, bevor nichts mehr geht, rät der Wissenschaftler und Psychologe Thomas Fuchs. Er war bei der AK Vorarlberg zu Gast. 

Etwa jeder vierte Arbeitnehmer in Österreich ist von Depressionen, Angst oder anderen psychischen Störungen betroffen. Fast die Hälfte der Beschäftigten fühlt sich unter hohem Druck – schuld sind Arbeitsverdichtung, Multitasking, ständige Erreichbarkeit, dazu noch hohe Ansprüche an sich selbst, aber auch die vielfachen Krisen der Gegenwart und Zukunftsängste. Die Verschreibung von Antidepressiva hat sich seit 1981 versiebenfacht. Psychische Erkrankungen sind eine Folge unserer schnelllebigen Zeit. Davor warnte Thomas Fuchs, Psychiater und Professor an der Universität Heidelberg, in der Reihe „Wissen fürs Leben“ der AK Vorarlberg. Fuchs erforscht und therapiert die Auswirkungen von Beschleunigung und Zeitdruck in unserem Leben. Seine Ausführungen wirken wie ein Weckruf. „Seit der Industrialisierung bewegt sich alles immer schneller, doch landen wir immer öfter im Stau.“ Seine Kernaussage: Unsere Gesellschaft hat sich in eine Zeitfalle manövriert.

Stress hat gravierende Folgen
Was er damit meint? „Es ist das ständige Streben nach Effizienz, Produktivität und Geschwindigkeit.“ Wir sind zu Sklaven der Uhr geworden. Anstatt Zeit bewusst zu erleben, hetzen wir von einer Aufgabe zur nächsten – immer mit dem Gefühl, dass uns etwas oder jemand im Nacken sitzt. Dabei verlieren wir das Gespür für qualitative Zeit: die Momente, die uns wirklich erfüllen und bereichern. Fuchs fasste diese Feststellung unter dem Begriff „rasender Stillstand“ zusammen – ein Zustand, in dem sich durch ständige Beschleunigung paradoxerweise nichts wirklich verändert. „Obwohl wir uns immer schneller bewegen und agieren, bleibt die grundlegende Lebensqualität und das Gefühl von Sinnhaftigkeit oft auf der Strecke.“ Dieses Phänomen verdeutlicht, dass Geschwindigkeit allein nicht zu Fortschritt oder Erfüllung führt, sondern häufig einfach nur den Stress erhöht

Thomas Fuchs empfiehlt, immer wieder innezuhalten und einmal richtig durchzuatmen als Einstieg beim Ausstieg aus der Zeitfalle. (Bild: AK Vorarlberg)
Thomas Fuchs empfiehlt, immer wieder innezuhalten und einmal richtig durchzuatmen als Einstieg beim Ausstieg aus der Zeitfalle.

Ein zentrales Thema seines Vortrags waren die gesundheitlichen Folgen der Zeitfalle. „Depression stellt den dunklen Schatten der Moderne dar.“ Fuchs wies darauf hin, dass Burnout und Depressionen nicht zufällig in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben. „Wenn wir uns permanent unter Druck setzen, immer schneller und besser zu sein, gerät unsere innere Balance aus dem Gleichgewicht“, erklärte er. Dabei sei Burnout oft nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein Symptom unserer Gesellschaft. „Es ist offensichtlich, dass etwas mit der zeitlichen Ordnung unserer Gesellschaft nicht stimmt. Die Zeit ist aus den Fugen. Wir leben in einer Kultur, die Erschöpfung geradezu als Statussymbol feiert. Wer müde ist, gilt als fleißig. Wer ausbrennt, hat sich für die Sache aufgeopfert.“ Diese Denkmuster müssten durchbrochen werden, um langfristig gesünder zu leben.

Achtsamkeit als Ausweg
Depressionen wiederum seien oft eine Reaktion auf das Gefühl von Sinnlosigkeit, das durch die ständige Beschleunigung entstehen kann. „Wir rennen immer schneller, aber wir wissen oft gar nicht mehr, wofür. Ohne Ziele, die uns wirklich etwas bedeuten, wird das Leben leer.“ Natürlich wollte Fuchs seine Zuhörer nicht nur mit einer Analyse der Zeitfalle zurücklassen. „Es gibt Wege heraus“, betonte er. Einer davon: Achtsamkeit. Fuchs plädierte dafür, den Moment wieder bewusster zu erleben. „Manchmal reicht es, einfach mal innezuhalten und nichts zu tun. Aber das muss man erst wieder lernen.“ Es geht um scheinbar banale Dinge – etwa die Entschleunigungskraft des Atmens. Ein Spaziergang ohne Handy, ein Abend ohne Bildschirm oder einen Moment, in dem man einfach nur nachdenkt.

Restrukturierung des Tages gehöre zu den wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei der Behandlung von Depressionen und Burnout. „Strukturen, in denen es auch Zeiten gibt, in denen man verweilen kann und wieder von Neuem beginnt.“ Fuchs stellte auch die ungebremste Dynamik des Kapitalismus in Frage. Es brauche Widerstand gegen eine gewisse Entrhythmisierung des Lebens. „24 Stunden-Öffnungszeiten, der verkaufsoffene Sonntag sind natürliche Feinde einer zyklischen und damit menschlichen Zeit.“ Die Zeitfalle ist kein Naturgesetz. Es liegt an uns, ob wir uns von ihr bestimmen lassen – oder ob wir die Kontrolle über unser Leben zurückgewinnen. „Es geht in allem um eine Rückkehr in die Gegenwart. So wie wir bei jedem Ausatmen ankommen, ohne den nächsten Atemzug planen zu müssen, denn er vollzieht sich von selbst.“

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