Die deutsche Journalistin Sabine Bode gab jenen Menschen, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebten, eine Stimme. Das Leid dieser Kriegskinder wurde jahrzehntelang nicht wahrgenommen. Ihre Traumata wirken über Generationen und können noch deren Kinder und Enkelkinder belasten.
„Krone“: Frau Bode, es war Ihre Radiosendung im Jahr 1997 über jene Menschen, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, deren enorme Resonanz von Seiten der Hörer Sie dazu gebracht hat, sich ausführlich dem Thema Kriegskinder zu widmen.
Sabine Bode: Meine Kernfrage für die Sendung war: Wie geht es den ehemaligen Kriegskindern heute, wie haben sie das alles verkraftet? Im WDR-Archiv fand ich dazu nichts. Also fragte ich die Betroffenen selbst. Tatsächlich nutzte ich jede Gelegenheit, auch zufällige Begegnungen, in der Bahn zum Beispiel. Es dauerte ein Jahr. An Kriegserinnerungen war noch heranzukommen, aber die Frage nach den Kriegsfolgen wurde so gut wie nie beantwortet. Das Hörerecho war enorm.
Ein Drittel der Kinder hat sich nicht von den Kriegserlebnissen erholt.
Sabine Bode
Sie sagen, das Leid der ehemaligen Kriegskinder sei im eigenen Land fast sechzig Jahre übersehen worden. Welche Auswirkungen hat das für die Betroffenen?
Die Kriegskinder nannten sich „Nachkriegskinder“. Den Gedanken, sie hätten als Generation ein bedauernswertes gemeinsames Schicksal, wiesen sie vehement zurück: „Unsere Eltern ja, die hatten Schlimmes erlebt, aber wir doch nicht: Wir waren Kinder! Das war für uns normal!“ Diese „gefühlte Normalität“ blieb fast über das ganze spätere Leben bestimmend. Über etwas, das normal ist, muss man sich nicht den Kopf zerbrechen. Viele von ihnen haben als Kinder überlebt, indem sie sich selbst betäubten. Dabei halfen Sätze wie: „Indianerherz kennt keinen Schmerz“, oder die in der Hitlerjugend erworbene Überzeugung, „hart wie Kruppstahl“ zu sein. Und diese Betäubung hält häufig ein Leben lang an.
Wir sprechen hier nicht von der gesamten Generation, sondern in etwa von einem Drittel, das sich nicht von seinen Kriegserlebnissen erholt hat. Dennoch konnte man beruflich sehr erfolgreich gewesen sein – aber insbesondere enge Beziehungen schaffen Probleme. Am besten, ich gebe hier Auffälligkeiten von ehemaligen Kriegskindern wieder, die mir deren Kinder immer wieder nannten: Den Eltern lag und liegt an einem überschaubaren Alltag, eine Veränderung der Lebensumstände setzt sie enorm unter Stress. Zukunftsthemen wie der eigenen Pflegebedürftigkeit weichen sie aus, wie auch Gelegenheiten, die Welt der Jüngeren zu betreten. Das alles ängstigt sie. Sie sind in der Regel wenig reflektiert, verfallen schnell in ein Schwarz-Weiß-Denken, und ihr Bedürfnis nach materieller Sicherheit ist hoch.
Die Verdrängung ging so weit, dass man die Zusammenhänge von späteren psychischen Problemen vieler ehemaliger Kriegskinder partout nicht in Zusammenhang mit ihrer Kriegskindheit stellte.
So war es. Weder Ärzte und Therapeuten hatten einen Blick dafür, noch die Kriegskinder selbst. Wenn sie an Depressionen litten, an Panikattacken und sonstigen seelischen Beeinträchtigungen, fanden sie dafür alle möglichen Erklärungen, nicht aber ihren frühen Schrecken und ihre Verluste. Denn es fehlte ihnen der emotionale Zugang zu diesen Erfahrungen und damit auch der Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.
Es geht um das Wahrnehmen von schlecht vernarbten seelischen Verletzungen, sowie kaum je betrauerte Verluste von Familienangehörigen und Heimat.
Sabine Bode
Es lohne sich, historisch zu denken, haben Sie gesagt und damit angesprochen, dass auch in der Altenpflege das Bewusstsein der Folgen einer Kriegskindheit eine Rolle spielt.
Zu den Aufgaben des Alters zählt, sich mit den unerledigten Dingen des eigenen Lebens zu beschäftigen. Das ist der Weg, mit seinem Schicksal Frieden zu schließen. Es geht darum, zu erkennen, wie stark dieser Krieg das weitere Leben geprägt hat. Es geht um das Wahrnehmen von schlecht vernarbten seelischen Verletzungen, sowie kaum je betrauerte Verluste von Familienangehörigen und Heimat – und vieles mehr. In Senioreneinrichtungen kann es sehr hilfreich sein, hier einfühlsam zu begleiten. Besondere Aufmerksamkeit brauchen Demenzerkrankte, denn auch sie können nicht vermeiden, dass frühe traumatische Erlebnisse sie im Alter einholen.
Die deutsche Journalistin veröffentlichte zahlreiche Beiträge und Bücher über Kriegskinder und deren Traumata.
Ihre Forschungen haben auch gezeigt, dass die Traumata der Kriegskinder noch deren Kinder und Enkelkinder belasten können.
Im Kern geht um fehlendes Vertrauen ins Leben. Vielen Kriegskindern wurde schon früh immer wieder der Boden unter den Füßen weggezogen. Wer kein Vertrauen ins Leben hat, kann es seinen eigenen Kindern auch nicht weitergeben. Er kann ein kleines Kind nicht wirklich trösten, sodass es innerlich ruhig wird, so jemand kann nur beschwichtigen. Darüber hinaus sind solche Eltern extrem misstrauisch. Im Sinne von: Außerhalb der Familie kann man niemandem trauen. So erzieht man ängstliche Kinder, die womöglich als Erwachsene leicht zu verunsichern sind. In ihren E-Mails wird mir das Klima im Elternhaus sehr häufig als „unlebendig“ beschrieben, meistens mit dem Zusatz: „Ich kann meine Eltern emotional nicht erreichen“.
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