Österreichs Ersatzminister geben sich derzeit in Brüssel die Türklinke in die Hand. Nach Interimskanzler und Noch-Außenminister Alexander Schallenberg ist heute Finanzminister Gunter Mayr in die EU-Metropole gefahren, um dort die blau-schwarzen Sparpläne zu präsentieren und ein Defizitverfahren der Kommission gegen Österreich abzuwenden.
Warum Brüssel beim nationalen Budget überhaupt mitredet, hat einen einfachen Grund: Fehlentwicklungen in der Wirtschaftspolitik können Rückwirkungen auf alle Mitgliedstaaten haben, besonders auf jene mit der gemeinsamen Währung. Um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und gegensteuern, überwachen sich die EU-Länder gegenseitig. Sie allen haben sich verpflichten, bestimmte Kriterien einzuhalten, um Stabilität und Wachstum sicherzustellen.
EU-Mitgliedstaaten müssen bei Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gewisse Kriterien einhalten, die sogenannten Konvergenzkriterien:
Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank überprüfen die Erfüllung dieser Kriterien und die Kommission kann bei Nichteinhaltung ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.
Kommt es zu einem Verfahren, gibt die EU-Kommission den Defizitsündern einen Pfad vor, wie sie die Verschuldung in den nächsten Jahren abbauen können. Dieser Referenzpfad deckt einen Zeitraum von vier Jahren ab, der bei entsprechenden Reform- und Investitionsvorhaben auf Antrag eines Staats auf bis zu sieben Jahre verlängert werden kann.
6,4 Milliarden noch heuer sind sehr ambitioniert
FPÖ und ÖVP wollen ein solches „Diktat“ aus Brüssel vermeiden und haben sich auf einen siebenjährigen Sanierungsplan geeinigt. Demnach sollen noch heuer rund 6,4 Milliarden Euro eingespart werden. Viele Budgetexperten sind skeptisch, ob sich das ausgeht, denn das Jahr läuft bereits. Es muss also sehr schnell gehen.
Österreich hat ein Ausgabenproblem
Der wirtschaftsnahe Thinktank Agenda Austria hält das dagegen für machbar, und das nur ausgabenseitig. Sie hat eine Liste mit einem Einsparungspotenzial von bis zu elf Milliarden erstellt. Demnach kostet alleine die Überförderung beim Klimabonus 800 Millionen Euro. Die Abschaffung des gesamten Klimabonus würde 2,3 Milliarden bringen. Die Abschaffung der Bildungskarenz bringt 730 Millionen, der Stopp von Subventionen für die grüne Transformation weitere 500 Millionen. Einiges zu holen gibt es demnach auch im Sozialbereich: Der Ausgleich der Überanpassung der Pensionen seit 2009 bringt schlagartig 720 Millionen. Das Dieselprivileg kostet 500 Millionen im Jahr, die Mehrwertsteuervergünstigung für erneuerbare Energie 200 Millionen und die Erhöhung der Pendlerpauschale seit 2013 weitere 200 Millionen.
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin haben sich für ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich anstatt eines radikalen Sparkurses ausgesprochen, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Eine sprunghafte Reduktion des Defizits auf die Maastricht-Höchstgrenze von 3 Prozent würde laut aktueller Wifo-Prognose das Wachstums um 0,5 bis 1 Prozentpunkt dämpfen.
Defizitverfahren würde mehr Flexibilität bieten
Ein Defizitverfahren bietet in der Regel kurzfristig mehr Flexibilität, wenn außergewöhnliche wirtschaftliche oder finanzielle Krisen eintreten (z.B. Rezession, Naturkatastrophen oder unerwartete geopolitische Spannungen). In solchen Fällen erlaubt die EU, dass ein Land vorübergehend das Defizit überschreitet, um die Wirtschaft zu stabilisieren und notwendige Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen. Eine strikte Begrenzung würde in solchen Zeiten zusätzliche Belastungen schaffen, da das Land möglicherweise gezwungen wäre, in einer Krise Kürzungen vorzunehmen oder Steuern zu erhöhen, was die Erholung verlangsamen könnte.
EU kann auch Sanktionen gegen Defizitsünder verhängen
Im Rahmen eines Defizitverfahrens können Sanktionen gegen einen Defizitsünder verhängt werden, wenn dieser die an ihn gestellten Anforderungen zur Korrektur eines übermäßigen Defizits nicht erfüllt. Bei Nichteinhaltung könnten am Ende Geldstrafen in Milliardenhöhe fällig werden – was allerdings noch nie vorkam.
Ist Österreich der einzige EU-Defizitsünder?
Nein, ganz im Gegenteil. Die EU-Kommission leitete im Juni 2024 gegen sieben Länder ein EU-Defizitverfahren ein. Darunter waren auch Frankreich und Italien – immerhin die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union. Neben Frankreich und Italien sind auch Belgien, Ungarn, Malta, Polen, Slowakei. Auch gegen Rumänien ist ein Verfahren anhängig.
Endgültige Frist am 30. Jänner
Der Zeitplan: In einem nächsten Schritt wird die Kommission dem Rat der Minister eine Empfehlung geben. Es ist dann Sache des Rates zu entscheiden, ob ein Defizitverfahren eröffnet würde oder nicht. Die gesamte EU-Kommission tagt jeden Mittwoch in Brüssel. Morgen könnte also bereits über die Empfehlung entschieden werden. Die endgültige Frist für Österreich ist laut dem Kommissions-Sprecher der 30. Jänner. Natürlich würden diese Fragen normalerweise beim Rat der Wirtschafts- und Finanzminister entschieden, der das nächste Mal am 21. Jänner in Brüssel tagt.
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