Black January in Baku

„Mythos, dass Gorbatschow keine Gewalt anwendete“

Ausland
14.01.2025 17:00

Am 20. Jänner 1990 marschierte die sowjetische Armee in Baku ein, um die aserbaidschanische Volksfront zu zerschlagen. Es war eine blutige Invasion: Fast 150 Zivilisten mussten sterben, mehr als 800 wurden verwundet.

Seit Tagen wüteten in Baku Pogrome gegen ethnische Armenier, rund 90 Menschen verloren dadurch zum Teil auf brutalste Weise ihr Leben. Die Morde wurden mit Schlägen und Messerstichen verübt, darüber hinaus kam es zu Einbrüchen und Überfällen. Die Angriffe wurden sodann zum Vorwand für die Invasion durch die sowjetische Armee genommen.

„In Wirklichkeit aber“, schildert der US-Historiker Mark Kramer von der Harvard Universität gegenüber krone.at, „diente die Operation in erster Linie der Zerschlagung der aserbaidschanischen Volksfront, die die Unabhängigkeit Aserbaidschans anstrebte.“

Mark Kramer ist Direktor des Cold War Studies Project am Davis Center in Harvard. (Bild: zVg)
Mark Kramer ist Direktor des Cold War Studies Project am Davis Center in Harvard.

Dies räumte der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Dmitri Jasow auch ein. Gorbatschow hoffte, die Kontrolle über Aserbaidschan wiederherzustellen und damit auch anderen Sowjetrepubliken, insbesondere den baltischen, die möglichen Kosten eines Zerfalls vor Augen zu führen, so Kramer.

Tipp

Aus Anlass des 35. Jahrestags des „Black January“ veranstaltet das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung am Montag, 20. Jänner, an der Universität Graz ein wissenschaftliches Symposium. Mehr dazu finden Sie hier.

„Dem gewaltsamen Vorgehen am 20. Januar 1990 folgten zwei Jahre voller gegenseitiger Angriffe und Repressalien zwischen Armeniern und Aserbaidschanern“, führt Kramer gegenüber krone.at aus. Das Eingreifen der Sowjetarmee in Baku habe weiteres Blutvergießen verursacht, jedoch nicht zur Abmilderung des Konflikts beigetragen, der sich zunehmend in einen offenen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan verwandelte.

Buchtipp: Mark Kramer – Aryo Makko – Peter Ruggenthaler (Hg.), The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe. Harvard Cold War Studies Book Series. Lanham et al. 2021. (Bild: ZVg.)
Buchtipp: Mark Kramer – Aryo Makko – Peter Ruggenthaler (Hg.), The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe. Harvard Cold War Studies Book Series. Lanham et al. 2021.

Gorbatschow ließ friedliche Umwälzungen zu
„Es ist ein Mythos, dass Gorbatschow keine Gewalt anwendete“, erklärt der stellvertretende Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Peter Ruggenthaler. Auch in Tiflis schlugen im April 1989 Armeeeinheiten blutig Demonstrationen nieder - aber ohne Befehle aus Moskau erhalten zu haben.

Peter Ruggenthaler ist Autor und Mitherausgeber zahlreicher Publikationen zur Geschichte des Kalten Krieges. (Bild: BIK)
Peter Ruggenthaler ist Autor und Mitherausgeber zahlreicher Publikationen zur Geschichte des Kalten Krieges.

Anders war dies im damals noch sowjetisch beherrschten Mittelosteuropa. Anfang 1989 hatte das Politbüro in Moskau auf Gorbatschows Geheiß hin einen präventiven Beschluss gefasst, dass sowjetische Truppen nicht den kommunistischen verbündeten Regimen zur Hilfe kommen würden, sollten diese darum bitten. Dass Gorbatschow die friedlichen Umwälzungen zuließ, ist zweifelsohne Gorbatschows historischer Verdienst, so Ruggenthaler.

Putin: Größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts
Keinesfalls war Gorbatschow, der 1990 sogar den Friedensnobelpreis erhielt, aber dazu bereit, die Existenz der Sowjetunion selbst infrage zu stellen. Sein Vorgehen in Baku beendete jedoch die separatistischen Tendenzen nicht, sondern beschleunigte sie nur. Ende 1991 war die Sowjetunion Geschichte. Für Putin war dies bekanntlich die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

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