Moderiert von Angelika Lang und mit dem Lied „Sabotage“ von den Beastie Boys ging FM4 vor exakt 30 Jahren das erste Mal auf Sendung. Zum Geburtstag scheint der alternative Sender des Öffentlich-Rechtlichen bedrohter denn je. Programmchefin Dodo Roščić reflektierte im „Krone“-Gespräch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
„Krone“: Frau Roščić, heute, am 16. Jänner, feiert FM4 auf den Tag genau den 30. Geburtstag. Wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal mit dem Sender in Berührung gekommen sind?
Dodo Roščić: Am ersten Tag war ich noch nicht dabei. Ich kenne den Kaugummimoment mit den ersten gesprochenen Worten von Angelika Lang aus dem Rückspiegel, aber nicht live aus dem Radio. Ich war ein in Linz sozialisiertes Posthof- und Kapu-Kind und Radio FM4 war wie für viele Kinder mit einer Herkunft wie meiner neben MTV ein Fenster zur Welt. Ich habe in Linz Nirvana und Green Day gesehen, bevor sie durch die Decke gingen. Um mitzukriegen, was wirklich cool ist, war FM4 essenziell. Der Sender war ein Gatekeeper für Coolness.
Strenggenommen gibt es sogar zwei Jubiläen zu feiern – seit dem 1. Februar 2000, also seit 25 Jahren, sendet FM4 rund um die Uhr.
Davor war es Radio Blue Danube International. Dann wurde 1995 „Sabotage“ von den Beastie Boys gespielt und alles hat sich verändert. Im Jahr 2000 wurde es ein richtiges Vollprogramm und das war ein enorm wichtiger Schritt für den Sender.
Sie sind seit Anfang 2022 Programmchefin von FM4. Wie hat sich der Sender mit Ihnen und durch Sie verändert?
Wir haben sehr viele wichtige Schritte in eine neue Relevanz unternommen. Wir haben viele Dinge sicht- und hörbar gemacht. Dinge, die uns wichtig sind, sollen nicht in einer Orchidee vor sich hinkleben, sondern nach außen transportiert werden. Ich habe zum Beispiel den Kommentar zum Song Contest wieder aufgenommen und wir haben RAF Camora auf das Donauinselfest gebucht. Das sind breitere Definitionen einer popkulturellen Verantwortung, für die sich FM4 verantwortlich fühlt – ohne aber den Markenkern zu verlassen.
Die Öffnung zu RAF Camora am Donauinselfest wurde aufgrund seiner zuweilen sexistischen und misogynen Texte auch mit viel Kritik begleitet. Muss FM4 heute schon so weit gehen?
Meine Überzeugung war und ist es, dass man das größte österreichische Pop-Phänomen nach Falco, nämlich RAF Camora, nicht stumm schalten darf. Als Journalist muss man die Texte, das Frauenbild, aber auch die Attraktivität, die er als Künstler auf junge Frauen hat, einordnen. RAF Camora wurde auf FM4 immer gespielt und von DJ Phekt auch schon interviewt, als er noch auf Französisch gerappt hat. Mein Weg war, das Thema richtig zu kontextualisieren, nicht zu canceln und nicht zu bewerten. Deshalb gab es bei uns auch eine einstündige Doku von DJ Phekt über den Künstler. Darin ist auch ein aktuelles Interview enthalten und Wegbegleiter kommen zu Wort. Es wird da auch kritisch mit seinen Texten umgegangen. Unser Job ist es, einzuordnen und zu berichten, aber nicht moralisch zu urteilen.
Bedeutet das im Umkehrschluss nicht auch, würde Andreas Gabalier ein musikalisch zu FM4 passendes Lied schreiben, würde FM4 ihn dann spielen?
Auf jeden Fall. Wir spielen 40,17 Prozent österreichische Musik und wenn dem Künstler etwas in Richtung FM4-Musik aus der Laute purzeln würde, dann stehen wir nicht an, ihm eine Chance zu geben. Wir haben unsere Werte und stehen für Dinge, aber wir schwingen nicht die Moralkeule.
Zum Thema musikalische Breite: FM4 spielt auch Beyoncé, Taylor Swift oder Harry Styles. Spiegeln diese Mainstream-Künstler noch das Bild des Senders wider oder war FM4 früher gar zu eng gefasst in seinem musikalischen Verständnis?
Der Sender musste sich als selbstbewusste Alternative zum Mainstream erfinden und definieren. Menschen wie mir war es in der Jugend wahnsinnig wichtig, dass es eine Distinktion zwischen der Breite und einem Sender wie FM4 gibt. Man wollte als FM4-Hörer das Besondere hören. Die jüngeren FM4-Mitarbeiter verstehen gar nicht, warum wir Styles oder Beyoncé nicht spielen sollten. Diese Kommerzdiskussion wird bei dieser Generation gar nicht mehr geführt. Die Distinktion von früher ist heute nutzlos. Damals hat mir FM4 gesagt, was cool ist, aber darauf wartet kein junger Mensch mehr. Das hörst du vielleicht auf TikTok oder Instagram. Die Gatekeeper-Funktion von FM4, die kuratierte Coolness, das gibt es nicht mehr. Dafür hat sich die Medienlandschaft zu weit davon weg entwickelt.
In der Jugend haben sich die einstigen Schubladisierungen aufgeweicht. Heute wird nicht so sehr in Genres unterteilt, sondern es gefällt, was gefällt. Und was nicht, das nicht.
Genau das wollte ich sagen. In meiner Jugend war die Mischung aus Musikgeschmack, Kleidung und Look ein Gesamtkunstwerk, um sich abzusetzen. Das ist aber vorbei und heute nicht mehr üblich. Ich muss heute auch keine Alben mehr hören, sondern mir reichen Singles. Man kann FM4 heute nicht mit FM4 zur Gründungszeit vergleichen – es war damals eine ganz andere Welt.
Wie platziert man sich als alternativer Nischensender, wenn man mit Playern wie TikTok oder Spotify bei den jungen Menschen gar nicht mehr konkurrieren kann?
Meiner Erfahrung nach ist es immer ein Blödsinn, wenn man so tun möchte wie jemand anders. Wenn der User zu TikTok will, dann geht er auch zu TikTok. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass wir die Sachen, für die wir stehen und die uns wichtig sind, weiter fördern müssen. Daran muss man glauben und konsequent sein Bestes geben. Das Ergebnis muss auf einer 360-Grad-Marke ausgespielt werden. Von einem analogen Radio über das Digitale bis hin zu den Festivals und auf der Homepage. Wir müssen überall Berührungspunkte schaffen für Menschen, die sich für FM4 interessieren könnten. Das ist weniger eine Frage des Alters, sondern mehr eine Frage der Werte. Der Sender ist heute altersfluide.
Stichwort Festival: FM4 ist seit jeher der Hauptsponsor des Frequency Festivals in St. Pölten. Das Programm dort ist nach einem Relaunch aber seit vielen Jahren inhaltlich Ö3 näher als FM4. Wie geht sich das aus?
In manchen Jahren entwickelt man sich auseinander und dann wieder zusammen. Die Festivalindustrie ist eigenen Gesetzmäßigkeiten und Pendelbewegungen ausgesetzt. Da geht es auch sicher wieder Richtung Alternative zurück. Man muss dann seismografisch damit umgehen, was die Leute hören wollen. Für die Veranstalter waren die Pandemie-Jahre auch nicht lustig. Unsere Kooperation mit dem Frequency ist sehr alt und ich bin stolz darauf. Musikalisch haben sich die beiden Pole vielleicht voneinander weg entwickelt, aber sie entwickeln sich auch wieder aufeinander zu.
Wie schwierig ist der Spagat, die alten FM4-Hörer aus den 90er-Jahren weiterzubehalten und sie weiter zu begleiten und trotzdem zu versuchen, junge und neue Hörer zu generieren?
Wir arbeiten jeden Tag sehr hart daran. Es ist heute natürlich anders als es früher war, aber in meinen Gesprächen komme ich oft mit diesen kritischen Stimmen überein. Es hat sich sowieso alles verändert. Gleich zu bleiben, mitzualtern und mit der Gründergeneration weiterzugehen, ist für eine solche Medienmarke wie uns auch keine Perspektive. Es kann nie alles bleiben, wie es ist. Veränderungen irritieren, das ist so im Medienkonsum, aber wir versuchen dort an Schrauben zu drehen, wo wir glauben, dass es nötig ist. Heute ist die Streitkultur anders, die journalistischen Themen sind anders und Dinge, die mich früher aufregten, regen mich heute nicht mehr auf. Ein Radiosender ist 24/7 bei den Menschen dabei, er kann gar nicht starr bleiben. Vor allem so einer wie FM4, der stark auf die Zukunft ausgerichtet ist.
Ö3 spielt die Musik, die die Masse hören möchte. Radio Wien etwa setzt auf alten Austropop und allgemeine Klassiker. Welches Profil hat in so einer Ausrichtung FM4? Und ist es mehr Vorteil oder Nachteil, dass man inhaltlich bewusst auf Alternatives und Qualität aus ist?
Ich glaube, dass es ein Vorteil ist, weil die Marke anders gedacht und gebaut wird als die von Ihnen genannten Mitbewerber. Die 40 Prozent Quote österreichische Musik haben wir uns postpandemisch als Leitfaden aufgeschrieben. Die heimische Musik ist so super, man muss ihr nur eine Bühne bieten. Wir spielen sie nicht wegen einer Quote, sondern weil sie schlichtweg gut ist. In dieser 40-Prozent-Quote sind auch alle Genres vereint und damit stehen wir schon mal ganz woanders als die anderen Sender. Wir gehen musikjournalistisch und in der Kompetenz viel mehr in die Tiefe. Wir sind eine andere Marke und das ist auch gut so.
Hat FM4 denn überhaupt eine definierte Zielgruppe?
Im Fall von FM4 ist das eher mit den Sinusmilieus zu beschreiben als mit einer bloßen Altersstruktur. Es ist bei uns eher eine Frage von einer Mainstream- oder Nicht-Mainstream-Entscheidung.
Wobei diese Grenze zunehmend verschwimmt, wenn man im musikalischen Programm vermehrt in den Mainstream geht ...
Ja, aber nicht aus musikjournalistischen Relevanzgründen. Wir gehen nicht dorthin, wo schon andere ORF-Programme liegen. Uns artifiziell kleinzuhalten, indem wir bloß das spielen, was so wenige Leute wie nur möglich hören, macht aber auch keinen Sinn. Wir bemühen uns redlich täglich das beste Programm zu machen und dann will man natürlich gehört werden und relevant sein. Wir spielen nicht noch mehr Beyoncé, weil wir auf die Quoten spielen, wir spielen andere Auskoppelungen von ihr, die man woanders vielleicht nicht hören kann. Auch wenn wir Harry Styles spielen, kommt diese Entscheidung aus einem anderen Kontext. Ich lege als neue Chefin nicht den Filter Harry Styles über den Sender, es ist die popkulturelle Überzeugung unserer jungen Mitarbeiter, dass das auch seinen Platz hat. So wie früher auch einmal der ewige Unterschied zwischen E-Musik und U-Musik aufgehoben wurde.
Ein weiterer Streitpunkt ist das angewendete „Denglisch“. Nicht so, dass es – wie eh schon immer - englischsprachige Nachrichten und Sendungen gibt, aber dass man Deutsch und Englisch aus Coolnessgründen gefühlt künstlich vermischt. Eckt FM4 manchmal einfach gerne an?
Das ist wie die Frage, wer Netflix auf Englisch schaut. In einer Studie wurde festgehalten, dass so gut wie alle jungen Menschen dort Serien im Original schauen. Die jungen Mitarbeiter bei uns reden wirklich so. Wir redeten über ein Fernsehprogramm und eine Kollegin sagte „Dodo, das hat mich total gegettet“. (lacht) Unser gesetzlicher Auftrag ist es aber auch, fremdsprachig zu sein, weil wir englische Moderatoren haben. Diese Mitarbeiter sind noch immer da. Aus Deutschland haben mich viele Initiativen gefragt, warum es diese Mehrsprachigkeit im öffentlich-rechtlichen Bereich nicht viel öfter gibt. Das Weltoffene, Europäische und Englischsprachige ist in diesem Sender verankert. Es gibt viele Dinge, die man nicht auf der grünen Wiese planen kann – die entstehen oder entstehen nicht im richtigen Moment, am richtigen Ort. Und so war es auch mit FM4. Es geht uns um das Wahrhaftige und Richtige und darum, dass jemand an die österreichische Musik glaubt und diese schätzt.
Was macht FM4 heute aus und ist das etwas anderes als das, was FM4 vor 25-30 Jahren ausgemacht hat?
Im Kern ist es dasselbe, aber die Zeiten haben sich gewandelt. FM4 ist auch kein Jugendsender, sondern ein Jugendkultursender. Diese Jugendkultur hat sich mit gewandelt und FM4 ist ein Durchlauferhitzer für gesellschaftliche Entwicklungen. Irgendwo müssen gewisse Dinge beginnen und diesen Part nehmen wir gerne ein. Ich vergleiche das gerne mit dem Einkaufsverhalten. Vor 30 Jahren gab es einzelne Bioläden, die passende Produkte anboten. Heute hat jeder Discounter selbstverständlich so eine Biolinie im Programm. Ich bin der Überzeugung, dass es total wichtig ist, dass der ORF mit dem FM4 einen Sender hat, der so ein Angebot bereitstellt, wo Neues beginnt. Themen wie österreichische Musik, Festivals oder der Klimaschutz kamen irgendwann einmal vor und gingen von dort in die Breite. Das passierte bei Bilderbuch auch auf Ö3, aber im Falle dieser ehemaligen Schulband musste das irgendwo beginnen und das war bei uns auf FM4. Nicht verändert hat sich bei uns seit Anbeginn an die Begeisterung für österreichische Musik.
Fürchten Sie aufgrund der aktuellen politischen Lage um die Existenz von FM4?
Ich würde Sie um Verständnis bitten, dass es mir nicht zusteht, medienpolitische Ereignisse zu kommentieren, aber im Prinzip bin ich kein ängstlicher Mensch. Ich kann und will im Moment nichts dazu sagen.
Dass die vor der Tür stehende Regierungskonstellation für einen Sender wie FM4 zu einem Problem werden könnte, ist abzusehen?
Es steht mir nicht zu, Regierungs- oder Koalitionsverhandlungen zu kommentieren. Als Senderchefin kann ich sagen, dass wir uns jeden Tag sehr bemühen, das beste Programm, das möglich ist, zu machen. Wir sind unseren Hörern verpflichtet und freuen uns auf die Geburtstagsfeierlichkeiten am 25. Jänner in der Ottakringer Brauerei, wo wir mit vielen tollen Acts feiern können. Es flattern auch schon Gratulationen von Menschen wie Judith Holofernes zu uns rein. Darüber freuen wir uns jetzt einmal.
Welches Lied definiert für Sie den Sender FM4 im Gesamten ideal?
Das ist schwierig. Ich sage gerne, Bilderbuch mit „Maschin“, weil das für mich ein absoluter FM4-Moment war, als mir ein Freund erstmals das Lied vorspielte. Das klingt jetzt pathetisch, aber so ungefähr muss es gewesen sein, als man damals das erste Mal die Beatles hörte. Natürlich muss man auch „Sabotage“ von den Beastie Boys nennen, weil es das erste Lied war. Zu meinen Favoriten gehören auch Bibiza, Salò oder The National – solche Acts passen perfekt zum Sender. Besonders fantastisch finde ich Uche Yara.
Wo möchten Sie FM4 als Programmchefin hinführen und welchen Wunsch haben Sie zum 30. Geburtstag des Senders?
Ein profaner Wunsch wären 30 weitere Jahre. Wir stellen uns neu auf, haben neue Sendungen geschaffen und machen strukturell gerade sehr viel. Wenn uns das weiterhin gut gelingt, dann wäre das sehr schön.
Geburtstagsfeier in der Ottakringer Brauerei
Den 30. Geburtstag feiert FM4, so wie alle Jahre, mit einem großen Konzert, das am 25. Jänner in der Wiener Ottakringer Brauerei stattfindet. Auf der Bühne stehen Anda Morts, die Antilopen Gang, Avec, Brockhoff, Kässy, Lena & Linus, Ben Clean, Sodl und Sofie Royer. Der britische Indie-Durchstarter Master Peace hat vor wenigen Tagen abgesagt – das Konzert ist bereits restlos ausverkauft.
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