(Bild: KMM)

Genau wie heute

„Eine Inflation schiebt Probleme immer auf“

Der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber erklärt die Spätfolgen jeder Inflation und spricht über „kapitalentleerte“ Unternehmen, die während der Weltwirtschaftskrise in Konkurs gingen. Damals entließen die Firmenleitungen zahlreiche Mitarbeiter, zahlten aber dennoch hohe Dividenden aus. 

„Krone“: Herr Professor Sandgruber, warum traf die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre Österreich so stark?
Roman Sandgruber: Um die Wirtschaftskrise in den richtigen Kontext zu stellen, müssen wir kurz in die frühen Jahre der Ersten Republik zurückgehen. Der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie hat natürlich, neben allem anderen, einen wirtschaftlichen Schock ausgelöst – der allerdings schon im Krieg manifest war. Schon 1917/18 war die Lebensmittel- und Lebensgüterversorung extrem schlecht. Nach dem Friedensschluss strömten große Mengen an Soldaten zurück, zusätzlich Flüchtlinge und jene Beamten, die aus den Nachfolgestaaten ins neue Österreich zurückkehrten. Wir sprechen hier von einer gewaltigen Migrationsbewegung, die gegen Ende des Krieges sowie im ersten und zweiten Friedensjahr in Bewegung kommt.

Auf die dann die Hyperinflation trifft...
Aber diese Hyperinflation, die im Krieg begann und bis zum Jahr 1922 weiterging, hatte zum Teil auch ihre positiven Seiten. Genauer formuliert: Sie hat Problem für´s Erste auf später verdrängt. Eine Inflation schiebt ja immer Probleme auf, die dann erst später manifest werden. Zuerst einmal wird alles teurer, man kauft wieder ein, Geld zirkuliert. Durch die Hyperinflation finden die nun zurückströmenden Leute, die eigentlich niemand braucht, nun doch wieder eine Beschäftigung. Aber gleichzeitig höhlt diese Hyperinflation alles aus, weil Ersparnisse verloren gehen, weil man um seine Löhne nichts mehr zu kaufen kriegt. Auch dem Staat wird nur scheinbar Gutes getan. Der Finanzminister kann sich einerseits freuen, dass die ganzen Kriegsanleihen wertlos werden, andererseits werden aber auch seine Steuereinnahmen wertlos. Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise sind dann all diese Probleme wieder akut …

Wien 1929, während der Wirtschaftskrise: Soldaten verteilen Suppe an Bedürftige (Bild: Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com)
Wien 1929, während der Wirtschaftskrise: Soldaten verteilen Suppe an Bedürftige

Zeitlich wird das Eintreffen der Weltwirtschaftskrise bei uns immer mit dem spaktakulären Konkurs der bedeutenden österreichischen Firma Mautner verknüpft.
Der Unternehmer Isidor Mautner besaß zwischen 30 und 40 große Spinnereien, das war ein Riesenkonzern; dementsprechend hart waren die Folgen, als dieser Konzern 1930 zusammenbrach. Man würde jedoch zu sehr vereinfachen, würde man daraus folgern, dass nur dieser eine Konkurs quasi im Alleingang eine solche Wirtschaftskrise ausgelöst hat. Das war ein Zusammenspiel von vielen verschiedenen Faktoren. Zur gleichen Zeit sind ja auch zahlreiche andere große Unternehmen in die Krise geschlittert.

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Jene Firmen, die 1930 in den Konkurs schlitterten, hatten über all die Jahre praktisch kein Eigenkapital mehr.

Roman Sandgruber

Wie kam es, dass ausgerechnet 1930 diese großen Firmen fast zeitgleich kollabierten?
Die meisten Firmen waren bereits in der vorhin angesprochenen Hyperinflation, zu Beginn der Republik „kapitalentleert“ worden. Es folgte dann zwar die Stabilisierung durch die Genfer Protokolle, aber im Prinzip hatten jene Firmen, die 1930 in den Konkurs schlitterten, bereits seit der Hyperinflation über all die Jahre praktisch kein Eigenkapital mehr. Sie fristeten sich halt noch ein paar Jahre durch; man merkte es nicht, wollte es zum Teil wahrscheinlich auch nicht wahrhaben, es herrschte das Prinzip „Business as usual“, man machte einfach weiter. Im Prinzip waren aber viele dieser Firmen, wie auch viele bedeutende Banken, schon 1925 konkursreif.

Die Probleme wurden also nur bis zum Ende des Jahrzehnts mitgeschleift, bis zum großen Krach.
Ja, weil eine Inflation die Probleme immer nur aufschiebt.

Das würde heißen, dass die gängige Darstellung falsch ist, nach der die Weltwirtschaftskrise quasi „von außen“ – beginnend mit dem „schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse –, von den USA auf Europa, auf Österreich übergeschnappt ist? Die Probleme waren offenbar längst in den Bilanzen versteckt.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen den US-amerikanischen und der österreichischen Wirtschaft zu dieser Zeit. In den USA hat die Wirtschaft vor der Weltwirtschaftskrise geboomt, bei uns hat es zuvor keinen Boom gegeben. In Österreich trat die Krise in zwei Wellen auf: 1929 setzte der erste Schock ein, ausgelöst durch den Finanzkollaps an der Wall Street; 1930 glaubte man kurz, dass alles wieder vorbei wäre, und gleich 1931 kam der nächste Schock durch den Zusammenbruch der Creditanstalt. Es heißt immer, die Creditanstalt habe sich an der – von der Politik erzwungenen – Übernahme der Allgemeinen Bodencreditanstalt übernommen.

Die alte Creditanstalt in Wien (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Die alte Creditanstalt in Wien

Stimmt das denn nicht?
Die oft kolportierte Mär – dass Bundeskanzler Johann Schober dem Haupteigentümer der Creditanstalt, Baron Louis Rothschild, im übertragenen Sinn die Pistole auf die Brust gesetzt und ihn gezwungen habe, die marode Allgemeine Bodencreditanstaltsamt deren Verbindlichkeiten zu übernehmen, woran sich die Creditanstalt dann „verschluckt“ habe und selbst zum Sanierungsfall wurde – stimmt einfach nicht. Das haben Archivrecherchen eindeutig widerlegt. Aber auch hier wieder: Auch dieser Schock kam ja nicht von ungefähr. Denn Untersuchungen haben eindeutig gezeigt, dass auch die Creditanstalt bereits 1925 konkursreif gewesen wäre, ebenso die Bodencreditanstalt. Bei beiden Banken wurden die Probleme nur aufgeschoben.

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Die Firmenleitung hat damals unzählige Mitarbeiter entlassen und die Löhne drastisch gesenkt. Gleichzeitig hat sie aber Dividenden von vierzig Prozent ausgezahlt!

Roman Sandgruber

Hatte der Großteil der Unternehmen dieselben Probleme? Firmen ohne Eigenkapital, die in der Wirtschaftskrise in Konkurs gehen und ihre Arbeiter entlassen müssen?
Auch muss man wieder genau differenzieren, denn es gab selbst in dieser großen Krise Gewinner. Nehmen wir als Beispiel eine Firma der damaligen Zeit, zu der viele Zahlen vorliegen und die ich selbst genau untersucht habe: die „Kleinmünchner Spinnerei“ in Linz, die in den Dreißigerjahren eine große Spinnerei- und Webereifabrik war. Die Firmenleitung hat damals unzählige Mitarbeiter entlassen und die Löhne drastisch gesenkt. Gleichzeitig hat sie aber Dividenden von vierzig Prozent ausgezahlt! Auch das war die Weltwirtschaftskrise, manche haben damals auch extrem gut verdient. Da wundert man sich nicht, dass es massive gesellschaftliche Spannungen gab.

Wenn wir die letzte Phase der Ersten Republik betrachten: Werden jetzt die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder besser?
Die Wirtschaft wuchs gegen 1935 wieder an, viele österreichische Unternehmen investierten wieder. Die Investitionsgüterindustrie war gar nicht mehr so schlecht, während es für die Konsumgüterindustrie weiterhin problematisch war – denn die Massenkaufkraft war noch nicht da. Gerade in der letzten Phase der Republik, während des Ständestaates, wird der österreichischen Wirtschaftsgeschichte gerne Unrecht getan.

Zur Person
Univ. Prof. Roman Sandgruber
(Bild: Wolfgang Spitzbart .)

Der Wirtschaftshistoriker und Universitätsprofessor ist emeritierter Ordinarius des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz sowie Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er veröffentlichte zahlreiche Bestseller und wissenschaftliche Artikel zur Wirtschaftsgeschichte. Zu seinen bekanntesten Werken gehört: „Reich sein. Das mondäne Wien um 1900“ und „Rothschild: Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“.

Hat das mit der nationalsozialistischen Propaganda ab 1938 zu tun?
Hier wirkt die nationalsozialistische Propaganda bis heute nach, denn man darf nicht vergessen, welch massive nationalsozialistische Propagandawelle mit dem „Anschluss“ im März 1938 einsetzte. Die neuen NS-Machthaber behaupteten als Erstes, dass sie die österreichische Wirtschaft sanieren müssten und begannen gleich mit einigen öffentlichkeitstauglichen Rieseninvestitionsprojekten, die sie um jeden Preis durchzogen. Doch hier war viel Schaumschlägerei dabei.

Wie kann man die NS-Wirtschaftspolitik beschreiben?
Die österreichische Wirtschaft war damals auf einem guten Wachstumspfad – der vor allem viel seriöser war, als jener der Nationalsozialisten. Die Nazis waren halt „spektakulärer“ im Außenauftritt, aber in Wahrheit praktizierten sie eine ungeheure Defizitpolitik, die auf reine Ausbeutung ausgerichtet war. Um dieses NS-Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten, mussten andere bezahlen: zuerst die Juden, dann die Menschen in Osteuropa, schließlich alle. Die österreichische Wirtschaft war gegen Ende der Ersten Republik hingegen viel besser als ihr Ruf.

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