Cover-Songs sind dann gut, wenn man sie sich zu eigen macht – das gelingt der Steirerin Anja Plaschg aka Soap & Skin famos. Im randvollen Wiener Konzerthaus lud sie Freitagabend zur sakralen Wintermesse – und schwang sich stimmlich und musikalisch wieder in lichte Höhen.
Nicht nur Liebhaber des Dunklen und Abseitigen nagten in den letzten Tagen schwer am Ableben des progressiven Film-Kapazunders David Lynch. Mit ihm verstarb nicht nur ein wundervoller Mensch, sondern auch eine einzigartige Form von Kunst und kulturellem Ausdruck, die Mut und Andersartigkeit stets über das Kommerzielle und Gewohnte stellte. Dahingehend lässt sich ein Bogen von Missoula in Montana ins südoststeirische Katzendorf schlagen. Während Lynch seinen artifiziellen Feldzug von der 75.000-Seelen-Metropole in den USA aus startete, wurde Anja Plaschg dort sozialisiert, wo sich die beiden gerade miteinander verhandelnden Regierungsparteienanwärter ÖVP und FPÖ bei der letzten Nationalratswahl um die Stimmenvorherrschaft duellierten. Als Soap & Skin suchte sie früh den Ausbruch von der elterlichen Schweinemast und der kulturellen Enge – ein Stoff-Putscherl ziert heute ihr Klavier und gemahnt an Heimat und Vergangenheit.
Nur noch eine Fingerübung
Wenn man vom Hier und heute spricht, spricht man von ihrer „Torso“-Tour. Quer durch Österreich bespielt die Steirerin vorwiegend edles Ambiente und konzentriert sich auf ihr „Torso“ benanntes Cover-Album, mit dem sie letzten Herbst für Aufsehen sorgte. Wer mit dem Œuvre der Künstlerin vertraut ist, weiß, dass hier nichts gewöhnlich ist. Ausgetestet hat sie viele der Lieder schon letzten Sommer beim Lido Sounds in Linz. Intime, zuweilen fordernde Klänge bei 30 Grad im Schatten mitten am Nachmittag. Test souverän bestanden. So ist der Auftritt in einem seit Monaten bis auf den letzten Platz gefüllten Wiener Konzerthaus nur mehr eine Fingerübung. Mit galanter Hochsteckfrisur, kariertem Outfit und zarten Klavierklängen stellt sie das Ende an den Anfang. Der psychedelische The Doors-Klassiker „The End“ wird zuerst solo, dann mit Band zum Besten gegeben und lullt die Zuseher mehr als zehn Minuten lang ein.
Das imperial anmutende Setting des Konzerthauses hat sich schon des Öfteren als ideal für die Klangkunst von Soap & Skin erwiesen. Bei den zum Teil wild verformten Klassikern und Schmankerln aus unterschiedlichsten Epochen der Musikhistorie passt auch das Klangerlebnis. Wenn sich Plaschg in Liedern wie dem bahnbrechenden David Bowie-Cover „Girl Loves Me“ oder Shirley Basseys „Born To Lose“ stimmlich in lichte Sphären schwingt, fühlt man sich fast so, als wäre man im Zentrum eines schallenden Resonanzraumes. Mit respektvoller und genau in den richtigen Momenten auch euphorischer Begeisterung wird die Künstlerin vom Publikum durch das Programm getragen, das von ihrer fabelhaften Band verstärkt wird. Multitalent Alexander Kranabetter soliert an Trompete oder dem Horn, die Geigerin Emily Stewart begleitet Plaschg genial im mehrstimmigen „Safe With Me“, das mit zarter Percussion an einen Coldplay-Rhythmus erinnert und Viola Falb evoziert auf der Bassklarinette sinistre Momente.
Nur selten aus der Norm
Streicher und Bläser liefern sich ein stetes Duell auf Augenhöhe, während uns Plaschg kundig durch ein Wellenbad der Emotionen leitet. So ist das Clint Mansell-Cover von „Meltdown“ ein einziges Stroboskop-Flackern mit brettharten Sounds, zerschmilzt „Mystery Of Love“ von Sufjan Stevens fast in zarter Anschmiegsamkeit und erinnert das Hans Zimmer-Cover von „God Yu Tekem Laef Blong Mi“ an ein sakrales Erlebnis. Vor allem in der ersten Konzerthälfte singt die schüchterne Künstlerin lieber Richtung als gen Publikum, Zwischenansagen und Dankesbekundungen sind spärlich gesät und wirken sympathisch holprig. Aus der perfekten Norm fällt nur der Beginn von Cat Powers Song „Maybe Not“, den Plaschg am Klavier falsch einspielt und dadurch noch einmal von vorn beginnen muss. Ansonsten wird die musikalische Perfektion nie durchbrochen.
Ein besonderes Talent von Soap & Skin ist die Gegensätzlichkeit. Die Lieder wirken in ihrer verqueren und gleichzeitig sanften Machart zugänglich und warm, fordern aber auch die Konzentration und müssen zuweilen erarbeitet werden. Wie stark ihr eigenes Liedgut ist, spürt man an den partiell eingestreuten selbstgeschriebenen Songs. Etwa bei „The Sun“, wo der Schatten ihrer Silhouette seitlich auf die pompösen Marmorsäulen reflektiert wird, beim verzerrten und auf Deutsch gesungenen „Vater“ oder bei einer intensiven Darbietung von „Heal“, wo sich nach einem fulminanten Crescendo noch Raum für ein Fade Out bietet. Schade nur, dass das fabelhafte „Italy“ nur ganz kurz angeteasert und recht radikal gestoppt wird.
Blumen und Gänsehaut
Für das Schlussdrittel verlässt Plaschg den Klaviersessel und inszeniert sich als Sängerin an der Bühnenfront. Mit „Gods & Monsters“ (Lana Del Rey) und dem besagten Bowie-Cover wird der poppig-elektronische Teil des Abends eingeleitet. Das geheime Highlight entwickelt sich dann aber im Zugabenteil. Eine entfesselte Version des Velvet Underground-Klassikers „Pale Blue Eyes“, das sie allein und nur mit Bühnennebel ummantelt durch die Lokation haucht, entfacht Gänsehaut. Am Ende marschiert die Künstlerin ins Publikum und verteilt Blumen. Knapp zwei Stunden später ist die Kunstmesse gelesen. Soap & Skin hat ihrem Ruf, eine österreichische Mischung aus Björk und Fever Ray zu sein, wieder alle Ehre gemacht und für einen frühen „Konzert des Jahres“-Moment gesorgt. Da hat wohl auch David Lynch kurz runtergeschaut und freudig genickt. Nächste Live-Möglichkeiten: am 24. Mai beim Klagenfurt Festival und am 5. September beim Open-Air-Konzert in der Wiener Arena. Unter www.soapandskin.com finden Sie alle weiteren Informationen.
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