EBM zieht Bilanz

Polizeigewalt: Hunderte Fälle in nur einem Jahr

Österreich
20.01.2025 13:05

Über 500 Fälle mutmaßlicher Polizeigewalt sind im ersten Jahr von der neu angesiedelten Ermittlungs- und Beschwerdestelle gegen Misshandlungsvorwürfe (EBM) angefallen. Der Beiratsvorsitzende fordert mehr Personal und bessere Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaften. In zwei Fällen kam es zu einer Anklage.  

Über 500 Fälle von vermuteter Polizeigewalt sind im ersten Jahr von der neuen, im Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) angesiedelten Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe (EBM) angefallen. Ein Großteil davon – fast 400 – wurde bereits justiziell abgeschlossen. Zu einer Anklage kam es in zwei Fällen, ein weiterer Fall wurde diversionell erledigt, wie das Innenministerium am Montag in einer Bilanz bekannt gab.

187 Verfahren eingestellt
505 Verfahren betrafen Misshandlungsvorwürfe, in neun Fällen wurde polizeilicher Waffengebrauch untersucht, der mit Lebensgefahr bzw. Todesfolgen verbunden war. 392 Verfahren konnten strafrechtlich erledigt werden: 187 Verfahren stellten die Staatsanwaltschaften ein, in 202 Fällen wurde von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, wobei diese Fälle jedoch der Volksanwaltschaft gemeldet wurden, wie Meinrad Handstanger, der Vorsitzende des unabhängigen EBM-Beitrats, am Montag betonte.

EBM-Beirat: Keine schriftlichen Weisungen
Um sicherzustellen, dass die neue Ermittlungsstelle unabhängig ermitteln kann, wurde der Beirat installiert, der eine „strukturelle Kontrolle“ ausüben soll, wie Handstanger darlegte: „Es geht um Qualitätssicherung.“ Was die Unabhängigkeit betrifft, „habe ich keine Kenntnis, dass es eine schriftliche Weisung gegeben hat.“ Die EBM könne „in Anspruch nehmen, dass rasch, zuverlässig und objektiv ermittelt wird.“ Die hohe Anzahl an gemeldeten Fällen zeige, „dass die Einrichtung akzeptiert wird und Vertrauen genießt. Das ist im Interesse aller Beteiligten.“

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Die Einheit ist im Aufbau. Sie schlägt sich wacker und erfüllt ihre Aufgaben. Aber man wird sie wohl vergrößern müssen.

Meinrad Handstanger, Vorsitzender des unabhängigen EBM-Beitrats

Handstanger regte zudem eine Personalaufstockung der EBM an, bei der derzeit 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dienst versehen, darunter ein Menschenrechtsexperte und eine Psychologin, um die interdisziplinäre und multiprofessionelle Expertise sicherzustellen. Statt der erwarteten 300 Fälle seien im ersten Jahr deutlich mehr Vorwürfe an die EBM herangetragen worden.

Kooperation mit Staatsanwaltschaften „ausbaufähig“
Darüber hinaus trat der Beiratsvorsitzende für eine verbesserte Dokumentation bei Anhaltungen in Polizeigewahrsam – etwa in Anhaltezentren – ein: „Diese Fälle des Freiheitsentzuges finden außerhalb der Öffentlichkeit statt, weshalb es einem Transparenzdefizit vorzubeugen gilt.“ Handstanger kann sich daher Videoaufzeichnungen vorstellen, indem mit Bodycams ausgestattete Polizeibeamte diese auch einsetzen. Davon verspricht sich Handstanger eine „deeskalierende Wirkung auf beiden Seiten.“

EBM-Beiratsvorsitzender Handstanger wünscht sich mehr Personal, Videoaufzeichnungen in Anhaltezentren und Feedback von Staatsanwaltschaften. (Bild: Uta Rojsek-Wiedergut)
EBM-Beiratsvorsitzender Handstanger wünscht sich mehr Personal, Videoaufzeichnungen in Anhaltezentren und Feedback von Staatsanwaltschaften.

Die Kommunikation und Kooperation mit den Staatsanwaltschaften hält der Beiratsvorsitzende für „ausbaufähig“. Die EBM melde jeden Verdachtsfall der zuständigen Anklagebehörde, werde aber oftmals nicht ausreichend informiert, aus welchen Gründen die Ermittlungen eingestellt werden bzw. eine Anzeige zurückgelegt wird. „Hier wäre mehr Feedback wünschenswert.“ 80 Prozent der Fälle seien im ersten Jahr im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wien angefallen, weshalb für Handstanger die Schaffung „einer eigenen, auf vermutete Polizeiübergriffe spezialisierten Untergruppe bei der hiesigen Staatsanwaltschaft von Vorteil wäre.“

Amnesty International fordert Kennzeichnungspflicht
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigte sich mit der EBM grundsätzlich zufrieden. „Die hohe Zahl der geprüften Fälle zeigt, dass es die Stelle braucht. Aber auch, dass es für diese Stelle mehr Personal braucht“, hielt Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich“, fest. Hashemi erklärte, es sei „für die Polizei ein gutes Zeichen, dass Menschen sich trauen, sich an diese Stelle zu wenden, und davon ausgehen, dass ihr Vorbringen verfolgt wird.“ Die EBM sei insofern keine „Vernadererstelle“, als die sie seitens mancher Exekutivbediensteter zunächst womöglich angesehen werde, sondern für allenfalls zu Unrecht von Vorwürfen betroffene Polizeibeamte als eine Art Clearing-Stelle von Vorteil: „Sie trägt zur Transparenz nach außen und zur Wahrnehmung nach innen bei, dass Anschuldigungen von einer professionellen Ermittlungsstelle ordentlich nachgegangen wird.“

Vor der Einführung der EBM seien viele Fälle einfach nicht gemeldet worden, weil es keine unabhängigen Untersuchungen gab und das Vertrauen der Betroffenen in wirksame Untersuchungen fehlte, vermutete Hashemi. Dass die Stelle im Innenministerium angesiedelt ist, sieht Amnesty dagegen nach wie vor als Kritikpunkt. Damit habe der jeweils amtierende Innenminister eine theoretische Weisungsbefugnis.

Von der kommenden Bundesregierung fordert Amnesty die Einführung einer anonymisierten, aber individuell zuordenbaren Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten. Aktuell führe die fehlende Kennzeichnungspflicht nämlich dazu, dass die untersuchten Fälle von Polizeigewalt oft nicht belegbar sind, „und nicht, dass sie nicht haltbar sind“, wie Hashemi bemerkte. Eine Kennzeichnungspflicht sei daher „keine feindselige Forderung, sondern ein Beitrag, dass mehr Vertrauen in die Polizei geschaffen wird“, so die Amnesty-Geschäftsführerin. International sei eine Kennzeichnungspflicht längst „als menschenrechtlicher Standard anerkannt“ und in Europa in den meisten Ländern umgesetzt.

Innenministerium dementiert „voreingenommene Ergebnisse“
Indes trat das Innenministerium am Montag Kritikern entgegen, die im Vorfeld befürchtet hatten, die Ermittlungen der EBM würden „voreingenommene Ergebnisse“ bringen. Das sei „durch diese nunmehrige Bilanz einer unabhängigen und neutralen Stelle nachweisbar widerlegt“, hieß es in einer Aussendung. „Auch die neue Stelle kommt zu dem Ergebnis, dass der überwiegende Teil von Misshandlungsvorwürfen nicht halt- oder belegbar ist.“

Teile der politischen Opposition und NGOs hatten sich in der Vergangenheit daran gestoßen, dass die EBM im BAK und damit im Ressortbereich des Innenministeriums angesiedelt wurde. „Die Ermittlerinnen und Ermittler der Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe werden auch künftig ihre Arbeit neutral und unabhängig verrichten, sowohl be- als auch entlastende Beweismittel bei Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei sammeln und damit einen wesentlichen Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit polizeilichen Handelns leisten“, hielt dem das Innenministerium entgegen.

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