Der musikalische Alt-Country- und Folk-Tausendsassa Wild Oldham aka Bonnie „Prince“ Billy hat für sein neues Album „The Purple Bird“ den Weg nach Nashville eingeschlagen. Der „Krone“ verrät er im Interview, wie zeitlos er Musik konsumiert, wie seine Tochter in up to date hält und weshalb sich das neue Werk wie ein Sprung von einer Klippe anfühlte.
Entspannt, aufgeräumt, sicher in seinen Antworten. Wer heute mit Will Oldham ein Interview führt, der kann sich gar nicht vorstellen, dass der versatile Musiker mit Anfang 20 einen mentalen Zusammenbruch hatte und Gespräche mit der Presse früher mied wie der Teufel das Weihwasser. Oldham ist seit knapp 26 Jahren auch als Bonnie „Prince“ Billy unterwegs und gehört zu den wichtigsten Exportschlagern der US-amerikanischen Alternative-Country-Szene mit folkloristischem Einschlag und einer großen Liebe für Blues und Bluegrass. In seinen gut 30 Jahren Karriere hat er fast zwei Dutzend Alben und unzählige EPs veröffentlicht, dabei mit so unterschiedlichen Künstlern wie Björk, Matt Sweeney oder Bill Callahan zusammengearbeitet. Ein Vollblutkünstler, der heute mit sich und seiner Musik im Reinen ist und mit einem markanten Anflug von Altersmilde sehr entspannt auf eine musikalisch vielseitige Karriere zurückblicken kann.
Sprung von der Klippe
Für sein brandneues Album „The Purple Bird“ hat sich Oldham mit Nashville-Produzent David „Ferg“ Ferguson eingelassen, die für ihn neben Johnny Cash beeindruckendste Persönlichkeit, die er in seiner Musikerkarriere kennenlernen durfte. „Er ist nur zweieinhalb Autostunden von mir entfernt und wir haben uns für eine Writing-Session zusammengeredet“, erzählt Oldham im „Krone“-Interview, „ich war noch nie Teil einer Nashville-Songwriting-Session und wir haben gleich den Song ,Boise, Idaho‘ geschrieben. Ich kam also wieder vorbei und wir hatten plötzlich sieben, acht Songs fertig. Eingespielt mit den besten Musikern, die man sich vorstellen kann. Das war ein einziges Geschenk.“ Oldhams Stimme war das Zentrum der Aufnahmen, um sie herum haben die Musiker ihre Instrumentalspuren eingebaut. „Eine bizarre Erfahrung. Es war so, als würde ich von einer Klippe springen, aber wie ein Paraglider vom Wind getragen werden.“
Auch an der Musikmetropole Nashville gehen die modernen Zeiten nicht vorbei. „Die Aufnahmen für dieses Album waren ein großes ,Fuck You‘ an alle Veränderungen“, lacht der Künstler, „wir haben uns zusammengetroffen, gemeinsam gespielt und gemeinsam aufgenommen – so wie früher. An diesem Album zu arbeiten, gab mir das erste Mal in meinem Leben ein rundum gutes Gefühl. Egal, woran ich arbeite, ich stelle mir für gewöhnlich unweigerlich die Frage, ob ich als Musiker eine Existenzberechtigung habe. Das war hier nicht ein einziges Mal der Fall, weil ich mit den allerbesten Musikern arbeiten konnte und alles wie aus einem Guss entstand.“ Über die Jahre hat Oldham akzeptiert, dass die Musik nicht nur Berufung, sondern auch Beruf ist. „Ich singe und spiele heute jeden Tag mehrere Stunden. Ich habe verstanden, dass die Musik mein Leben ist und dass ich viel Zeit und Ehrgeiz in sie lege. Ich habe immer Angst, meine Songs wären zu langweilig oder zu schlecht. Aber heute lasse ich mich von dieser Angst nicht mehr besiegen, ich versuche, Dinge besser und spannender zu gestalten. Ich verzweifle nicht daran.“
Introvertiert und natürlich
„The Purple Bird“ erzählt von all den Dingen, von denen Oldham immer schon gerne erzählt hat. Vom ruralen Amerika, von Gemeinschaft, von Tieren und der Natur und davon, sich treu zu bleiben und sein Leben so zu leben, dass man niemand anderen dafür vor den Kopf stößt. „Das Coverartwork ist eine Zeichnung von Ferg als er sieben war“, lacht Oldham, „sie hängt in seinem Zuhause. Das ist offenbar so ein Nashville-Ding, dass man das so macht. Jedenfalls gefiel sie mir, außerdem mag ich Vögel und die Farbe Lila. Es hat sich alles wunderbar zusammengefügt. Zudem war die Zusammenarbeit ganz besonders. Ferg und ich sind beide absolut introvertierte Charaktere, die aber seit einem Vierteljahrhundert eine musikalische Freundschaft pflegen und diese jetzt auch nach außen tragen. Alles hat sich natürlich angefühlt. Entspannt und gemütlich. Die Aufnahmesessions für dieses Album waren ein Geschenk, für das ich unheimlich dankbar bin.“
Erst vor wenigen Tagen hat Will Oldham seinen 55. Geburtstag gefeiert. Er lebt noch immer in seiner Geburtsstadt Louisville, Kentucky, und kann nicht nachvollziehen, warum es andere Musiker in die großen Metropolen Los Angeles, New York oder Chicago zieht. „Daran ist natürlich absolut nichts falsch, aber wenn mir dann jemand etwas von Neuanfang und Ausbruch erzählt, muss ich lachen. Um neu anzufangen, musst du mit dem Alten abgeschlossen haben. Das ist bei solchen Geschichten fast nie der Fall. Es ist eher eine Flucht vor etwas, vor dem du aber nie entkommen kannst.“ In der ländlichen Beschaulichkeit lebt Oldham ein ruhiges Leben mit seiner Frau und seiner sechsjährigen Tochter, die schon fest in die Welt der Musik eingebunden ist. „Wenn ich sie zur Schule fahre, haben wir eine Tradition. Sie spielt mir zwei Songs auf YouTube vor, dann spiele ich ihr zwei vor. So lernt sie die Klassiker und ich bleibe am Puls der Zeit“, lacht der glückliche Familienvater, „ansonsten verkrieche ich mich in meine Tape-, CD- und Plattensammlung. Es gibt so viele tolle alte Sachen zu entdecken, da kann ich auf das Neue sonst auch gut verzichten.“
Albumhören als Statement
An den modernen Mechanismen des Musikgeschäfts will sich Oldham nicht stoßen. Er hat sich ein gewisses Stammpublikum erspielt, hat aber auch nicht den Druck der A-Liga-Künstler, mit jedem neuen Album ständig abliefern zu müssen. „Ich bin der Typ, der sich daheim auf die Couch setzt, eine Platte auflegt und sie konzentriert durchhört. Das ist heutzutage ein Statement und so mache ich das. Ich habe bei meiner Musik nicht den Anspruch, mit Trends mitzuhalten oder zu gefallen. Das war nie der Fall und ich habe mich auch nie in so ein Korsett zwingen lassen.“ Auch das feingliedrige und im besten Sinne urige „The Purple Bird“ ist eine Anleitung zum Eskapismus und zur Abkehr von der Hast und den Verfehlungen des Alltags. „Es gibt zu viele Dinge, die unsere Ängste und Unsicherheiten berühren und aufrütteln und uns selbst verunsichern. Musik soll ein sicherer Hafen sein, ein Wohlfühlort. Deshalb ist auch das Thema Wasser auf dem Album omnipräsent. Es ist eine bewusste Entscheidung für das Leben.“
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.