In seiner neuen Serie „Das zweite Leben“ spricht Autor Robert Schneider mit Menschen, die eine zweite Chance bekommen haben. Jüngst traf er sich mit Jörg Adlassnigg.
Es ist still um ihn geworden. Dem heimischen Kabarettpublikum war er bestens bekannt durch die Darstellung raubeiniger, oft kratzborstiger Typen, die dennoch das Herz auf dem rechten Fleck tragen. In unzähligen Folgen von Stefan Vögels einzigartigem und, was die Publikumszahlen betrifft, unerreichtem Erfolgsstück „Grüß Gott in Voradelberg“, stand Jörg Adlassnigg, der von Beruf Lehrer war, allabendlich auf den Bühnenbrettern dieses Landes. Aber auch in Maria Neuschmids Stücken war er ein kongenialer Partner, der die Pointen, die ihm förmlich auf den Leib geschrieben waren, mit alemannischer Nüchternheit parierte. Zuletzt war er in dem Kabarett „Alt“ zu sehen, einer humorvollen, oft bitterbösen Persiflage über das Thema Altenpflege. Das war im Jahr 2018. Dann erkrankte er schwer.
Robert Schneider: Jörg, schön, dass du den Auftakt zu unserer neuen Interviewreihe „Das zweite Leben“ machst, wo ich Menschen porträtieren darf, die dem Tod nah waren, jedoch die Chance auf einen neuen Anfang bekamen.
Jörg Adlassnigg: Das mache ich gern, wobei wir über den neuen Anfang, wie du sagst, noch reden müssen.
Woran genau bist du erkrankt?
Das nennt sich abgekürzt COPD, was für chronisch obstruktive Lungenerkrankung steht. Ich hatte das in der höchsten Stufe, gepaart mit einem Lungenemphysem. Hieß also im Klartext, dass ich unheilbar krank war, weil sich die Lungenbläschen sozusagen auflösten. COPD kann zwar durch Sauerstoffzufuhr verzögert werden, endet aber unweigerlich mit dem Tod, sofern keine Lungentransplantation erfolgt.
Wann hast du zum ersten Mal gespürt, dass mit dir etwas nicht stimmt? War das vielleicht sogar bei einer Aufführung?
Nein, das habe ich beim Joggen gemerkt. Ich war damals 52. Ich habe immer viel für meinen Körper getan. Vor allem aus Eitelkeit.
Stimmt. Auf mich hast du stets unglaublich stark und durchtrainiert gewirkt. „Ein Mann wie ein Baum“, wie es bei Büchner heißt.
Die ganze Sache begann schleichend. Ich wurde immer kurzatmiger. Schließlich ging ich zum Arzt, der eine angeblich verschleppte Lungenentzündung diagnostizierte. Ja, und im Jahr 2019 hatte ich dann endgültig Klarheit. Die Diagnose lautete auf COPD. Meine Lebensqualität verschlechterte sich von Monat zu Monat. Das ging also ganz schnell bei mir.
Das hatte natürlich Auswirkungen auf das Unterrichten und Theaterspielen, nehme ich an.
Richtig. Ich spürte, dass ich immer weniger redete, also gewissermaßen redefaul wurde, was ich nie war. Reden verbraucht nun mal viel Sauerstoff. Schließlich kamen noch körperliche Erscheinungen dazu. Ich wurde schnell müde, selbst das Rasieren wurde zur Anstrengung. Ich war zum Pflegefall geworden. Margit, meine Frau, der ich so vieles verdanke, musste mir die Haare waschen, weil ich einfach keine Kraft mehr dazu hatte. Ab 2021 konnte ich das Haus nicht mehr verlassen. Ich war nicht einmal mehr in der Lage, eine Espressotasse ruhig in der Hand zu halten.
Das muss für einen selbstbestimmten Menschen wie du es bist eine Qual sein.
Das Schlimmste waren die nächtlichen Panikattacken, wenn ich erwachte, weil ich keine Luft mehr bekam und glaubte, ich müsse ersticken. Dreimal hatte ich ein sogenanntes CO2-Koma, wurde also bewusstlos. Wenn Margit das nicht rechtzeitig bemerkt hätte, wäre ich heute nicht mehr am Leben. Ich wäre einfach eingeschlafen und gestorben.
Es gab also nur einen Ausweg. Eine Lungentransplantation.
Richtig. Ich ließ mich an der Uni-Klinik in Innsbruck listen, machte alle Voruntersuchungen. Das war ein sehr langes und mühsames Prozedere. Was mich am meisten beeindruckt hat, war, wie ernst die Ärzte die ganze Sache nahmen, besonders die Frau Dr. Bucher, die mich bis heute begleitet. Ich wurde auch dezidiert darauf hingewiesen, dass eine Lungentransplantation immer auch eine ethische Komponente hat. Ein Mensch ist gestorben, und ich darf, wenn ich Glück habe, mit einem Teil dieses Menschen weiterleben.
War das für dich ein Problem?
Nein. Es war eine Ermutigung, mit aller Kraft und allem Respekt vor der großartigen Arbeit dieser Ärztinnen und Ärzte, meinen Teil zum Gelingen der Operation beizutragen.
Wie lange musstest du auf die Transplantation warten?
18 Monate. Mir kam das sehr kurz vor. Die Operation war dann am 30. September 2023. Am Tag davor, halb zwölf in der Nacht, ging das Telefon. In einer halben Stunde müsse ich bereit sein, würde ich nach Innsbruck gebracht.
Eine Lungentransplantation hat auch eine ethische Komponente. Ein Mensch ist gestorben, und ich darf, wenn ich Glück habe, mit einem Teil dieses Menschen weiterleben.
Jörg Adlassnigg
Was ging dir kurz vor der Operation durch den Kopf? Kannst du dich noch daran erinnern?
Sehr genau sogar. Ich lag zwar schon halb sediert auf dem Krankenbett, sah die Neonlichter in den Gängen über mir, und der Chirurg Dr. Krapf sagte ganz herzlich, dass sie alles Menschenmögliche tun würden. Da ich eine Patientenverfügung veranlasst hatte, war mir noch wichtig zu sagen, dass, wenn etwas schiefgeht, ich ohne künstlich verlängernde Maßnahmen einschlafen möchte. Dann wäre ich zufrieden mit der Welt.
Und jetzt, nach mehr als einem Jahr, sitzt du vor mir, siehst aus, als wäre nie etwas gewesen. Ein Mann wie ein Baum.
So weit bin ich noch nicht. Aber es ist einfach ein Wunder, was die Ärzte an mir vollbracht haben, ob in Hohenems, auf der Pulmologie, in Innsbruck oder in der Nachbetreuungsklinik in Natters, anders kann ich es nicht ausdrücken. Aber der Weg dahin war hart. Ich musste die ganze Muskulatur wieder aufbauen – da bin ich immer noch dran – und das Einfachste auf der Welt von neuem lernen: das Atmen.
Wie hat diese einschneidende Zäsur dein Leben verändert?
Da sind wir wieder bei deiner Frage vom Anfang. Viele Menschen glauben ja, es beginne nach so etwas ein ganz anderes, ein neues Leben. Bei mir ist das nicht so. Mein Leben ist das gleiche geblieben und doch ganz anders. Ich bin kein Anderer geworden. Ich hatte das Riesenglück, im österreichischen Gesundheitssystem aufgehoben zu sein, wurde wirklich wie ein König behandelt. Dafür kann ich einfach nur Danke sagen.
Wann sieht man dich wieder auf der Bühne stehen?
Natürlich hätte ich wieder Lust, zu spielen. Vielleicht mit Maria Neuschmid, vielleicht auch was ganz Anderes. Aber ich gehe es langsam an. Ich gebe momentan Nachhilfeunterricht, was mir unglaublich viel Spaß macht, weil ich die Arbeit mit Kindern so gern mag.
Jörg, vielen Dank für das Gespräch!
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