„Krone“-Interview

Gary Kemp: Doch nicht zu alt für einen Popstar

Musik
06.02.2025 09:00

Mit Spandau Ballet schrieb er in den 80er-Jahren Musikgeschichte, danach reüssierte er als Schauspieler und Bandmitglieder der Pink Floyd-Legende Nick Mason. Nun veröffentlicht der Londoner Gary Kemp sein drittes Soloalbum „This Destination“ und verarbeitet darauf die kunterbunte Reise seines Lebens. Mit der „Krone“ sprach er über London als spezielle Stadt, seine Ängste und Unsicherheiten und weshalb er heute mit sich im Reinen ist.

Irgendwann kommt im Leben eines jeden Menschen der Moment der Reflexion. Man erinnert sich zurück an die längst vergangene Jugend, denkt an die größten Erfolge und schwersten Niederlagen und kommt dann zum Schluss, dass man zusammengerechnet ein privilegiertes Dasein genoss. Gary Kemp hat diese Erkenntnisse in sein neues und drittes Solo-Werk „This Destination“ gegossen - eine elf Kapitel starke Pop/Rock-Reise durch eine mehr als aufregende Karriere. „Als ich an dem Album zu arbeiten begann, war ich mental in einer verzwickten Lage“, erinnert er sich im Gespräch mit der „Krone“ zurück, „die Coronazeit hat mich ziemlich verängstigt, ich war plötzlich mitten in meinen 60ern und fühlte mich irgendwie unsicher. In jeder Hinsicht. Kemp geht daheim in sein Musikzimmer, setzt sich ans Piano und komponiert „Take The Wheel“. „Das war der Startschuss für das Album. Ich versetze mich darin in eine Art Humphrey Bogart-Position und versuche verzweifelt einen Kriminalfall zu lösen. Mein Fall ist die Unsicherheit in meinem Kopf.“

Musik als Lebenshilfe
Kemp sucht in seiner Schwächephase Hilfe bei seiner Familie. Er bekommt sie auch, merkt aber, das reicht nicht. „Es war wieder mal die Musik, die mich endgültig aus diesem Schlamassel geholt hat. Die Welt ist ein so dunkler, unsicherer, schrecklicher Ort geworden. Manchmal bleibt dir nur noch die Flucht in die Kunst.“ Kemp versuchte im Songwriting-Prozess, möglichst positiv zu bleiben. „Put Your Head Up“ ist etwa so eine Ermächtigungsnummer. „In der Musik finde ich immer Trost und alle Antworten auf schwierige Fragen, die sich mir stellen. Das war auch dieses Mal der Fall.“ Die Musik ließ Kemp aber auch schon im Stich. Musikliebhaber kennen ihn vorwiegend als Gitarrist, Musik- und Textschreiber der Londoner 80er-Legenden Spandau Ballet, die mit Hits wie „True“, „Through The Barricades“, „To Cut A Long Story Short“ oder „Highly Strung“ Musikgeschichte schrieben. Sechs Studioalben und rund zehn Jahre lang lag ihnen die Welt zu Füßen. Inklusive 23 Single-Hits, 25 Millionen verkaufter Alben und einem unvergesslichen Auftritt bei Bob Geldofs „Live Aid“-Benefizshow im Londoner Wembley 1985. 1990 kam es zum Bruch.

„Ich war immer der einzige Songschreiber und ausgelaugt. Mich hat es frustriert, dass die Verantwortung auf meinen Schultern lag, aber alle vom Erfolg und Ruhm mitnaschten. Damals wurden wir aber auch abgelöst. Wir waren älter und nicht mehr cool, Grunge und Alternative Rock haben Bands wie Spandau Ballet quasi über Nacht uninteressant gemacht.“ Kemp findet sich über Umwege plötzlich in Hollywood wieder und spielt in Filmen wie „Bodyguard“ oder „Killing Zoe“ mit. „Die Möglichkeit hat sich ergeben und ich nahm sie dankend an. Ich fühlte mich zu alt für einen Popstar. In Bands zu spielen mit Mitte 30, warum sollte ich das noch? Musik war mir egal. 1994 ging dann meine Ehe in die Brüche und es war endgültig nichts mehr so, wie es war. Da nahm ich nach Jahren wieder eine Gitarre in die Hand, was zu meinem Solo-Debüt ,Little Bruises‘ führte. Dort habe ich alle Enttäuschungen und Rückschläge meines Lebens verarbeitet. Gleichzeitig war das der Startschuss für eine neue Phase in meinem Leben. Ich habe wieder frischen Mut geschöpft.“

Alles hat seine Zeit
Spandau Ballet sollten sich 2009 mit dem mediokren Comeback-Album „Once More“ und vielen einschlägigen Liveauftritten noch einmal für zehn Jahre reformieren, bis 2019 endgültig Schluss war. „Ich habe gelernt, dass im Leben alles seine Zeit hat. Wir hatten sehr lange die beste Zeit, konnten das zu einem guten Teil in den 2010er-Jahren sogar wieder heraufbeschwören, aber es ist genug. Wir haben ein wundervolles Vermächtnis hinterlassen und ich sehe keinen Sinn darin, das jetzt mit einem neuen Album oder noch mehr Live-Shows künstlich am Leben zu erhalten. Wenn Musikfans an die 80er zurückdenken, wird ziemlich sicher auch der Name Spandau Ballet in ihren Erinnerungen auftauchen. Was kann man sich mehr wünschen? Ich bin an einem anderen Punkt in meinem Leben angelangt.“ Seit 2018 ist Kemp fixer Bestandteil der Liveband von Pink-Floyd-Legende Nick Mason. Mit den Saucerful Secrets tourt er erfolgreich durch Europa, die beiden verbindet eine langjährige Freundschaft. Nebenbei ist er seit einem Vierteljahrhundert mit seiner jetzigen Frau glücklich und hat mit „This Destination“ genau das Album gemacht, das ihn endgültig in die volle Zufriedenheit versetzt.

Viele Songs reichen tief zurück in Kemps Leben. „Borrowed Town“ etwa befasst sich mit seiner Heimatstadt London, die man sich niemals richtig verinnerlichen könne. „London ist eine Stadt für bestimmte Lebensphasen“, lacht der Musiker laut auf, „ich habe für mich sehr lange im London meiner Vergangenheit gelebt. Die 80er-Jahre haben mir alles beschert, was man sich vorstellen kann und ich habe mich daran festgehalten. Mit dem Song wollte ich poetisch darauf blicken, wie offen, divers und jung London wurde und habe gemerkt, dass ich in vielen Punkten nicht mehr mithalten kann und will. London war früher das Zentrum der globalen Musik. The Faces, The Who, David Bowie, die Sex Pistols – sie alle kamen von hier. Heute ist das anders. Meine Kids beziehen ihre Einflüsse vom schwarzen Hip-Hop aus den USA. Das ist wieder so wie in den 60ern, wo sich die Rolling Stones vom schwarzen amerikanischen Blues inspirieren ließen. London ist eine in jeder Hinsicht geniale Stadt, aber wenn du nicht ständig wachsam bist, frisst sie dich auf.“

Wenig und doch alles
Nur zwei Songs auf dem Album hat Kemp abseits seiner eigenen Emotionen und Erfahrungen geschrieben. „Dancing In Bed“ dreht sich um die allgemeine Magie des Songwritings zwischen zwei unterschiedlichen Personen und „At The Chateau“ nimmt die verrückte Kunstwelt mit all ihren exzentrischen Selbstdarstellern amüsant aufs Korn. Ganz im Gegensatz etwa zu „Work“, einer Hymne an Kemps Eltern. „Mein Vater war Drucker in einer Fabrik und hat täglich wie ein Tier gearbeitet, damit wir ein Dach über dem Kopf und Brot am Teller hatten. Es war immer Spitz auf Knopf und er zerbrach fast an der Verantwortung. Meine Mutter hat behinderten Kindern geholfen und war eine gute Seele. Wir hatten als Kinder wirklich wenig, aber auch eigentlich alles, wenn du weißt, was ich meine. Mein Bruder Martin und ich wurden mit Spandau Ballet reicher, als man es sich vorstellen konnte. Aufgrund unserer Herkunft plagte uns lange ein schlechtes Gewissen. Es war immer ein Gefühl der Schuld dabei, weil wir wussten, wie viel unsere Eltern machten, ohne dass sie dieses Glück hatten.“

Seine Kindheit hat Kemp nie vergessen. „Der Working-Class-Background hat mir immer mehr Biss gegeben als anderen. Ich habe eine ganz andere Arbeitsmoral. Ich scheue die Extrameile nicht und bin fast nie mit etwas zufrieden. Durch die Erfahrungen meiner Kindheit wollte ich immer, dass meine eigenen Kids sorgenfrei und sicher aufwachsen können.“ In vielen Bereichen von „This Destination“ wird Kemp so persönlich wie seit seinem „Scheidungsalbum“ nicht mehr. „Das Album handelt zuweilen auch von der Sterblichkeit und der Tatsache, dass man sich damit abfinden muss, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Die Corona-Jahre haben mir klargemacht, dass der größte Teil meiner Reise hinter mir liegt und nicht mehr so viel kommt. Ich will meine Sorgen und Probleme verstanden wissen und loswerden. Deshalb höre ich Alben. Deshalb lese ich Bücher. Deshalb schreibe ich selbst Musik. Es gibt viele schwere Songs am Album, aber die positive Stimmung überwiegt.“ Mit Mitte 60 beginnt für Gary Kemp eine neue Reise, auf der er nichts und niemandem mehr etwas beweisen muss.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt