Ende Februar feiert er seinen 70. Geburtstag, und mit dem neuen Album „Wimpernschlag“ geht Austropop-Legende Rainhard Fendrich 2025 in sein 45-jähriges Bühnenjubiläum. Der „Krone“ erzählt der Liedermacher im großen Interview, warum Hass pervers ist, wieso ihn Menschen und nicht die Politik interessiert und was er in knapp fünf Karrieredekaden alles gelernt hat.
„Krone“: Herr Fendrich, 2025 ist Ihr Jubeljahr. Das neue Album „Wimpernschlag“, 70. Geburtstag, 45. Bühnenjubiläum ...
Rainhard Fendrich: Ich bin total dankbar, aber auch so nervös wie nie zuvor, weil die Tour sich richtig gut verkauft. Es ist ein bisschen ein Gefühl wie vor einer Schularbeit, weil die Erwartungshaltung so groß ist. Ich tue mein Bestes, diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Eine anstehende Tour kann Sie nach so langer Zeit wirklich noch aus der Bahn werfen?
Dieses Jahr ist was anderes. Eine ausverkaufte Tour, wo ich zweimal in der Wiener Stadthalle oder auch zweimal in Salzburg auftrete, ist schon noch was ganz anderes. Ich beschäftige mich im Vorfeld auch stark mit meinem alten Werk. Die Leute sagen mir immer: „Schreiben Sie doch wieder was Lustiges und nicht immer etwas Politisches“, aber das stimmt eigentlich gar nicht. Die Hits wurden dann halt Songs wie „Schickeria“, aber ich habe schon immer in eine bestimmte Richtung gedacht. Ich bekam vom Journalisten Heinz Sichrovsky einmal die Kritik: „Rainhard Fendrich versteht es nicht, mit intellektueller Schärfe die Probleme unserer Zeit aufs Korn zu nehmen“. Das hat gesessen und das habe ich mir bis heute gemerkt. Als ich begann, war das die große Zeit von Liedermachern wie Konstantin Wecker oder André Heller – dorthin wollte ich auch. Schlechte Kritiken haben mich aber immer weiter gebracht als Schulterklopfer.
Kritik an politischen Liedermachern gab es schon immer, doch durch die Social-Media-Plattformen ist es seit geraumer Zeit jedem möglich, auch in der Öffentlichkeit gelesen und gehört zu werden. Fällt Kritik an eine Person wie Sie dadurch stärker auf als früher?
Die sozialen Medien sind wirklich ein eigenes Phänomen und ich kann mich noch gut erinnern, als sie damals aufgekommen sind. Soziologen und Philosophen haben gesagt, sie werden die Welt zu einem besseren Ort machen – heute wissen wir: genau das Gegenteil ist der Fall. Diese Form der Hochgeschwindigkeitskommunikation hat uns ängstlicher und aggressiver gemacht. Man zeigt sofort mit dem Finger auf andere und urteilt. Ich rede da gar nicht von Hasspostings, sondern von all dem Überflüssigem und Unnötigem, nur damit man wahrgenommen wird. Durch die Anonymität hat das eine Heckenschützenmentalität. Privat bin ich überhaupt nicht auf sozialen Medien, ich sehne mich nach Stille. Meine Freunde rufe ich an oder ich schicke kurz eine WhatsApp-Nachricht. Beruflich geht es aber nicht mehr ohne. Im ARD-Morgenmagazin sagte unlängst ein Jugendforscher, 80 Prozent der Erstwähler erhalten ihre politische Bildung aus den sozialen Medien. Und wer ist dort stark und umtriebig? Rechtspopulistische Parteien. Ich verstehe nicht, warum alle anderen diesen Zug verschlafen haben.
Soziale Medien bilden dann auch die sogenannte „Blasenbildung“. Man bewegt sich nur in den eigenen Interessensfeldern und klammert die Welt, wie sie um einen herum passiert, aus.
Der Algorithmus ist das größte Schreckgespenst. Ich habe zum Glück ein Team, das in regelmäßigen Abständen etwas postet, mir selbst gruselt es davor. Dadurch geht es nicht mehr darum, ob etwas gut oder schlecht ist, sondern nur noch um die Wahrnehmung und die Präsenz. Ich interessiere mich auch nicht für Politik, sondern für die Menschen und das Leben. Ich hätte gerne eine Partei, die mein Vertrauen genießt und wo ich mich zurücklehnen und der ich vertrauen kann. Leider ist dem nicht so. Ich glaube aber auch nicht daran, dass die Politik an allem schuld ist, was in der Welt passiert. Viele Parteien haben sich aber nicht aus ihrer Komfortzone bewegt und Ängste, Risse und Entwicklungen in der Gesellschaft verschlafen. Da gibt es welche, die den Putin als zuverlässigen Partner sehen, weil wir dort ja von immer das billige Gas gekriegt haben. Und die Ukrainer sollen dann auch noch die Bösen sein? Hallo? Das ist unfassbar.
„Wladimir“ war das erste Lied Ihres neuen Albums „Wimpernschlag“, das Sie im Laufe des letzten Jahres live aufgeführt haben.
Das musste ich machen. Mich regt es ungemein auf, dass Putin immer stärker gesellschaftsfähig wird und wie mit ihm umgegangen wird. Meine Kindheit stand in der Tradition von Helmut Qualtinger oder Georg Kreisler – Humor ist eine Waffe und nicht beleidigend. Ich versuche in dem Lied einem Narzissten in seiner Eitelkeit die Hosen auszuziehen – mehr nicht. Die Radiostationen in den Bundesländern sagen mir, dass sie das Lied mögen, es aber nicht spielen können. Es wäre ihnen oft zu gefährlich. So weit sind wir also schon gekommen. Mit der Demokratie gewinnt man heute keine Wahlen mehr, aber wenn sie erst einmal weg ist, dann ist die Meinungsfreiheit das erste, das stirbt. Viele Kollegen von mir aus dem Theater sagen nichts mehr, weil sie den nächsten Shitstorm befürchten. Beim Event „100 Jahre Radio“ habe ich mein Lied „Rattenfänger“ gespielt, das ist 30 Jahre alt - dafür wurde ich bedroht. „Wir wissen, wo du wohnst. Wir zünden dein Haus an. Du linke Bazille.“ Wenn man Menschen mit einer anderen politischen Einstellung als der eigenen so entgegentritt, dann weiß ich auch nicht mehr.
Was können Sie als Künstler und Mensch der Öffentlichkeit denn bewirken?
Ich habe keine Ahnung, wie wir das alles durchbrechen können. Es klingt so banal, aber wir müssen aufhören, uns zu verletzen. Wenn du etwas auf dieser Welt ändern willst, dann fang bei dir selbst an. Ich habe einem buddhistischen Mönch gesagt, das Problem der westlichen Welt ist, dass wir zu viel hassen. Er hat mir das metaphorisch erklärt, dass es wie eine Flüssigkeit ist. Wenn du den Hass ausschüttest, bleibt immer ein bisschen im Glas drinnen. Hass ist für mich eine der perversesten Formen der Selbstbefriedigung. Wie in der Innenpolitik: Man kann ja nicht auf einen etwaigen Koalitionspartner schimpfen, bevor er einer ist. Ich verstehe das nicht.
Haben Sie auch manchmal das Gefühl, in Österreich hat man es lieber, dem anderen geht es schlechter als einem selbst besser?
Irgendwie ja. Da muss man doch etwas daran ändern können. Gegen diese Missgunst eintreten. Eine furchtbare Entwicklung.
Trotz allem ist bei Ihnen in den letzten Jahren deutlich mehr Ernsthaftigkeit in die Songs gekommen. Sie sind innerhalb und auch außerhalb Ihrer Lieder politisch noch deutlicher geworden.
Ich war früher sehr vorlaut und bin heute etwas vorsichtiger geworden. Ich habe natürlich eine gewisse Lebenserfahrung und sehe die Welt aus meiner Perspektive, aber ich kann nur Fragen stellen – Antworten habe ich keine parat. Mein Lieblingsbuch ist „Mit der Reife wird man jünger“ von Hermann Hesse. Das stimmt, denn man wird zumindest besonnener und hat einen anderen Blickwinkel auf die Dinge. Die einen gehen in den Altersstarrsinn, die anderen versuchen, weiter ihren Horizont zu öffnen. Ich versuche, zur zweiten Gruppe zu gehören.
Im Umkehrschluss auf Ihre Musik bedeutet das, Sie schreiben ein Lied nicht aus einer politischen, sondern aus einer gesellschaftlichen Intention heraus?
Ich suche mir die Themen nicht aus, die Themen finden mich. Die Grundvoraussetzung für einen Liederschreiber sind Neugierde und Wachsamkeit. Mir fallen oft Dinge auf, die andere nicht bemerken und die gieße ich dann in meine Ausdrucksform. Ich will keine Message verbreiten und bin auch keiner, der weiß, wo es langgeht. Ich mache mir aber meine Gedanken und daraus resultieren Lieder, in denen ich mir selbst Fragen stelle. Dass es politisch gerade aus allen Angeln geht, ist für uns alle unangenehm. Die Kunst muss aufregen. Sie muss provozieren, sonst verliert sie ihre Existenzberechtigung. Ich habe nichts gegen Après-Ski und Schlager, aber ich mache keine Spaßbeschallung. Das eine ist eine Unterhaltungsmaschinerie, das andere Kunst. Schon in der McCarthy-Ära in den USA gab es eine Zeit, wo Künstler kein Engagement bekamen. Als Künstler muss man aber auch etwas aushalten. Es muss immer möglich sein, dass man jemanden mit einer anderen Meinung mit einem Minimum an Respekt behandelt. Mein Vater hat immer gesagt, wenn dich dein Gegenüber in einer sachlichen Diskussion beschimpft, kannst du davon ausgehen, dass er nicht recht hat, weil ihm die Argumente ausgehen. Die Politiker dürfen sich nicht wundern, dass ihnen keiner mehr Vertrauen entgegenbringt, wenn der Umgangston unterirdisch ist und manche gefühlt öfter in Untersuchungsausschüssen sitzen als im Parlament. Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und den NEOS sind geplatzt, aber weiß man warum?
Es gibt drei Wahrheiten. Für jede Partei eine.
Sie sagen aber alle nichts Konkretes. Ich will als Wähler wissen, woran ich bin und die Wahrheit kann doch nicht so schlimm sein. Auf der anderen Seite: Wenn die ÖVP und die FPÖ so viel Deckungsgleichheiten haben, warum gibt es dann überhaupt zwei Parteien? Meine Mutter ist Sudetendeutsche. Ich weiß dadurch, was es heißt, seine Heimat verlassen zu müssen. Sie war ihr Leben lang gebrochen. Wenn ich heute Sprüche höre, wie „die Justiz muss der Politik folgen“, wird mir ganz anders. Das muss man sich einmal auf der Hirnrinde zergehen lassen. Was soll die Festung Österreich sein? Eine Mauer um ein Binnenland herum? Herr Kickl wurde als Innenminister entlassen, weil er ein Sicherheitsrisiko war. Ich habe von ihm das Bild, wo er mit seinen Pferden grast. Wenn man sich auf das hohe Ross begibt, sollte man aber auch reiten können.
Müssen Sie bei all den Verwerfungen auf der Welt manchmal darauf achten, Ihre Lieder nicht mit zu viel Wut zu schreiben? Entstehen Ihre Texte ungefiltert, oder wird da noch öfter wieder drübergegangen?
Ich kann immer nur eine Richtung vertreten und bin auch keiner, der beschwichtigt. Ich erhebe nicht den Anspruch, mit allem, was ich sage, recht zu haben, aber ich überlege mir immer sehr genau, was ich denke und sage. Ich bin der Letzte, der sich nicht vom Gegenteil überzeugen lässt, wenn es argumentiert ist. Von Kickl hört man erstaunlich wenig Siegesgeheul und er verhält sich eigentlich gerade moderat. Vielleicht bringt die Macht auch eine Kehrtwendung mit sich und er wird eine wunderbare Rede im EU-Parlament halten – nur ist die Wahrscheinlichkeit für all das ist nicht sehr groß. Der Aufschwung der Rechtspopulisten passiert auch, weil sie in vielen Dingen recht haben und es ihnen von den etablierten Parteien leicht gemacht wird. Aber die Rechtspopulisten legen nur den Finger in die Wunde, sie haben kein Pflaster. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das mitten in Europa liegende Österreich isoliert sein sollte. Ich sage ja nicht, dass die FPÖ-Wähler alle deppert sind und auch nicht, dass ein Drittel der Österreicher Nazis sind. Die Leute sind vielleicht rechtskonservativ, aber keine Nazis. Diesen Standpunkt verteidige ich auch im Ausland vehement. Es erschreckt mich aber, dass eine rechtsgerichtete Wählerschaft so naiv ist, die Konsequenzen nicht zu erkennen. Der Rechtsruck ging eigentlich von den etablierten Parteien aus – und das europaweit.
Sie beginnen ihr Album mit dem Lied „Wir sind am Leben“, bei dem ein positiver Tenor im Narrativ mitschwingt. War Ihnen dieser Zugang ein Anliegen?
Das Lied ist zugegebenermaßen naiv, aber ich möchte naiv bleiben und an dem Prinzip Hoffnung festhalten, solange es noch Leute gibt, die den Mund aufmachen. Ich meine da nicht nur mich, es gibt viel Intelligentere und Gebildetere. Ich lebe hier als mündiger Bürger und sage das, was ich denke. Manchmal habe ich vielleicht auch recht, aber ich bin nicht der erhobene Zeigefinger. Auch wenn alles dagegen spricht, möchte ich daran glauben, dass die Zeiten wieder besser werden. Hören wir auf, daran zu glauben, dann ist eh schon alles wuascht. Gott sei Dank gibt es auch eine schweigende Mehrheit, die langsam aufwacht. Ich habe aber selbst keine Lösung parat. Die Zeiten sind dunkel, jetzt kommt auch noch die Kriegsangst dazu. Seitdem ich Trumps Rede zum Thema Grönland gehört habe, denke ich mir, der Dritte Weltkrieg naht. Das lassen sich die Chinesen nicht gefallen. Die Grönländer sind auch mit den Dänen nicht glücklich, aber es hat sich alles eingependelt. Frei nach dem Motto „Kanada ist dazwischen, das nehmen wir gleich mit“ plant Trump jetzt imperialistische Eroberungsfeldzüge, die einen großen Krieg näherbringen.
Was würden Sie denn Wladimir Putin sagen?
„Pass auf, wir sind gleich alt. Was ist dein Ziel? Willst du irgendwann der 100-Jährige sein, der aus dem Fenster springt, um Zar zu werden? Du hast doch alles? Was willst du noch?“ Ich verstehe das alles nicht. Trumps Reden wiederum erinnern mich stark an jene von Benito Mussolini. Ich habe das Gefühl, die ganze Menschheit ist gerade in der Geiselhaft von einer Handvoll Narzissten. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Warum muss sich Herbert Kickl als Volkskanzler bezeichnen? Reagiere ich da übersensibel oder ist das eine reine Koketterie mit Machtfantasien? Muss man das heute wirklich sagen? Ich habe wirklich große Angst um unsere Freiheit und die Demokratie. Ich bin zum Glück nicht mehr jung, aber ich würde mir wünschen, dass von den jungen Künstlern noch mehr den Mund aufmachen und sie sich engagieren.
Sie sehen sich aber trotz allem in der Verantwortung, den Mund aufzumachen und sich zu wehren?
Aber nicht, weil ich ein bekanntes Gesicht und ein Liedermacher bin. Ich kann nicht anders und würde genauso handeln, wenn ich einen anderen Beruf hätte. Da hören nur nicht so viele Leute zu. Manchmal denke ich mir selbst, ich sollte was Lustiges schreiben, aber das ist schwierig. Dann stehe ich plötzlich im Regen, rufe ein Taxi und höre so eine Melodie am Handy, eine schreckliche Musik – daraus entstand das Lied „Warteschleife“. Manchmal muss man dem Wahnsinn des Alltags mit Humor begegnen. Heute etwas Lustiges zu singen, ist aber wirklich eine Herausforderung. Ein Schlagersänger hat es leicht, da geht es immer um das Thema Liebe in allen Facetten, das ist nur leider nicht mein Metier.
Ist es in der Musik nicht ein bisschen wie beim Film? Dass die Komödie bzw. das Lustige die Königsdisziplin ist?
Aber beim Theater ist es die Tragödie. Ich sehe mich eher in der Theaterrichtung verortet, denn die zeitgenössischen Theaterstücke sind allesamt extrem kritisch. Wenn ich ins Theater gehe, will ich, dass es nachwirkt. Das würde ich mir auch wünschen, wenn das Publikum meine Lieder hört. Wenn ich meine Gedanken mit den Leuten teile, dann soll das interaktiv sein. Deshalb ist Spotify auch Gift für meine Musik. Klar, bei Taylor Swift geht es um eine gute Hookline und man ist nach zehn Sekunden im Song drinnen, aber wenn man bei mir einen Satz herausreißt, stimmt die ganze Geschichte nicht mehr. Ich bin mehr Geschichtenerzähler als Musiker und dem Theater damit oft näher als der Musik. Ein Lied funktioniert immer dann, wenn es nur mit der Gitarre funktioniert.
Auf „Wimpernschlag“ gibt es auch viele Momente der Selbsterkenntnis. Etwa im Lied „Hoit mi“, wo es um den Zwiespalt zwischen dem Zusammensein und dem Wunsch nach Momenten des Alleinseins geht. Haben Sie für das Album Ihre Vergangenheit überworfen und reflektiert? Vielleicht auch analysiert?
Natürlich habe ich Fehler gemacht, aber zusammengerechnet bin ich ein sehr beglückter Mensch. Mein Sohn Lucas ist auch talentiert, er singt viel besser als ich und macht großartige Musik. Er hat alle Voraussetzungen, um diesen Beruf erfolgreich auszuüben und ich wünsche ihm, dass er die richtigen Personen zur richtigen Zeit kennenlernt und Chancen auch als solche erkennt. Ich hatte viel Glück und war oft zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und bei den richtigen Leuten. Ich hatte eine Nase dafür, was wichtig ist und war dann immer da. Ich stehe auf der Bühne vorne, aber ohne meine Band bin ich nichts. Das wissen die anderen auch und dieses Gefühl ist sehr wichtig. Das sind Dinge, die man im Laufe eines Künstlerlebens lernt. Ich blättere aber nicht im Fotoalbum von früher. Früher waren die Autos unsicherer, die medizinische Versorgung war noch nicht so ausgeprägt und die Erziehung war brutaler. Was mich heute sorgt, ist nur die Wende in eine Richtung, die unsere Freiheit bedroht. Das ist angsteinflößend.
Das Cover-Artwork des Albums zeigt Sie in der Gegenwart und in jungen Jahren. Wollen Sie mit dieser Verbildlichung den Kreis Ihres Lebens schließen?
Ursprünglich wollte ich mich von beiden Seiten her selbst anschauen, das haben wir aus grafischen Gründen aber nicht hingekriegt. Mit den zwei Gesichtern stehe ich jetzt aber zu meinem Alter und meiner Erfahrung. Ich bin so wie ich bin und werde mich nie liften lassen. Bei manchen Klassentreffen erkenne ich manche Frauen gar nicht mehr, aber ich stehe zu den Falten und den Ringen unter meinen Augen. Klar ist man jünger schöner als im Alter, aber man kann im Alter eine Ausstrahlung haben, die man als Junger nicht hatte. Jedes Alter hat seine Qualität, auch wenn es noch so kitschig klingt. Ich habe heute nicht mehr den Stress, ständig das Gefühl zu haben, was zu versäumen. Die Leute wollen alle ihre Ruhe haben und durch den gesellschaftlichen Stress sind viele kurz vor dem Burn-Out. Das Gefühl habe ich zum Glück nicht, ich bin mein eigenes Metronom.
„Das kleine Glück“ spiegelt doch all das, was Sie mir hier erzählen, ein bisschen wider. Mussten Sie sich auch oft gewahr machen, dass die Kleinigkeiten des Alltags und die besonderen Momente am Ende den größten Wert besitzen?
Mein Großvater, der aus seiner Heimat vertrieben wurde, hat immer gesagt, dass es besser ist reich zu sein als arm. Aber es ist eine andere Form des Reichtums, denn materiell reiche Leute müssen ständig mit der Angst leben, diesen Reichtum vielleicht zu verlieren. „Das kleine Glück“ hat den Ursprung bei meinem Großvater. Er ging immer zum Heurigen und fuhr mit der Stadtbahn nach Nussdorf raus, da war ich vielleicht fünf Jahre alt. Er kannte alle Wienerlieder und hat dort mit den Musikern gespielt und was getrunken. Das Wienerlied ist melancholisch und traurig, aber nie verzweifelt. Der Wienerlied-Stil taucht in meinen Liedern immer wieder auf, aber nicht in die Heinz-Conrads-Richtung, sondern anders. Das Wienerlied ist unser Blues. Ich sehe viele Menschen, die sind 80 oder 90. Sie haben graue Haare, sind aber glücklich, nehmen sich bei der Hand und freuen sich. Ich frage mich da immer, was sie erlebt haben. In der ganzen Welt geht es nur ums Geld und den Profit, um Ressourcen und Handelswege. Ich gebe aber zu, dass mit zunehmendem Wohlstand auch die Lebensqualität zunimmt.
Muss man an Lebenserfahrung gewinnen, damit man die Dinge aus dieser Perspektive sieht? Haben Sie erst im Laufe der Jahre verstanden, was im Leben wirklich zählt?
Auf alle Fälle. Ich bin heute ein wohlhabender Mann, aber die unbefangensten Momente waren damals im Zweimann-Zelt in Jesolo. Ich hatte damals keine Perspektive und war voll im Sein. Wir hatten wenig Geld, aber den schönsten Sommer. Mit zunehmendem Lebensalter wächst die Verantwortung und man bekommt andere Perspektiven aufs Leben. Ich wollte nie Künstler werden, um Künstler zu sein, sondern weil ich eigentlich reich sein wollte. In einem Interview habe ich mal gesagt, dass ich wie Robert Mitchum wäre, der auch deshalb Schauspieler wurde. Ich hatte immer am wenigsten Geld und wollte deshalb Geld haben. Bei meinem alten Fiat 500 konnte man unten bei der Bodenplatte durchschauen, aber ich war mit ihm in Sizilien. Ich hatte in meinem Leben viele Autos, aber das war das Beste, das ich je hatte. Von meinem Vater bekam ich keinen Schilling Taschengeld. Weil ich kein Geld hatte, habe ich aufgehört zum Glück aufgehört zu studieren. Anfangs wollte ich einfach Geld verdienen und dann kam ich drauf, dass der Beruf als Musiker wirklich super ist. Andere gehen aufs Reinhardt-Seminar oder haben eine Gesangsausbildung und ich bin durch einen Segen reingerutscht. Ich erinnere mich noch gut, als ich in Griechenland war, in einer älteren „Kronen Zeitung“ blätterte und dort las, dass „Strada del Sole“ in Österreich auf die eins ging. Dann habe ich mir eine Flasche Ouzo gekauft und erst einmal richtig gefeiert. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich zwar erfolgreich war, mir aber die Anerkennung der Gesellschaft fehlte. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich mich gesellschaftskritisch mehr engagiert habe. Ich habe mich immer an den großen Wortgiganten und Lyrikern orientiert. Ich bin für mein Leben heute aber unheimlich dankbar.
Kommt man mit den leichteren Songs aus dem eigenen Repertoire mit den Jahren besser klar?
Ja, aber ich muss mich da auch selbst verteidigen und sagen, dass jeder vermeintlich leichte Song einen tieferen Hintergrund hat. „Macho, Macho“ nimmt das übertriebene Männlichkeitsgehabe aufs Korn. Damals war es ja üblich, dass auf den „Palmers“-Plakaten muskulöse Männer in weißen Unterhosen drauf waren. Die Softies waren out, man brauchte Muskeln, Föhnfrisur und so einen „Last Christmas“-Touch. Heute ist das furchtbar peinlich. Oder „Blond“, das oft als Schlager tituliert wurde. Da geht es um die Männer, die so blöd sind, dass sie nur auf die Äußerlichkeiten gehen. „Schickeria“ hat sich kritisch auf die Neidgesellschaft berufen. Aber auch die Frage, warum manche so viel haben und andere so wenig. Wieso hat mein Vater nicht mehr Geld und warum habe ich nicht das größte Auto? Das sind so jugendlich-denkerische Facetten, die sich bei mir in Liedern geäußert haben. Jetzt im Alter ist das alles nicht mehr wichtig. Da zählen Liebe und Gesundheit, das kann man nicht kaufen.
Ihr größter Hit „I Am From Austria“ ist auch des Öfteren missinterpretiert worden. Da gibt es doch Parallelen zu Bruce Springsteen und seinem „Born In The USA“.
Ein wirklich treffender Vergleich, weil es genau das Gleiche ist. Jetzt sind wir wieder im Naziland. Als ich in den USA war, habe ich immer Österreicher getroffen, die ihre Herkunft verleugnet haben und sich als Schweizer ausgaben. Das habe ich nie gemacht. Wenn das Lied in einem Fußballstadion gesungen wird, hat das ein lapidares Zusammengehörigkeitsgefühl. Damals wurde mir vorgeworfen, ich würde den Ausländerhass schüren. Hallo? Man kann seine Heimat auch lieben, ohne alles andere schlecht zu finden und jemand anderes nicht zu wollen. Ich habe trotz allem gesagt, Österreich ist meine Heimat.
Bleiben Sie Österreich treu?
Ich will jetzt auf gar keinen Fall weggehen. Jetzt muss ich dableiben. Jetzt muss man zu seinem Land stehen und Dinge verbessern.
Haben Sie sich über die Jahre mit älteren Liedern aussöhnen müssen?
Eine gute Frage, die ich nicht so einfach beantworten kann. Es gibt Lieder, die gefallen mir überhaupt nicht mehr – teilweise waren das meine größten Hits. Ein gutes Beispiel ist „Oben ohne“. Das war damals plötzlich erlaubt und ein Thema, aber im Nachhinein betrachtet ist das natürlich überhaupt nicht wichtig. Aber ja, ich habe als Kind „Oh, Melone“ gesungen, also spielen wir es jetzt auch. Auf der kommenden Tour möchte ich eigentlich nichts auslassen. Ich spiele maximal fünf Lieder von meinem neuen Album, ansonsten auch viele Klassiker. Ein Lied, das bei Spotify 800.000 Mal gespielt wurde, kann man auf einer Tour nicht auslassen und wer weiß, wie lange es noch geht? Langfristige Pläne mache ich keine. Es kann sein, dass ich nie wieder ein Album mache, aber das sage ich nach jedem neuen aus purem Selbstschutz. Ich bin dann fertig, wenn ich das Gefühl habe, mir fällt nie wieder was ein.
Große Tour durch Österreich
2025 geht Rainhard Fendrich auf große „45 Jahre live“-Tour – bei den Tickets (www.oeticket.com) muss man zuweilen schon schnell sein, will man noch bei den Konzerten dabei sein. Unter anderem spielt er am 25. April und 16. Mai in der Wiener Stadthalle, am 27. April und 17. Mai in der Salzburgarena, am 1. Mai in der Dornbirner Halle 11, am 5. Mai in der Linzer Arena, am 6. Juli in der Klagenfurter Ostbucht, am 28. Oktober in der Grazer Stadthalle und am 31. Oktober in der Innsbrucker Olympiahalle. Unter www.fendrich.at finden Sie alle Konzerttermine und Infos zu den Karten.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.