Ein Chatbot aus China schockt die Wall Street: Panische Anleger haben den Börsenwert des Chip-Konzerns Nvidia an einem Tag um fast 600 Milliarden Dollar einbrechen lassen. Auslöser war die Erkenntnis, dass KI-Software vielleicht mit viel weniger Rechenleistung trainiert werden kann als man bisher dachte – zumindest nach einer diesbezüglichen Mitteilung des chinesischen Start-ups DeepSeek.
DeepSeek, ein angeblich unkompliziertes und kostengünstiges KI-Modell eines chinesischen Start-ups, sorgt für Aufregung in der Branche. Sollte sich bewahrheiten, dass die Kosten für das Training der Künstlichen Intelligenz (KI) bei nur sechs statt der bisher üblichen mehr als 100 Millionen Dollar liegen, wäre dies ein Durchbruch und würde der Verbreitung dieser Technologie zusätzlichen Schub verleihen, so Portfolio-Manager Jon Withaar vom Vermögensverwalter Pictet.
„Wir kennen zwar noch nicht alle Details und nichts wurde bislang hundertprozentig bestätigt“, ergänzte Withaar. Doch in den USA hat die KI von DeepSeek bereits ChatGPT als beliebteste App in Apples App Store überholt. Der Wagniskapital-Investor Marc Andreessen bezeichnete die Vorstellung der KI-Anwendung „R1“ des chinesischen Anbieters daher als „Sputnik-Moment“. Damit spielte er auf den ersten Satelliten an, den die damalige Sowjetunion 1957 in eine Umlaufbahn geschossen hatte. Daraufhin hatten die USA und andere westliche Staaten ihre Weltraumforschung intensiviert.
„DeepSeek R1 ist eine der erstaunlichsten und beeindruckendsten Errungenschaften, die ich je gesehen habe – und als Open Source ein großes Geschenk an die Welt“, schrieb Andreessen auf dem Kurznachrichtendienst X. Bei Open Source-Software ist der Programmcode frei zugänglich und kann von jedem verändert werden. Zu den bekanntesten Beispielen zählen das Betriebssystem „Linux“ und der Internet-Browser „Firefox“. An der Entwicklung des „Firefox“-Vorläufers „Netscape Navigator“ war Andreessen maßgeblich beteiligt.
Geringere Datenbasis als die Konkurrenz
Die neue KI basiert DeepSeek zufolge auf einer deutlich geringeren Datenbasis als die Konkurrenz. Für das Training des vor einigen Wochen veröffentlichten „R1“-Vorgängers „V3“ habe die Firma Nvidias KI-Chips der Modellreihe „H800“ genutzt. Dabei handelt es sich um eine abgespeckte Version der im Westen erhältlichen Prozessoren, die nicht unter das US-Embargo für Technologie-Exporte nach China fällt. Dennoch könnten sich sowohl „V3“ als auch der erst wenige Tage alte Nachfolger „R1“ mit Rivalen wie ChatGPT von OpenAI oder „Llama“ der Facebook-Mutter Meta messen.
Westliche Technologiewerte unter Druck
Offiziellen chinesischen Unterlagen zufolge wird DeepSeek von Liang Wenfeng kontrolliert, dem Mitgründer des Hedgefonds High-Flyer. Der Fonds hatte im März 2023 angekündigt, einen neuen Anlauf zur Entwicklung einer Künstlichen Super-Intelligenz nehmen zu wollen. Eine solche Artificial General Intelligence (AGI) kann komplexe Aufgaben ohne jedes menschliche Zutun erledigen.
Ob das alles exakt so stimmt, weiß man nicht. So wurde in der Branche schon vor Wochen spekuliert, DeepSeek habe möglicherweise Zugriff auf mehr Nvidia-Chips als es angesichts der US-Ausfuhrbeschränkungen zugibt. Doch Investoren, die Nvidias Aktie in Erwartung eines zukünftigen Mega-Geschäfts in den vergangenen Monaten immer höher trieben, bekamen am Montag kalte Füße. US-Präsident Donald Trump sprach von einem Weckruf für amerikanische Unternehmen – und fand es zugleich „positiv“, dass KI günstiger zu haben sein könne.
Die Nvidia-Aktie fiel um knapp 17 Prozent und radierte damit 589 Milliarden Dollar Börsenwert aus. Noch nie hatte ein US-Unternehmen an einem Tag so viel Wert verloren – allerdings war auch keins davor so teuer wie Nvidia mit fast 3,5 Billionen Dollar.
Was können die USA mit besseren Chips schaffen?
Aber was bedeutet das alles nun für die Zukunft? Amerikanische Firmen übertrafen sich zuletzt mit Ankündigungen, wie viel Geld sie in KI-Infrastruktur stecken wollen. Allein der ChatGPT-Erfinder OpenAI und mehrere Partner versprachen, in den kommenden Jahren 500 Milliarden Dollar in Rechenzentren zu investieren. Beim Facebook-Konzern Meta stellte Gründer Mark Zuckerberg 60 Milliarden Dollar nur in diesem Jahr in Aussicht. Zeigt DeepSeek nun aber, dass man mit deutlich weniger Rechenpower auskommen wird?
US-Experten wollen es lieber andersherum sehen. Die Frage sei nicht, ob DeepSeek heutige Marktführer in den USA überholen könne, betonte etwa X. Eyeé von der KI-Beratungsfirma Malo Santo. Es gehe viel mehr darum, wie schnell man die Forschungsansätze der Chinesen umsetzen könne. „Wenn DeepSeek das mit alter Hardware entwickeln kann, was können wir dann mit neuerer Hardware schaffen?“, fragte sie im US-Sender CNBC.
Zweifel an Kosten von DeepSeek
Die Tech-Industrie werde immer noch „eine Menge Chips brauchen“, zeigte sich auch Branchenanalyst Stacy Rasgon überzeugt. „Es ist eindeutig eine Panik heute“, betonte er mit Blick auf die Börsenreaktion. Zugleich zweifelte Rasgon die Angaben aus China an: „Sie haben das Modell nicht für fünf Millionen Dollar trainiert, das ist nicht passiert.“
Schon vergangene Woche sagte der Chef der KI-Firma Scale AI, Alexander Wang, nach seinen Informationen habe DeepSeek Zugriff auf 50.000 H100-Chipsysteme von Nvidia, könne aber wegen US-Ausfuhrbeschränkungen nicht darüber sprechen. Die US-Regierung erlaubt Nvidia, nach China nur Chips zu verkaufen, die weniger leistungsstark sind.
Nicht nur Nvidia betroffen
Der DeepSeek-Schock zog auch andere Aktien in Mitleidenschaft. Das Papier der Chipfirma Broadcom verlor ebenfalls rund 17 Prozent. Noch härter traf es Energieunternehmen, bei denen Investoren seit Monaten auf gutes Geschäft mit der Versorgung von Rechenzentren spekulierten. Die Aktie von Constellation Energy fiel um gut ein Fünftel, der Kurs von Vistra brach sogar um 28 Prozent ein. Den Aktien von Apple und des Facebook-Konzerns Meta brachte die Aussicht auf günstigere KI hingegen ein Kursplus.
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