Österreichische Behörden sollen Hinweise zu einem niederösterreichischen Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) nicht rechtzeitig zusammengeführt haben. Jener Mann, der in Mekka im Namen des IS einen Anschlag verübte, ist seit zehn Monaten in Saudi-Arabien in Haft. Sein enger Kontakt zum Hauptverdächtigen in den Swift-Ermittlungen blieb zunächst unentdeckt.
Der junge Niederösterreicher aus dem Bezirk Bruck an der Leitha sitzt in Saudi-Arabien in Haft, weil der mutmaßliche Anhänger der islamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) im März 2024 am Gelände der Al-Haram-Moschee in Mekka einen religiös-ideologisch motivierten Anschlag durchgeführt haben soll. Hasan E. stach fünf Personen mit einem Messer nieder und verletzte sie teilweise lebensgefährlich. Wie innerstaatlich mit dem Fall umgegangen wurde, wirft Fragen auf.
Hasan E.: Fälschlich als Einzeltäter eingestuft
Nach Bekanntwerden des Anschlags hatte die Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen den 20-Jährigen – wie in derartigen Konstellationen üblich – auch ein sogenanntes Inlandsverfahren wegen versuchten Mordes, terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation eröffnet.
Zielgerichtete Ermittlungsschritte wurden aber offenbar keine gesetzt, weil davon ausgegangen wurde, dass es sich bei Hasan E. um einen Einzeltäter – einen sogenannten „Lone Wolf“ – handelte. Es wurde formal kein Haftbefehl erlassen, man kam offenbar auch nicht auf die Idee, am Wohnsitz des Burschen in Niederösterreich dessen Laptop und allfällige weitere Beweismittel sicherzustellen. Am 17. Oktober wurde das Verfahren wegen Nichtgreifbarkeit des 20-Jährigen abgebrochen.
Informationen Mekka-Attentäter wurden nicht zusammengeführt
Dabei hatten die saudischen Behörden erstmals am 20. März 2024 über die Bluttat informiert, indem sie einen deutschen Verbindungsmann über Hasan E. unterrichteten, der dieses Wissen dann an österreichische Behördenvertreter weitergab. Der ältere Bruder des 20-Jährigen hatte wiederum diesen Mitte März als abgängig gemeldet, nachdem er von Hasan E. eine „Abschiedsmail“ erhalten hatte, in der dieser kryptisch einen Selbstmordanschlag ankündigte.
Am 10. April sagte der ältere Bruder vor dem niederösterreichischen Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) als Zeuge aus und berichtete von der Mail sowie dem Umstand, dass Hasan E. am 1. März mit einem Freund nach Istanbul gereist sei und sich von dort weiter nach Mekka begeben hätte. Am 9. März hätte er mit dem Bruder ein Videotelefonat geführt, wobei Hasan als streng gläubiger Moslem in Mekka „traditionelle weiße Kleidung“ getragen habe, schilderte der Bruder.
Mutter meldete Verschwinden des Sohnes
Die Mutter des 20-Jährigen hatte sich am 14. März 2020 an die deutsche Beratungsstelle Radikalisierung gewandt, nachdem sie vom „Abschiedsmail“ ihre Sohnes erfahren hatte. „In der Email sowie bei der anschließenden telefonischen Kontaktaufnahme gab die Ratsuchende an, dass ihr Sohn seit gestern verschwunden sei“, hielt die beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingerichtete Stelle in einer Mail fest, die am selben Tag „zur Weiterleitung an die zuständige Behörde“ nach Österreich übermittelt wurde. Die Mutter „befürchte, dass sich ihr Sohn nach dem Tod seines Vaters radikalisiert habe und jetzt in den Jihad gezogen sei“, warnte die deutsche Beratungsstelle. Festgehalten wurde auch, die Frau habe „bereits die österreichische Auslandsvertretung über die Sachlage informiert“.
All diese Informationen wurden allerdings nicht zeitnahe zusammen geführt und lösten keine unmittelbaren Erhebungen zur Frage aus, ob Hasan E. Kontakte zu islamistischen Kreisen hatte. So blieb bis weit in die zweite Jahreshälfte hinein unentdeckt, dass Hasan E. seit Mai 2023 in engem Kontakt mit Beran A. und zumindest einem weiteren potenziellen Terroristen stand und mit Beran A. Telefonate geführt hatte, die teilweise länger als 50 Minuten dauerten. Beran A. – ein seit wenigen Tagen 20-jähriger IS-Anhänger aus dem Bezirk Neunkirchen – gilt als Hauptverdächtiger im Zusammenhang mit den vereitelten Anschlagsplänen auf ein Taylor Swift-Konzert, das Anfang August 2024 im Ernst-Happel-Stadion stattfinden hätte sollen. Mit Hasan E. und einem dritten Mann soll Beran A. seit Februar 2024 konkret drei zeitgleiche Anschläge in Mekka, Dubai und Istanbul geplant gehabt haben.
DSN: „Alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen gesetzt“
Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) reagierte prompt:„Bei diesem Fall handelt es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, im Zuge dessen sich unter anderem durch Auswertungen von sichergestellten Datenträgern laufend neue Erkenntnisse ergeben, denen nachgegangen wird. Aus diesem Grund können wir zum aktuellen Zeitpunkt keine näheren Informationen kommunizieren“, hieß es dazu in einer Stellungnahme. Es wurde betont, im gesamten Ermittlungsverfahren hätte der Verfassungsschutz „zu jeder Zeit alle gesetzlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Ermittlungsschritte gesetzt“. Die österreichischen Behörden seien erst elf Tage nach Umsetzung der Tat in Saudi-Arabien auf Hasan E. und dessen mögliche Anschlagspläne hingewiesen worden.
Beran A. erläuterte online Beweggründe für geplante Anschlagsserie
Wie man inzwischen weiß, hatte Beran A. am 16. Februar ein Bekennervideo online gestellt, das nach seinem Selbstmordanschlag in Dubai für seine Familie gedacht war. Darin erläuterte er die Beweggründe der drei jungen Männer, im arabischen Raum gleichzeitig drei Terror-Akte und damit eine Anschlagsserie zu setzen, die Polizisten bzw. Soldaten das Leben kosten sollte. In einem arabischen Land sollte „normalerweise Scharia herrschen“, aber „die Scharia-Gesetze“ würden „für Geld“ ausgetauscht, beklagte Beran A. in dem Video. Damit würde „der Islam bespuckt.“
Da kommt man jetzt, nach zehn Monaten drauf?
Werner Tomanek, Verteidiger von Beran A.
Bild: Zwefo
Die Anschlagsserie hätten er und seine beiden Komplizen – der Dritte neben Beran A. und Hasan E. konnte offenbar nach wie vor nicht ausgeforscht werden – für den IS „und für Gott, damit der IS wiederkommen kann“ geplant. Die Polizisten in Dubai seien „die schlimmsten. Sie reden über den Islam und die Scharia, aber sie legalisieren Alkohol. (...) Die gehen nach der Scharia, aber wenn sie jemanden Alkohol trinken sehen, machen sie nichts. Das ist nicht die Scharia. Das ist komplett Kufar (Ungläubige, Anm.)“, führte Beran A. in dem Video aus.
Der 20-Jährige war tatsächlich nach Dubai gereist, schreckte vor der Umsetzung seiner terroristischen Absichten im Unterschied zu Hasan E. aber zurück. Er kehrte unverrichteter Dinge nach Österreich zurück.
Inlandsverfahren gegen Hasan E. wieder aufgenommen
Inzwischen wird von der Staatsanwaltschaft Wien, die gegen Beran E. umfassend ermittelt, auch das Inlandsverfahren gegen Hasan E. fortgesetzt. Erst vor wenigen Tagen – am 7. Jänner 2025 – wurden der Laptop und darauf befindliche Daten des in Saudi-Arabien Inhaftierten mit gerichtlicher Bewilligung beschlagnahmt und die Wiederherstellung und Aufbereitung allenfalls gelöschter Daten angeordnet. Den Laptop von Hasan E. hatte dessen älterer Bruder übergeben. Begründet wird dieser Ermittlungsschritt von der Staatsanwaltschaft damit, die Dateninhalte seien für die „Aufklärung der gegenständlichen Straftaten wesentlich.“
Verteidiger von Beran A. sieht „Multiorganversagen von Ministerien“
„Da kommt man jetzt, nach zehn Monaten drauf?“, meinte dazu Werner Tomanek, der Verteidiger von Beran A. Ihm sei es „losgelöst vom konkreten Sachverhalt, da geht es nicht darum, ob das einen Jihadisten betrifft oder einen Drogenhändler“ unbegreiflich, weshalb die verschiedenen Hinweise zu Hasan E. nicht zusammengeführt und nicht dessen Umfeld beleuchtet wurde. Es liege „ein funktionales Multiorganversagen von drei beteiligten Ministerien“ vor, so Tomanek. Sein Mandant sei „nur ein Mitläufer“, die wirkliche Gefahr sei von Hasan E. ausgegangen, was sichergestellte Chats belegen würden.
Die gegenständliche Fallkonstellation eignet sich nach Tomaneks Dafürhalten nicht für die Forderung nach einer Überwachung der Messenger-Dienste. Entsprechende Rufe seien „neuerlich durchschaubare Versuche, die Totalüberwachung durchzusetzen.“ Die Verfassungsschützer und die Strafverfolgungsbehörden hätten in Bezug auf Hasan E. „mit normaler Polizeiarbeit weiterkommen können“. „Ein Blinder braucht kein Zielfernrohr“, spricht sich der um einen Spruch nie verlegene Tomanek dagegen aus, der Polizei bzw. dem Staatsschutz eine Messenger-Überwachung zu ermöglichen.
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