Der Bub war Anfang Mai in einer Mehrpersonenzelle von drei älteren Mitgefangenen misshandelt worden. Laut Christian Timm, dem stellvertretenden Leiter der Vollzugsdirektion, soll der 14-Jährige dabei mit einem Besenstiel vergewaltigt worden sein (siehe Infobox).
Debatte um lange U-Haft für 14-Jährigen
Es stelle sich "die berechtigte Frage ans Gericht, ob die lange U-Haft verhängt werden hätte müssen", sagte Karl. Noch deutlicher drückte sich Strafrechts-Sektionschef Christian Pilnacek aus: Die Behörden hätten einem Bericht der Jugendgerichtshilfe, der dem inhaftierten 14-Jährigen verminderte geistige Reife bescheinigte, "ein höheres Augenmerk" schenken müssen.
Statt den Burschen gleich freizulassen, hatte die zuständige Richterin ein zusätzliches psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Der 14-Jährige blieb dadurch für weitere drei Wochen in Haft. Dann erst bestätigte die Sachverständige den Befund der Jugendgerichtshilfe und der Bub wurde auf freien Fuß gesetzt.
Gericht: "Zunächst keine Indizien für verzögerte Reife"
Für das Wiener Straflandesgericht betonte dessen Sprecherin Christina Salzborn, dass bei Verhängung der U-Haft über den 14-Jährigen es bei diesem "keine Indizien auf eine verzögerte Reife gegeben" habe. Die Einvernahme mit dem 14-Jährigen habe eine spezialisierte Jugendrichterin durchgeführt, der Bursch habe dabei keinen nachhaltig beeinträchtigten Eindruck gemacht. "Die Einvernahme war möglich. Er hat die an ihn gerichteten Fragen beantworten können", sagte Salzborn.
Die Jugendgerichtshilfe stellte laut Salzborn Lerndefizite und eine leichte Intelligenzminderung fest und kam zum Schluss, es liege bei dem Burschen womöglich eine verminderte Reife vor. Darauf wurde vom Gericht ein Gutachten der Kinder- und Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter bestellt, die am 10. Juni per E-Mail die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe bestätigte. Nach Erhalt des Mails wurde der 14-Jährige unverzüglich mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft enthaftet.
Karl will "Taskforce Jugend-U-Haft"
Informationen über die Entwicklungsstufe und -reife von jugendlichen U-Häftlingen müssten zukünftig schneller bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten ankommen, "um Haft zu verkürzen oder gar nicht entstehen zu lassen", so Pilnacek. Die Justizministerin kündigte die Bildung einer "Taskforce Jugend-U-Haft" aus Vertretern der Kriminalpolizei sowie Richtern, Staatsanwälten, der Jugendgerichtshilfe und dem Verein Neustart an. Die Arbeitsgruppe soll rasch Alternativmaßnahmen zur U-Haft für jugendliche Straftäter entwickeln.
Auf den Anlassfall bezogen meinte Karl, sie werde "alles tun, um dem Opfer die notwendige Unterstützung zu geben". Sie habe dem 14-Jährigen "einen persönlichen Brief geschrieben, wo ich mein Bedauern zum Ausdruck bringe", erklärte Karl. Sie werde auf allfällige Schadenersatzforderungen des Jugendlichen "rasch und unbürokratisch" reagieren.
U-Haft bei Jugendlichen "nur das absolut letzte Mittel"
U-Haft dürfe bei Jugendlichen "nur das absolut letzte Mittel sein", so Karl weiter. Gegen Fälle wie jenen des 14-Jährigen wolle sie das System "bestmöglich rüsten". Daher habe sie per Erlass festgelegt, dass Jugendliche im Gefängnis grundsätzlich nur mehr in Zweier-Zellen untergebracht werden. Weiters soll die Jugendgerichtshilfe - vor allem am Abend und an den Wochenenden - ab sofort verstärkt in die Betreuung jugendlicher Insassen eingebunden werden.
Karl kündigte auch an, sich für eine Personalaufstockung bei der Justizwache stark machen zu wollen: "Ich wäre sehr dankbar, wenn ich mehr Planposten bekomme. Das würde vieles leichter machen." Sie werde "weiter dafür kämpfen" und "bei den nächsten Budgetverhandlungen mehr Personal fordern".
SPÖ pocht auf Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes
SPÖ-Kinder- und Jugendsprecherin Angela Lueger forderte einmal mehr die rasche Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes, der unter dem damaligen Justizminister Dieter Böhmdorfer ins Wiener Straflandesgericht integriert wurde. "Jugendliche haben sich eine Chance auf Resozialisierung verdient, daher brauchen wir dringend wieder einen Jugendgerichtshof", sagte Lueger. Es könne nicht sein, dass Jugendliche mit erwachsenen Straftätern zusammengelegt und aus Gründen der Personalnot weggesperrt würden.
Die Mittel zur Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes könnten aus dem Überschuss aus dem Justizbereich verwendet werden. Dieser belaufe sich auf "immerhin 100 Millionen Euro", so Lueger. "So würde den jugendlichen Straftätern eine echte Chance auf Resozialisierung geboten. Außerdem würden Arbeitsplätze geschaffen und die Konjunktur belebt."
Grüne: Karl will Gerichtsbarkeit Verantwortung umhängen
Die Grünen erneuerten nach Karls Gang an die Öffentlichkeit ihre heftige Kritik an der Justizministerin. "Nachdem Karl tagelang Missstände im Jugendstrafvollzug schönreden wollte, versucht sie jetzt, der unabhängigen Gerichtsbarkeit die Verantwortung umzuhängen", sagte Justizsprecher Albert Steinhauser. Es sei "komplett unüblich", dass eine Justizministerin Gerichtsentscheidungen bewertet und kritisiert, so Steinhauser. "Um sich aus der Schusslinie zu bringen, schreckt Karl offensichtlich nicht einmal davor zurück, dem Gericht die Schuld an einer Vergewaltigung zuzuschieben".
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