Spitzzüngig, forsch und grenzenlos – so kennt man den deutschen Polit-Satiriker Jan Böhmermann im TV. Zwei Stunden durchgehend auf einer Konzertbühne bekommt sein politischer Liederabend aber keinen nachvollziehbaren Spannungsbogen hin. Es bleibt ambitioniertes, aber unzureichendes Satire-Stückwerk.
Alle paar Jahre tingelt der deutsche Chef-Politsatiriker Jan Böhmermann mit seinem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld zu Jahresbeginn durch deutschsprachige Lande, um seine Mischung aus Musik, Klamauk, Satire und Theater live zu präsentieren. Für den viel beschäftigten Medienprofi die einzige Zeit im Jahr, wo ihm das Fernsehen nicht die volle Konzentration abnötigt. Sein letztes Wiener Stelldichein fand vor fast genau zwei Jahren statt, die Gasometer-Halle war wochenlang ausverkauft. Dementsprechend euphorisch buchte sich das Böhmermann-Team für die diesjährige Auflage in die Wiener Stadthalle und erlebt am Dienstagabend ein böses Erwachen. Gerade einmal 3700 Böhmi-Fans sind gekommen, um ihrem Helden zu huldigen. Sämtliche Sitzplätze und Oberränge sind zugehängt, bei den Stehern gibt es meterweise Bewegungsfreiheit – eine fast geisterhafte Atmosphäre.
Kein Spannungsbogen vorhanden
Mit einem von seinem Song „Böhmermann ist schuld!“ inspirierten Bühnenvorhang lädt der gebürtige Bremer in den Abend. Das 15-köpfige Tanzorchester und die zwei Background-Sängerinnen sind von Beginn weg voll in Action und geben dem Auftakt eine poppige Big-Band-Note. Böhmermann selbst betritt kurz nach dem instrumentalen Intro für seine im Herbst erfolgreich angelaufene Single „Faschismus Is Back“ die Bühne, nur um sie immer wieder zu verlassen. Schon früh macht sich dabei ein fortlaufendes Problem im Spannungsbogen sichtbar – es gibt schlichtweg keinen Spannungsbogen. Das famose Orchester wildert zwischen Rap, Flamenco, Folklore und Pop hin und her, schafft es aber nicht, einen zusammenhängenden Erzählstrang zu vermitteln. Was bei Einzelsongs mit den üblichen politischen Spitzen gut funktioniert, harmoniert in einem Konzertsetting leidlich bis gar nicht.
Böhmermann selbst wirkt gegen Ende seiner einmonatigen Tour bereits ziemlich ausgelaugt und saftlos. Weder gestisch noch mimisch ist ihm besonders viel Motivation zu entlocken, die unzähligen Steilvorlagen, die ihm Österreichs Innenpolitik, Wirtschaft und Justiz zurzeit anbieten, wird kaum in humoristische Wuchteln und Kalauer verpackt. Verwundert weist er darauf hin, dass das Land offenbar auch nach vier Monaten ohne Regierung und Opposition unfall- und systemschadenfrei überleben kann, mehr Initiative beim Gründen von und Teilnehmen an Gewerkschaften ist ihm auch ein besonderes Anliegen. Ansonsten bleibt er überraschend handzahm.
Zirkustheater-Revue
Wetterte der Satiriker vor zwei Jahren noch über den Corona-Hort Ischgl, Polizeipferde und Andreas Gabalier, sind die persönlichen Angriffe heute an einer Hand abzählbar. Ex-Kanzler Sebastian Kurz diffamiert er als Thiel-Ziehsohn, sich selbst stellt er als Bewährungshelfer von René Benko vor, der designierte ÖVP-Parteichef Christian Stocker wird kurz in „Licht an! Licht an!“ eingeflochten und FPÖ-Kopf Herbert Kickl gar nur zweimal leicht gestreift. Für einen „politischen Liederabend“, wie Böhmermann seine Konzerte anzukündigen pflegt, werden erstaunlich viele offensichtliche Matchbälle nicht verwertet. Auf das enervierende „Wienern“ verzichtet Böhmermann dankenswerter bis zum Schluss, dafür häufen sich im diesjährigen Segment die plattdeutschen Humorelemente. Tiefpunkt: Das als „Bernd, das Brot“-Verschnitt von den Bühnenstufen laufende Grundgesetz der BRD namens „Grundi“, das in einer Art Zirkustheater-Revue mit Fremdschämfaktor das reguläre Set beendet.
Musikalisch peitscht ihn das über alle Zweifel erhabene Orchester rasant durchs Set. Bei „Herz und Faust und Zwinkerzwinker“ wird erstmals die Kapuze übergezogen und mit Sonnenbrille und Autotune gerappt, „Claus Weselsky“ ist eine Hymne an einen deutschen Gewerkschaftsfunktionär und während des Dirk von Lowtzow-Covers „Das ist die Kunst“ wird Böhmermann im Ballett-Tutu Richtung Hallendecke gezogen, bis eine Puppe runterfällt und von den Mitmusikern wiederbelebt wird – bevor der echte Künstler in Engelspositur herabschwebt und Hoffnung verkündet. „Gott“ wird übrigens immer wieder vom Band eingespielt, um der losen Szenerie eine Art lustigen Kitt zu geben – das Vorhaben scheitert krachend.
Viel Programm, wenige Highlights
Ein flinker Schluck aus der Wasserflasche – für Böhmermann „die Tränen von Alexander Schallenberg, die nach Reue und Hoffnungslosigkeit“ schmecken – ein paar Ausruhpausen hinter der Bühne und zahlreiche semilustige Ansagen später, neigt sich das langatmige Programm endlich seinem Ende zu. Den freien Mittwoch in Wien will Böhmermann zum exzessiven Scooter-Fahren in der Stadt nutzen, beim schrägen „Allemagne Zero Points“ tritt er dann doch in die breite Klischeelacke und schürt die heimischen Song-Contest-Ressentiments gegenüber seiner Heimat Deutschland. Ganz schön viel Programm für ganz schön wenige Highlights. Vielleicht liegt es an Ideenlosigkeit, vielleicht an Müdigkeit, vielleicht auch an Lustlosigkeit, aber das große Ziel eines Konzertabends – zwischen Künstler und Publikum eine Symbiose herzustellen – wird krachend verfehlt. Ein großer Name macht noch keinen großen Abend.
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