522 Tage saß Florian Apler, Vater des toten Leon (6), wegen Mordverdachts in U-Haft. Im August 2024 wird er in Innsbruck von einem achtköpfigen Geschworenengericht einstimmig rechtskräftig freigesprochen. Nun hat Apler ein Buch geschrieben, am Freitag trat er erstmals an die Öffentlichkeit.
Es ist ein Fall, der von Beginn an international für Aufsehen und Schlagzeilen sorgt: Am 28. August 2022 wird Florian Apler gegen 5 Uhr Früh auf der Uferpromenade der Kitzbüheler Ache bewusstlos aufgefunden. Neben ihm steht der Kinderbuggy seines Sohnes – umgestürzt und leer.
Wenig später wird der Leichnam seines Sohnes Leon (6) flussabwärts geborgen. Es folgten monatelange Ermittlungen, eine 322-tägige U-Haft für den 40-Jährigen, die Anklage und ein dreitägiger Prozess, der im Vorjahr schließlich mit einem einstimmigen rechtskräftigen Freispruch von einem Geschworenengericht endete.
Tagebuchaufzeichnungen in der Haftzelle
Apler führte hinter Gitter akribisch Tagebuch, all diese Aufzeichnungen hat er nun zu einem Buch zusammengefasst. Es trägt den Titel: „Der Fall Leon – 522 Tage unschuldig hinter Gittern“. Am Freitagvormittag suchte der Familienvater erstmals den Weg in die Öffentlichkeit, um sein Werk zu präsentieren. Unterstützt wurde er dabei von Co-Autor Volker Schütz, ein erfahrener Rechtsanwalt in Deutschland. „All das Unfassbare Tag für Tag niederzuschreiben, war während meiner langen U-Haft für mich ein wichtiger mentaler Anker. Ich wollte, dass alles, was sich zwischen den unüberwindbaren, mit Stacheldraht umzäunten Mauern ereignet hatte, irgendwann den Weg nach draußen, in die Öffentlichkeit finden sollte“, betonte Apler.
Insgesamt drei Hauptbotschaften
Neben der Trauer fühle er eine „riesige Portion Wut“. Das Schreiben eines Tagebuchs sei „ein erster Strohhalm nach oben“ gewesen. Er habe es auch für seine Tochter getan, „damit sie irgendwann alles lesen kann, was passiert ist“. Es sei ein wichtiges Tool hinter Gittern gewesen, „um nicht durchzudrehen“. Drei Hauptbotschaften liegen dem Buch zugrunde: „Unser Schnuffi war ein unglaublich toller, kleiner Bub, und das Bild, das vielerorts entstanden ist, stimmt nicht, und das möchten wir mit diesem Buch richtigstellen. Die Tätersuche muss auf jeden Fall weitergehen – wir werden ihn finden. Und wir hoffen, dass so etwas niemandem anderen widerfährt und dass hier ein Lernprozess stattfindet“, betont Apler.
„Das wissen wir mittlerweile genau“
Mehr als „100 Fehler und Pannen“ habe es gegeben. „Das wissen wir mittlerweile genau“, sagt Leons Papa. Und er führt Beispiele auf: „Es geht um den Tod eines Kindes, und es wird von der ersten Sekunde lang dermaßen unprofessionell ermittelt. So ziehen sich längst widerlegte Anklagepunkte bis ins Schlussplädoyer hinein. Die Unschuldsvermutung wurde mehrfach mit Füßen getreten. Nicht alle Scherben der Tatwaffe wurden sichergestellt. Mehrfach folgten uns männliche Einzelpersonen in der besagten Nacht, das Landeskriminalamt Tirol schaffte es aber nicht, diese Videos rechtzeitig sicherzustellen. Zudem gibt es Ungereimtheiten bezüglich der DNA-Auswertungen.“
Der geführte Prozess sei laut Apler „kurz“ gewesen, „daher konnten nur Bruchteile dort aufgearbeitet werden“. Heißt: Es sei nicht alles ans Licht gekommen. Ein Beispiel, das ihm besonders im Kopf geblieben sei: „Es gab eine Kamera, die war 90 Meter entfernt vom Tatort aufgestellt. Und auf dem Video sieht man, wie eine Person im Tatzeitraum durchs Bild läuft. Doch im Bericht des Ermittlers steht, dass aus dem Video keine Erkenntnisse gewonnen werden konnten.“
Videos von Leon gezeigt
Während des Prozesses habe Apler samt Anwälten keine Fotos und Videos vom kleinen Leon (6) zeigen dürfen. „Er hatte eine so tolle Entwicklung, aber das durfte während des Prozesses einfach nicht dargestellt werden“, sagt Apler. Das holte er im Zuge der Pressekonferenz nach – zwei Auszüge von Leon wurden gezeigt.
Was ging Apler durch den Kopf, als der Freispruch verkündet wurde? „Es war alles total unwirklich, ich konnte es überhaupt nicht mehr packen. Die letzten Minuten bis zur Verkündung waren die allerschlimmsten. Ich bin in den Saal geführt worden, meine Frau stand schräg vor mir und hat mir ,Daumen hoch‘ gezeigt, aber dabei total geheult. Mein Anwalt sagte mir, dass es ein Freispruch werde. Aber es war dennoch total surreal, der Druck fiel einfach ab“, schildert er. „Die Freiheit hat manchmal einen hohen Preis“, betonte Apler auch. Damit spielte er auf die hohen finanziellen Mittel an, die er für den Prozess aufbringen musste. „Es geht definitiv in die Hundertausenden Euros hinein.“
„Familie als Kraftquelle“
Wie ist es ihm im Gefängnis gegangen? „Die Berichterstattung habe ich nicht so mitbekommen. Ich hatte meine Familie als Kraftquelle. Nur eine Situation mit dem Gefängnis verknüpft: Ein Justizwache-Beamter brachte mir eine Zeitung und meinte, sie haben etwas über mich geschrieben. Und das, was publiziert wurde, entsprach nicht der Wahrheit – doch ich konnte es nie erklären, was ich binnen zwei Minuten geschafft hätte. Das setzt einem schon zu“, äußert Apler.
„Die Justiz hat hier ganz einfach versagt“
Auch Co-Autor Volker Schütz meldete sich zu Wort. Er kenne Apler seit Dezember 2019, seither bestehe eine enge Freundschaft. „Als Florian verhaftet wurde, habe ich es nicht verstanden, da ich sein Verhältnis mit Leon kannte. Das war für mich einfach undenkbar und ich hatte die Hoffnung, dass die Ermittler irgendwann realisieren, dass das alles nicht der Wahrheit entsprechen konnte“, sagt Schütz.
Er betont auch: „Wo gearbeitet wird, fallen Späne. Aber: Fehler müssen normalerweise korrigiert werden – das ist hier nicht passiert. Das ist ein Skandal. Es hat niemand hinterfragt, ob die Causa vielleicht anders war. Das muss man jetzt aufarbeiten, hier muss nun etwas passieren. Die Justiz hat hier ganz einfach versagt.“
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