Immer schneller vergrößern sich die Gletscherspalten im grönländischen Eisschild – mit gravierenden Folgen. Dieser Prozess kann in weiterer Folge den Eisverlust beschleunigen und wirkt sich massiv auf den Meeresspiegel aus, warnt nun ein Team von Wissenschaftlern.
Die Brüche in der Eisdecke haben sich in nur fünf Jahren deutlich ausgeweitet. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie einer internationalen Forschungsgruppe, über die im Fachblatt „Nature Geoscience“ berichtet wird.
Das Team um Tom Chudley von der britischen Universität Durham analysierte mehr als 8000 3D-Oberflächenkarten des Eisschilds, die aus hochauflösenden Satellitenbildern erstellt wurden. Die Daten zeigen, dass die Gletscherspalten zwischen 2016 und 2021 an den schnell fließenden Rändern des Eisschilds größer und tiefer geworden sind. Diese Entwicklung geschehe schneller als bisher beobachtet, so die Studie.
Gletscherspalten sind keilförmige Risse, die entstehen, wenn sich ein Gletscher ungleichmäßig bewegt. Das Eis fließt mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: an der Oberfläche und in der Mitte oft schneller als an den Rändern oder in tieferen Schichten. Dadurch entstehen Spannungen, die das Eis aufbrechen lassen.
Der Klimawandel führt zu einer Verschiebung dieser Dynamiken, so die Forschungsgruppe. Höhere Temperaturen lassen das Eis schneller fließen, wodurch sich die Risse ausweiten und tiefer in das Eis vordringen. Die Studie zeigt, dass an den Rändern des Eisschilds, wo große Gletscher auf das Meer treffen, die Gletscherfließgeschwindigkeit zugenommen hat.
Zeit des Gleichgewichts nun vorbei
Der Zuwachs sei zwar durch einen Rückgang der Gletscherspalten am Sermeq Kujalleq („Südlicher Gletscher“), dem am schnellsten fließenden Gletscher Grönlands, ausgeglichen worden – dessen Bewegung hatte sich während des Untersuchungszeitraums vorübergehend verlangsamt. Allerdings habe die Fließgeschwindigkeit des Sermeq Kujalleq seither wieder zugenommen, was darauf hindeute, dass die Zeit des Gleichgewichts zwischen dem Wachstum und der Schließung von Gletscherspalten auf dem Eisschild nun vorbei sei.
„In einer sich erwärmenden Welt würden wir erwarten, dass sich mehr Gletscherspalten bilden. Das liegt daran, dass die Gletscher als Reaktion auf die Erwärmung der Ozeane schneller werden und dass das Schmelzwasser, das die Gletscherspalten füllt, die Risse tiefer in das Eis drückt“, wird Hauptautor Chudley in einer Mitteilung zitiert.
Die Studie erlaube jetzt zum ersten Mal, eine signifikante Zunahme der Größe und Tiefe von Gletscherspalten an schnell fließenden Gletschern an den Rändern des grönländischen Eisschilds zu erkennen, und zwar in Zeiträumen von fünf Jahren und weniger, so Chudley weiter.
Wenn Gletscherspalten wachsen, nähren sie die Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich die Gletscher des Eisschilds schneller bewegen, Wasser und Wärme in das Innere des Eisschilds treiben und das Kalben von Eisbergen in den Ozean beschleunigen.
Mitautor Ian Howat von der Ohio State University
Gefährlicher Dominoeffekt
Mitautor Ian Howat, Direktor des Byrd Polar & Climate Research Center an der US-amerikanischen Ohio State University, ergänzt: „Wenn Gletscherspalten wachsen, nähren sie die Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich die Gletscher des Eisschilds schneller bewegen, Wasser und Wärme in das Innere des Eisschilds treiben und das Kalben von Eisbergen in den Ozean beschleunigen.“ Diese Prozesse könnten wiederum den Eisfluss beschleunigen und zur Bildung von mehr und tieferen Gletscherspalten führen – „ein Dominoeffekt, der den Eisverlust in Grönland beschleunigen könnte“, so Howat.
Schmilzt ganzes Grönlandeis, steigt Meeresspiegel um 7 Meter
Grönland hat der Studie zufolge seit 1992 bereits zu einem Anstieg des Meeresspiegels um etwa 14 Millimeter beigetragen. Setze sich der Trend fort, könnte das Schmelzwasser des Eisschilds bis 2100 den globalen Meeresspiegel um bis zu 30 Zentimeter anheben. Würde das gesamte Eis Grönlands schmelzen, könnte der Meeresspiegel sogar um sieben Meter steigen.
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