Die EU will sich wegen der aktuellen Bedrohung besser für die Verteidigung der Zukunft rüsten. Die EU-Staats- und Regierungschefs berieten sich am Montag bei einer „informellen Klausur“ in Brüssel darüber, wie Europa „widerstandsfähiger, effizienter, autonomer im Bereich Sicherheit und Verteidigung“ gemacht werden kann. NATO-Generalsekretär Mark Rutte und der britische Premier Keir Starmer sind dabei. Österreich ist durch Interimskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten.
Der Streit um Zölle zwischen den USA und ihren Verbündeten wird nach Ansicht von Rutte keinen negativen Einfluss auf die Abschreckung des Verteidigungsbündnisses haben. „Es gibt immer Probleme, mal größere, mal kleinere“, so Rutte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Starmer im NATO-Hauptquartier. Er sei aber „absolut überzeugt, dass dies keine Auswirkungen auf unsere kollektive Abschreckung“ haben werde.
Verteidigung ohne USA ein „alberner Gedanke“
Die Vorstellung, dass es eine europäische Verteidigungsstrategie ohne die USA geben könnte, bezeichnete Rutte als „albernen Gedanken“. Es gehe um eine geopolitische Bedrohung, die nicht nur von Russland ausgehe, sondern die global sei. Rutte kündigte zuvor eine „deutliche Erhöhung der zugesagten Verteidigungsausgaben und der -produktion“ der NATO-Staaten an. Betreffend die Unterstützung für die Ukraine erwarte er, dass die USA vorangehen und Europa folgen würde, und es eine gerechte Verteilung der Lasten gebe.
Auch Starmer lobte den Zusammenhalt der Allianz, der durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine noch stärker geworden sei. Er wehrte sich gegen den Eindruck, sich nun zwischen der Europäischen Union, der US-Präsident Donald Trump Zölle androht, und den USA entscheiden zu müssen. „Ich habe immer klargemacht, dass beide wichtig für uns sind. Das ist nicht neu. Das war schon immer so und wird auch in Zukunft der Fall sein“, erklärte der Labour-Politiker.
Nach der ersten Arbeitssitzung des Treffens zu den transatlantischen Beziehungen erklärte ein Ratsvertreter gegenüber der Presse, dass die Staats- und Regierungschefs den Wert der Partnerschaft zwischen der EU und den USA betont hätten. Diese sei „tief verwurzelt“ und werde „Bestand haben“. Man sei sich einig, dass bei Problemen Lösungen gefunden werden sollten und auch, dass Zölle zwischen USA und EU für beide Seiten schädlich wären. Weiters hätten die EU-Spitzen ihre volle Unterstützung und Solidarität mit Dänemark erklärt und an die einschlägigen Grundsätze des Völkerrechts erinnert. US-Präsident Donald Trump hatte Gebietsansprüche auf das zu Dänemark gehörende Grönland erhoben.
Schallenberg: „Wir kennen unsere Zukunft nicht“
„Wir haben einen Feuerring um Europa, wir kennen unsere Zukunft nicht“, warnte Schallenberg zum Start des Treffens. Es sei „sinnvoll zu überlegen, was brauchen wir für die Zukunft“, und „nicht erst eine Feuerversicherung abzuschließen, wenn das Haus schon in Flammen steht“. Schallenberg betonte, es gebe „keine Standardgröße für Verteidigungspolitik in der EU“, jeder Staat habe seine eigene Politik und es gebe Staaten wie Österreich, die neutral sind. Auch im Rahmen der Neutralität sei aber „pooling und sharing“, gemeinsame Forschung und Beschaffung, „auch für uns von Vorteil und würde Sinn machen“.
„Wir müssen noch enger zusammenarbeiten, um angesichts der Bedrohungen, denen #Europa ausgesetzt ist, widerstandsfähiger, effizienter und autonomer zu werden“, postete der Interimskanzler anschließend auf X. Es könne allerdings keinen einheitlichen Ansatz für alle („one size fits all“) geben.
„Jeder kauft momentan bei seinen eigenen Rüstungsindustrien und es gibt keine europaweiten Einkäufe“, so Schallenberg am Morgen. Er betonte, er sei nicht Teil der Regierungsverhandlungen und wolle nicht vorgreifen, aber auch bei der Luftraumüberwachung sei die Grundlinie Österreichs seit Jahren unverändert und mache Pooling Sinn. Hintergrund sind die Diskussionen um einen möglichen Ausstieg aus dem „Sky Shield“-System.
EU-Ratschef will baldige Entscheidungen
Der EU-Ratschef Antonio Costa sagte zum Auftakt des Treffens Montagfrüh in Brüssel, die strategische Diskussion unter den EU-Chefs sollte der EU-Kommission eine Anleitung für ihr geplantes „Weißbuch“ (Diskussionspapier) zu Verteidigung bieten, „und den Weg ebnen für Entscheidungen in den kommenden Monaten“. Die Diskussion gehe nun um drei Themen, nämlich was die Prioritäten für die europäische Verteidigung seien, wie die erforderliche Finanzierung zu bewerkstelligen sei und wie die EU bestehende Partnerschaften stärken könne. Bereits im März 2022 – unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine – habe sich die EU bei einem Gipfel in Versailles dazu bekannt, mehr Verantwortung in Verteidigungsfragen zu übernehmen, sagte Costa. „Wir fangen nicht bei null an.“
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz betonte: „Wir müssen die europäische Verteidigung stärken.“ Für Deutschland sei „Europa das wichtigste nationale Interesse, das wir haben“. Es brauche mehr Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrien und „eine konstante gemeinsame Produktion“.
Russland „eine Bedrohung“ für europäische Länder
Der finnische Premierminister Petteri Orpo warnte: „Russland bleibt und ist eine permanente Bedrohung für europäische Länder.“ Für Finnland und viele osteuropäische Staaten seien die Sicherheit und die Verteidigung „existenziell“, so Orpo. Finnland sei offen für Lösungen zur Finanzierung der europäischen Verteidigung. Ähnlich äußerte sich auch die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. „Russland bedroht nicht nur die Ukraine, sondern uns alle“, sagte sie. Die größte Schwierigkeit sei, dass Europa zu langsam sei, „dass wir noch immer glauben, in Friedenszeiten zu leben“, und dass Europa ein Sinn für Dringlichkeit fehle.
Frederiksen betonte erneut in Hinblick auf die Ambitionen von US-Präsident Donald Trump, dass Grönland nicht zum Verkauf stehe. Dänemark habe klar gemacht, dass die Souveränität von Staaten zu achten sei. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warnte, Russland ändere seine Ziele nicht. Europa müsse mehr für seine Verteidigung tun. „Wenn Europa sich nicht selbst verteidigen kann, wird es niemand verteidigen“, betonte auch EU-Parlamentschefin Roberta Metsola.
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