Es vergeht mittlerweile keine Woche in der „Krone“ Tierecke ohne mindestens einen Anruf von Hundehaltern, die ihren Vierbeiner abgeben möchten, weil sie mit dem Tier nicht mehr zurechtkommen. Immer öfter steht auch das Einschläfern als letzte Konsequenz im Raum, vor allem wenn „Bello“ zugebissen hat.
Besonders schwere Fälle wie unlängst der Beißvorfall von „Ernie“ oder „Xena“ landen in den Schlagzeilen, doch der Großteil passiert ohne gesteigertes mediales Interesse. Durchschnittlich werden pro Tag in Österreich etwa zehn Menschen wegen einer Bissverletzung im Krankenhaus behandelt, wie oft Hunde tatsächlich zubeißen, kann niemand sagen.
So auch Junghündin „Gina“, die bereits von klein auf stark bissig auf Menschen reagierte und auch daheim immer wieder schnappte. Die Besitzer verloren das Vertrauen in ihren eigenen Hund, Trainerstunden in verschiedenen Hundeschulen wurden nur halbherzig absolviert. Doch wenn ein Hund so ein Verhalten an den Tag legt, müssen bei jedem Hundehalter die Alarmglocken läuten.
Kein konsequentes Training
„In diesem Fall waren die Halter zu schwach, ‘Gina‘ hat in ihrer Unsicherheit die Führung übernommen und ihren eigenen Kopf durchgesetzt. Wenn man an so einem Problem nicht arbeitet, dann spitzt sich das immer weiter zu“, weiß Trainerin Gaby Friedl. Vereinbarte Stunden wurden oft abgesagt, die Profis in der Wiener Neustädter „Martin Rütter Hundeschule“ sahen „Gina“ nur selten.
Wochen später landete der Fall in der „Tierecke“, als in einer niederösterreichischen Tierarztpraxis ein Termin zum Einschläfern von „Gina“ vereinbart werden sollte. Tierecke-Chefin Maggie Entenfellner nahm Kontakt zu den Besitzern auf und suchte nach Möglichkeiten, die junge Hündin zu verschonen. Ein schwieriges Unterfangen, denn kaum jemand nimmt sich solcher schwierigen Fälle an.
„Viele Menschen sind sich bei der Anschaffung gar nicht bewusst, welche genetischen Eigenschaften der ‘liebe Welpe‘ mitbringt. Gerade bei einer Arbeits-Rasse wie dem Malinois, der oft im Militär- oder Polizeidienst eingesetzt wird, wird das komplett unterschätzt“, so Entenfellner.
Darf man das überhaupt?
Doch einen gesunden, jungen Hund einschläfern, nur weil die Besitzer Erziehung und Auslastung schleifen lassen? Ist das überhaupt möglich? Jein, wenn es nach Juristin Regina Binder geht, die sich auf der Veterinärmedizinischen Universität mit Tierschutz und Veterinärrecht beschäftigt.
In ihrer Interpretation des Tierschutzgesetzes ist zu lesen: „Beruht ein Beißvorfall auf einer Verhaltensstörung wie Hyperaggression oder Angstbeißen, so ist die Tötung als nicht gerechtfertigt anzusehen, wenn sie nach entsprechendem Befund unter zumutbarem Aufwand erfolgreich therapiert werden kann“.
Weiter heißt es sinngemäß: „Ein ‘vernünftiger‘ Grund für die Tötung wird zu bejahen sein, wenn eine schwere Verhaltensstörung diagnostiziert wird, deren Therapie nach fachkundigem Urteil aussichtslos scheint“.
Großes Tabu Thema
Doch dem Vernehmen nach werden die „fachkundigen Urteile“ oft nur im Schnellverfahren gefällt, manchmal sogar ohne den Hund vorher gesehen oder einem Test unterzogen zu haben. In ihrer ARD TV-Reportage „Hunde Boom“ geht die Journalistin Anja Reschke der Frage nach, ob in Deutschland Hunde ohne medizinischen Grund eingeschläfert werden. Offizielle Zahlen gibt es dazu natürlich nicht, denn ohne Indikation ist dieser Eingriff nicht erlaubt.
In einer Anfrage an 80 Tierärzte, ob schon mal jemand mit einer einschlägigen Bitte herangetreten sei, erhielt Reschke nur von einer einzigen Ordination eine Antwort: „Ja, man wisse von derartigen Fällen, in der eigenen Praxis sei das aber noch nicht vorgekommen“. Der Rest hüllte sich in den Mantel des Schweigens.
Zweite Chance für junge Hündin
Zurück zum Fall „Gina“ – sie sprang dem Tod von der Schippe und ist auf einem Pflegeplatz der „Teufels Hunde“ gelandet. Ein Glücksfall für das junge Tier, denn dort erkannte man schnell, dass die Todesspritze der falsche Weg gewesen wäre: „Die Hündin dürfte ihrem Verhalten nach erst sehr wenig kennengelernt haben. ‘Gina‘ ist sehr unsicher und beginnt dann aus Angst zu schnappen. Daran können wir aber gut arbeiten und sie wird sicherlich einen passenden Platz finden, wo sie den richtigen Halt bekommt“, so Vereinsobmann Georg Resch, der auf die Resozialisierung extrem schwieriger Hunde spezialisiert ist.
Pure Erpressung von Tierheimen
Für zahlreiche Tierheime und auch Trainer Georg Resch ist das Thema „Einschläfern“ Alltag. Rund 20 Anrufe oder Mails erhält er pro Monat, in denen der Experte von Tierhaltern vor eine schwierige Entscheidung gestellt wird.
Einige hat er der „Krone“ anonymisiert zu Durchsicht gegeben, darin ist immer zu lesen: „Mein Hund hat gebissen, er muss jetzt sofort weg. Entweder du nimmst ihn auf, oder wir müssen ihn leider einschläfern lassen...“.
Eine traurige Entwicklung, die offenbar langsam zum Trend wird.
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