Volkstheater-Premiere

„Fräulein Else“: fabelhaft gespielt, totinszeniert

Kritik
09.02.2025 12:28

Die Österreicherin Julia Riedler bringt am Wiener Volkstheater Schnitzlers Monolog „Fräulein Else“ auf große Höhe. Aber das Werk versinkt leider im Geschwätz.

Mit Sprache und Psychologie – Sprache gewordener Psychoanalyse – schwang sich die österreichische Literatur um 1900 an die Weltspitze auf. Angeleitet durch Freud entstand die Wiener Moderne, und keiner folgte den Anweisungen präziser als der Arzt Schnitzler. Um die Zeitverhängnisse zum Glühen zu bringen, brauchte er weder Parolen noch Fußnoten. Und am kühnsten ist er mit der Novelle „Fräulein Else“ zu den seelentötenden Neurosen vorgedrungen. In einem inneren Monolog trifft ein Bürgermädchen jene Entscheidung, die im Suizid endet: Soll sie sich, um ihren verschuldeten Vater vor der Verhaftung zu retten, vor einem reichen Spanner eine Viertelstunde lang entblößen? Als Metapher für die Frau als Ware ist das haltbar genug, um selbst von beschränkten Zusehern auf „Onlyfans“-Zeiten hochgerechnet zu werden.

Julia Riedler (Bild: © Marcel Urlaub // Volkstheater)
Julia Riedler
Julia Riedler als Fräulein Else am Wiener Vollkstheater (Bild: © Marcel Urlaub // Volkstheater)
Julia Riedler als Fräulein Else am Wiener Vollkstheater

Auf Elses Gedankenstrom vollkommen in der Gestalt aufzugehen, ist eine tolle Herausforderung. Julia Riedler, eine Charismatikerin mit der Bereitschaft zur Entäußerung, verfügt über das geforderte Format. Leider ist sie an die Regisseurin Leonie Böhm, somit an die im Rückzug begriffene „Postdramatik“ geraten. Heißt: Sprache und Psychologie werden dem Fremdtextgequatsche und dem Belehrungsklamauk geopfert. Falscher als bei Schnitzler kann man da nicht liegen.

Stilprinzip ist Sesselkreis-woke Publikumsanstrudelung, der die erste Viertelstunde geopfert wird. Dann übernimmt vor dem Eisernen Vorhang Schnitzlers Text das Kommando, und man sieht ein aufregendes, virtuoses, großartig gespieltes Psychogramm. Das aber sofort gebrochen wird, wenn es zu greifen beginnt. Den Schluss des Monologs hat man dem alten Lustmolch angedichtet. Und was uns Julia Riedler da in der grünen Unterhose zu verstehen gibt, gleicht den Anstrengungen einer Sechzehnjährigen, sich im Oberstufenfach Ethik auf einen Einser prüfen zu lassen.

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