„Keine leichte Zeit“
Vom Boom zum Bruch: Ist die Klimabewegung tot?
Fridays For Future – ein Name, der gemeinhin bekannt ist – oder war. Noch vor wenigen Jahren folgten Hunderttausende dem Aufruf für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen – allen voran Schüler, die sich für eine fortschrittliche und nachhaltige Zukunft einsetzten. Doch das Thema scheint in Vergessenheit geraten, die Bewegung erschöpft. Sind die Leute müde geworden?
„Wenn ich einmal Kinder habe, sollen sie wissen, dass ich in der Schule nicht untätig herumsaß“ – dieser Satz war auf den Fridays For Future-Demos damals häufig zu hören. Schüler und Schülerinnen, die in ihren jungen Jahren den Weitblick für ein derart komplexes und unnahbares Thema besitzen, das selbst viele Erwachsene und Politiker ängstigt und gern verdrängt wird. Mit Wut und Entschlossenheit forderten sie Gehör und ließen sich von den Älteren nicht mehr ignorieren.
Ein Jugendprotest erobert die Welt
20. August 2018: Der Startschuss für die zuerst singulären Klima-Proteste durch die Schwedin Greta Thunberg, die später als Kopf der Bewegung durch die ganze Welt tourte und durch sie weltweite Verbreitung fand. Erst mit Beginn des Gaza-Krieges fiel Thunberg durch antisemitische Symbolpolitik auf. Aus dem freitäglichen Schulstreik wuchs schließlich „Fridays for Future“ (FFF). Fast sieben Jahre sind seitdem vergangen, und in dieser Zeit hat die Organisation eine Entwicklung mit vielen unterschiedlichen Phasen durchlebt. Und heute?
Ein Warnruf: Klimawandel und Migration
Kurz vor der Bundestagswahl in Deutschland scheint das Thema tot, die Bewegung erschöpft. „Es ist keine leichte Zeit, das bekommen alle bei uns mit“, räumt FFF-Sprecherin Pauline Brünger im ntv-Interview ein. In der politischen Debatte sei das deutlich zu sehen, denn im Wahlkampf spiele der Klimaschutz eine eher untergeordnete Rolle. Stattdessen dominiert in den Schlagzeilen der polarisierende Machtpoker um die umstrittene Asylpolitik in Deutschland. Mithilfe der Stimmen der AfD boxte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen Unionsantrag im Bundestag durch, der laut Brünger „100 rote Linien“ überschreiten würde.
Asyl ist ein Menschenrecht, doch statt wirksame Maßnahmen für Migration und Integration zu entwickeln, wird ständig über das verfassungsrechtliche Gesetz gestritten. Es sei keine Schuldzuweisung, aber laut Brünger laufe die Klimadebatte gerade in die „völlig falsche Richtung“. Wissenschaftler warnen bereits vor einem klimabedingten Flüchtlingsstrom, da extreme Wetterereignisse, wie die Jahrhundertflut im vergangenen Herbst in Österreich, zunehmen und vielen ihre Existenzgrundlage nahmen.
Auch aus diesem Grund habe FFF in den vergangenen Jahren verstärkt Demos für Rechtsextremismus organisiert, das Thema hänge eben auch zusammen. „Sicherlich besteht eine Gefahr, dass man sich an den Themen anderer abarbeitet, es ergibt aber auch keinen Sinn, an der Realität vorbeizureden“, so die 24-jährige Klimaaktivistin.
Auch FFF stellte sich Seite an Seite mit Hunderttausenden Demonstranten, um gegen den Rechtsruck in Deutschland zu demonstrieren:
FFF scheint sich heute überwiegend rechtfertigen zu müssen, als dass der Kampf ums Klima im Vordergrund steht. Der MDR berichtet von einer schrumpfenden Bewegung in Magdeburg. Der Südkurier fragt, ob die Bewegung den Kampf gegen den Klimawandel aufgegeben hat. Und im SWR muss der lokale Ableger erklären, dass Fridays for Future nicht an Bedeutung verloren hat. Auch hier rechtfertigt sich Brünger: „Das bekommen alle bei uns mit und wir fragen uns intern auch: Wie geht man damit um?“
Corona als Wendepunkt: Wie die Pandemie der Bewegung schadete
Die Bewegung hat wohl mit Beginn der Corona-Pandemie Risse bekommen. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren laut Brünger 2019 mehr als eine Million Menschen an einem einzigen Freitag auf der Straße gewesen. Die Bewegung nahm mit Anordnung der Lockdowns Rücksicht auf die Ansteckungsgefahr, weshalb die FFF-Bewegung offenkundig auf den Pauseknopf drücken musste. Auf die Frage, weshalb man danach keinen Weg mehr gefunden habe, viele Menschen für die Klima-Proteste zu mobilisieren, gebe es für Brünger keine klare Antwort. Über die Jahre hin hätte das „ohnehin nicht aufrechterhalten werden können“, das wäre eine „Illusion“ gewesen.
Ich wünsche mir auf jeden Fall, eines Tages irrelevant zu sein und keine Demos mehr organisieren zu müssen. Wenn man über die Klimakrise redet, kann man aber eindeutig sagen: Dieser Punkt ist bisher nicht erreicht.
FFF-Sprecherin Pauline Brünger
Dennoch könne man auch auf Erfolge blicken, trotz der sichtlichen Ermüdung der Bevölkerung für das Klima auf die Straße zu gehen. „Wir hatten großes Momentun, es ist viel passiert. Die Erfolge sieht man allerdings erst zeitversetzt“, erklärt die FFF-Sprecherin. Es würde ein paar Jahre dauern, bis die gesellschaftlichen Veränderungen in Gesetze gegossen werden können. Relevanz habe das Thema jedenfalls noch, das wurde beim Weltwirtschaftsforum in Davos zu einem Bericht zu den größten globalen Risiken deutlich: Fünf der zehn größten sind klimabezogen.
Trotzdem ist bei dem Thema eine gewisse Erschöpfung zu erkennen: Derzeit sind eher Rückschritte zu beobachten, statt Resignation oder gar Fortschritt. Auch Brünger sehe eine Verschiebung des Diskurses, „niemand möchte mehr übers Klima sprechen“. Sind die Menschen seit Corona also zu überlastet von Negativ-Schlagzeilen? Löst dieses offenkundig unnahbare und komplexe Thema derartige Stressaktionen hervor, sodass laut Brünger „rechte Stimmen und konservative Liberale massenhaft davon reden, die Erfolge der letzten Jahre anzugreifen“? Die 24-Jährige mahnt davor, diese Stimmen zu ignorieren, denn diese könnten ihre Versprechen bei einer Regierungsbeteiligung in die Tat umsetzen.
Ein offenes Angebot für alle Generationen
Trotz allem gibt Brünger und ihre Bewegung nicht auf: „Wer mit uns auf die Straße gehen möchte, muss eigentlich nur mit zwei Punkten übereinstimmen: Wir möchten, dass man noch länger auf diesem Planeten leben kann und wollen, dass die Politik dieser Verantwortung gerecht wird. Dafür kämpfen wir.“ Es reiche aber nicht, wenn sich nur Kinder dafür einsetzen.
Es brauche Bauern, die sich für ihre Ernte einsetzen oder ältere CDU-Wähler, die sich vor Hitzewellen nicht richtig gut geschützt fühlen würden – das würde der Debatte neue Energie geben. Vielleicht wäre dies der Wendepunkt, an dem ältere Generationen endlich bereit sind, den jüngeren Gehör für ihre Anliegen zu schenken.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.