"Ich habe schon angenehmere Zeiten erlebt" - Understatement à la Beatrix Karl. Die Justizministerin ringt um ein Begrüßungslächeln, als wir sie am späten Donnerstagnachmittag (wenige Stunden bevor sich ein Jugendlicher in der Strafanstalt Gerasdorf erhängte) im Justizpalast treffen. Das schlichte, schwarze Kleid und die Lackpumps passen zum 60er-Jahre-Ambiente des etwas düsteren Ministerbüros - und zur gedrückten Stimmung.
Der Jugendstrafvollzug sei eben "kein Paradies", der Fall des
14-Jährigen "ein tragischer Einzelfall". Karl wird wohl ewig bereuen, dass sie das bei Armin Wolf vor laufender Kamera gesagt hat. Die Schelte ist wie ein Tsunami über sie niedergegangen.
Mittlerweile hat Beatrix Karl reagiert: Am Freitag präsentierte sie einen Maßnahmenkatalog (der auch Suizidprävention vorsieht) und gab gemeinsam mit Verantwortlichen des Jugendstrafvollzugs eine Pressekonferenz. Der Familie des Jugendlichen habe sie ihr Beileid ausgedrückt, ließ sie wissen: "Als ich die Nachricht bekam, habe ich mich als Erstes gefragt: Warum macht ein 18-Jähriger so etwas wenige Wochen vor der Entlassung aus der Haft? Das macht schon sehr nachdenklich."
"Krone": Frau Minister, stimmt der Eindruck, dass es Ihnen nicht unbedingt gut geht?
Beatrix Karl: (denkt kurz nach) Eine solche Situation ist natürlich nicht sehr angenehm. Wobei ich mit sachlicher Kritik gut umgehen kann. Was wehtut, das muss ich schon zugeben, sind die persönlichen Attacken.
"Krone": Was für Attacken?
Karl: (steht auf und holt einen Brief, der auf ihrem Schreibtisch
liegt) Das hier zum Beispiel. Da schreibt mir ein Rechtsanwalt, dass sich seine Empathie in Grenzen halten werde, sollte ich in U-Haft oder sonst wo vergewaltigt werden. Da frage ich mich schon, in welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?
"Krone": Was ist Ihre Antwort?
Karl: In einer Gesellschaft, die bei Politikern offenbar kein Pardon kennt. Ich habe auch Mails bekommen, in denen stand: "Ihnen soll das gleiche Leid passieren!" "Sie inkompetentes Subjekt!" "Sie sind dumm und unfähig!" Das sind schon sehr, sehr heftige Reaktionen.
"Krone": Werden Sie den Anwalt klagen?
Karl: Wir haben es der Rechtsanwaltskammer gemeldet. Ich nehme einmal an, dass es Konsequenzen haben wird. Aber das ist Sache der Kammer, da mische ich mich nicht ein.
"Krone": Dieser Anwalt hat - wenn auch völlig unangemessen und geschmacklos - reagiert auf Ihre Aussage, dass der Jugendstrafvollzug "kein Paradies" sei. Sie haben in der "ZiB" zum Fall der Vergewaltigung eines 14-Jährigen auch von den "besten Gefängnissen, die wir je hatten" gesprochen. Wie konnte das passieren?
Karl: Das war keine glückliche Wortwahl. Ich habe das auch schon mehrfach bedauert. Vor allem, dass der Eindruck entstanden ist, mir wäre das egal, was dem 14-Jährigen widerfahren ist. Ich habe mir sehr viele Gedanken über diesen Jugendlichen gemacht. Wie es ihm jetzt wohl geht, was er in seinem Leben schon vorher mitgemacht hat. Das lässt einen ja nicht kalt. Deshalb war es mir auch wichtig, ihm in einem persönlichen Brief Unterstützung zuzusagen.
"Krone": Der "Falter", der den Skandal aufgedeckt hat, bezeichnete die Straftat des 14-Jährigen, "versuchter Handyraub mit vorgehaltenem Messer", als "Bagatelle". Wie sehen Sie das?
Karl: Als Bagatelle kann man das nicht einfach so vom Tisch wischen. Aber natürlich rechtfertigt es in keiner Weise, was ihm dann später passiert ist. Beides ist nicht in Ordnung.
"Krone": Sie haben das, was diesem Buben passiert ist, zunächst als "Einzelfall" eingeschätzt. Haben Sie das wirklich geglaubt?
Karl: Das war mein Kenntnisstand. Heute habe ich natürlich andere Informationen. Ich habe angeordnet, dass mir künftig derartige Fälle zu berichten sind und auch, dass es eine verbesserte Statistik darüber geben muss.
"Krone": Aber es gab bereits im Jänner eine Studie über Gewalt in unseren Gefängnissen. Warum haben Sie darauf nicht reagiert?
Karl: Es ist nicht so, dass darauf nicht reagiert wurde. Aber es ist richtig, dass eine so breite Diskussion über den Jugendstrafvollzug erst jetzt möglich wurde. Diese Basis für meine Maßnahmen hätte es ohne die konkreten Fälle möglicherweise nicht gegeben. Ich bin auch
zuversichtlich, dass ich nun besser über mehr Personal im
Jugendstrafvollzug verhandeln werde können. Wir brauchen sowohl mehr Justizwachebedienstete als auch mehr Betreuungspersonal. Was natürlich für den 14-Jährigen ein schwacher Trost ist, weil es das, was passiert ist, nicht ungeschehen machen kann. Wir können nur alles tun, um solche Fälle in Zukunft möglichst zu verhindern.
"Krone": Stichwort mehr Personal: Ist es nicht so, dass viele Justizwachebeamte sich rechtfertigen müssen, wenn sie jugendlichen Straftätern mit Empathie statt "Law and Order" begegnen?
Karl: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich glaube, es braucht eine gute Mischung aus beidem: Ohne Empathie wird es nicht gehen und es wird auch Strenge erforderlich sein.
"Krone": Obwohl Sie selbst keine Kinder haben: Können Sie sich vorstellen, wie eine Mutter sich fühlen muss, wenn ihr 14-jähriger Sohn in so einem Moloch eingesperrt ist?
Karl: Es muss ein Wahnsinn sein. Zu wissen, dass das eigene Kind im Gefängnis sitzt, das stelle ich mir wahnsinnig schwierig vor. Auch aus diesem Gefühl heraus ist es mir wichtig, dass Kinder und Jugendliche in diesem Land in jeder Form geschützt sind - in und außerhalb einer Justizanstalt.
"Krone": Früher gab es dafür den Jugendgerichtshof, dem die schwarz-blaue Regierung den Garaus gemacht hat. Er wurde international mit Lob bedacht. War es ein Fehler, ihn zuzusperren?
Karl: Es gab auch am damaligen Jugendgerichtshof viel Kritik. Ich plane einen eigenen Pavillon für Jugendliche in einer neuen Justizanstalt im Großraum Wien. Dort wird man viel individueller auf deren Bedürfnisse eingehen können.
"Krone": Sie haben am Freitag ein umfangreiches Maßnahmenpaket für den Jugendstrafvollzug vorgestellt. Vor den Wahlen wird sich das aber nicht mehr ausgehen.
Karl: Wir haben bereits Sofortmaßnahmen gesetzt. In den Jugendabteilungen gibt es ab sofort nur noch Zweierbelegungen und es wurde ein Nachtdienst eingerichtet. Auch die Freizeit- und Beschäftigungsprogramme wurden ausgeweitet.
"Krone": Es geht also ein kleines Stückchen mehr Richtung "Paradies"?
Karl: Das Wort nehme ich nicht mehr in den Mund. Die FPÖ wirft mir genau das vor. Unsere Gefängnisse seien bessere Hotels. Von der andern Seite heißt es: Folter! Beides stimmt nicht. Es geht hier um humanen Strafvollzug. Und bei Jugendlichen um Resozialisierung. Das wünsche ich auch diesem 14-Jährigen: Dass er seinen Platz im Leben findet. Und dass er nie mehr in einer Justizanstalt landet.
"Krone": Nun ist ja auch Wahlkampf und deshalb hat die Opposition Sie nach Ihren umstrittenen Aussagen zum Rücktritt aufgefordert. Hand aufs Herz: Haben Sie drfen. Ich bin im Gegenteil wild entschlossen, mein Maßnahmenpaket umzusetzen. Ich habe viele Pläne für die nächste Legislaturperiode.
"Krone": Es wird aber bereits gemunkelt, dass die nächste Justizministerin Maria Fekter heißt.
Karl: Es wird so viel gemunkelt. Wenn ich mir über jedes Gerücht Gedanken machen würde, hätte ich keine Zeit mehr, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.
"Krone": Sehnen Sie sich in Wochen wie diesen nicht manchmal wieder in den Hörsaal zurück?
Karl: Bis jetzt hatte ich eigentlich noch nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Belastend war es ja auch vor allem für meine Eltern. Sie machen sich Sorgen, dass mir das alles gesundheitlich schaden könnte.
"Krone": Was sagt Ihr Lebensgefährte?
Karl: Er unterstützt mich dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren, mich nicht irritieren zu lassen.
"Krone": Was hilft am meisten, wenn's grad nicht so gut läuft?
Karl: Seriöse Sachpolitik. Dinge genau zu überlegen, abzuwägen, umzusetzen. (lacht) So bin ich es gewohnt zu arbeiten. Schnellschüsse sind nicht meine Spezialität.
"Krone": Apropos Schnellschüsse: Haben Sie sich das "ZiB 2"-Interview eigentlich noch einmal in Ruhe angeschaut?
Karl: Nein, ich habe genug darüber gelesen. Aber wenn der ganze Wirbel einmal vorbei ist, werde ich das vielleicht noch tun.
Quereinsteigerin
Geboren am 10. Dezember 1967 in Graz, aufgewachsen in Bad Gleichenberg (die Eltern, die heute in Pension sind, führten eine Kfz-Werkstätte, der Vater war Bürgermeister). Nach dem Jusstudium arbeitet Karl bis 2005 als Professorin für Arbeits-, Sozial- und Europarecht. 2005 geht die Quereinsteigerin in die Politik. 2009 wird sie Generalsekretärin des ÖAAB, 2010 Wissenschafts-, 2011 Justizministerin. Privat lebt Beatrix Karl seit mehr als 20 Jahren kinderlos mit Wolfgang, einem Juristen, zusammen.
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