Am Mittwoch ist am Landesgericht der Prozess gegen einen 22-jährigen Tschetschenen wiederholt worden, der am 1. März 2024 am Reumannplatz zwei Syrern im Alter von 18 und 21 Jahren jeweils ein Klappmesser in die Brust gestochen hatte. Das Urteil: Viereinhalb Jahre Haft.
Dem Mann wurde versuchter Doppelmord angekreidet. Er sei „für die Stiche schuldig“, sagte der Angeklagte. Er bestritt jedoch den Tötungsvorsatz. Sein Mandant habe die Männer „kampfunfähig“ machen wollen, meinte Verteidiger Florian Kreiner.
Geschworene setzten Urteil beim ersten Mal aus
Bei der Verhandlung handelte es sich um einen sogenannten zweiten Rechtsgang. Beim ersten Mal hatten Anfang Oktober die damaligen Geschworenen nach stundenlangen Beratungen die Anklage verworfen. Sie befanden den 22-Jährigen der zweifachen absichtlichen Körperverletzung für schuldig. Dem ursprünglich mitangeklagten 46 Jahre alten Vater des jungen Tschetschenen billigten sie gerechtfertigte Notwehr in einer Nötigungssituation zu.
Die drei Berufsrichter – zwei Männer und eine Frau – akzeptierten diese Entscheidungen allerdings nicht. Sie setzten den Wahrspruch wegen Irrtums der Geschworenen aus.
Neudurchführung ohne ursprünglich mitangeklagten Vater
Zur Neudurchführung war der Vater nun überraschenderweise gar nicht mehr als Angeklagter, sondern als Zeuge geladen. Die Staatsanwaltschaft hatte zwischenzeitlich die Anklage gegen den 46-Jährigen zurückgezogen, weil sie keinen „tatsächlichen Grund zur weiteren Verfolgung“ des Mannes mehr sah, wie es in der Einstellungsbegründung hieß.
Der 22-Jährige war zunächst am Nachmittag des 1. März 2024 am Reumannplatz von einem der beiden Syrer angeblich auf Drogen angesprochen worden. Das habe ihn „grantig gemacht“, hielt sein Verteidiger fest: „Er findet Drogen verabscheuungswürdig.“ Es sei daher zu Tätlichkeiten gekommen, wobei der Tschetschene den Kürzeren zog, da ihn sein Kontrahent mit Pfefferspray besprühte und ihm auch einen Kopfstoß versetzt haben soll. Dann sei der Syrer davongelaufen, schilderte der Anwalt.
„Habe nicht damit gerechnet, dass er sterben wird“
Der junge Tschetschene ging nach Hause, wo er sich mit seinem Vater besprach. Am Abend begaben sich beide zum Reumannplatz. Als der Jüngere einen der beiden Syrer wiedersah, kam es zu einer Schlägerei. Weil die Syrer Unterstützung von anderen Männern erhalten hätten und ihm überlegen waren, habe er sein Messer gezückt, gab der Angeklagte zu Protokoll.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sterben wird.
Der Angeklagte
Er soll dem 21-Jährigen mit dem Messer in die Brust gestochen haben und sagte dazu: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sterben wird.“ Auf seine Beweggründe angesprochen, erklärte er: „So wie er mich angeschaut hat, konnte ich mich einfach nicht kontrollieren.“ Und weiter: „So wie er mich verletzt hat, wollte ich ihn auch verletzen.“ Auf die Frage, warum er überhaupt ein Messer bei sich trug, antwortete der Angeklagte: „Weil Reumannplatz, halt.“ Die Waffe habe er stets dabeigehabt, nicht nur am Tag der Tat.
Nach der Aussage des 21-Jährigen entschuldigte sich der Angeklagte persönlich. Opfer und Angeklagter schüttelten sich die Hände und klopften sich gegenseitig auf die Schulter.
Er habe sich nach der Tat Richtung Quellenplatz entfernt. Eine Gruppe anderer Syrer hätte ihn und seinen Vater verfolgt – teilweise mit Eisenstangen – bewaffnet eingekreist. Als ein 18-Jähriger im Begriff war, ihn angeblich „in Kampfposition“ zu attackieren, habe er neuerlich zugestochen. Das bestritt der Zeuge. Nach dessen Aussagen war er dem Angeklagten nachgegangen, als sich der Täter plötzlich umdrehte, stehen blieb und dann auf das Opfer einstach. Der 18-Jährige befand sich in der Intensivstation und konnte nach 22 Tagen das Spital verlassen.
Der Vater erklärte als Zeuge, er habe seinen Sohn begleitet, um den Konflikt „auf gute Art und Weise zu klären“, da sein Sohn öfter den Reumannplatz betreten würde. Er wollte, dass sein Sohn „problemlos durch den Bezirk gehen kann“. Dass die Polizei nicht gerufen wurde, begründete der Vater damit, in der Vergangenheit habe er Streitereien zwischen tschetschenischen und arabischen Jugendlichen geschlichtet.
Zehn Zentimeter tiefe Stichwunde in Brust
Die Opfer überlebten, obwohl die Klinge dem Jüngeren die innere Brustkorbschlagader durchtrennt und die Lunge beschädigt hatte. Der lebensgefährlich Verletzte erlitt nach seiner Überstellung in ein Spital am OP-Tisch einen Kreislaufzusammenbruch und hatte keinen Puls mehr. Er konnte dank der raschen Reaktion eines Chirurgen reanimiert werden. Dem zweiten Syrer brachte der 22-Jährige eine zehn Zentimeter tiefe Stichwunde in der rechten vorderen Brustwand bei.
Dem mitangeklagten Vater des jungen Tschetschenen war ursprünglich vorgeworfen worden, mit gezücktem Messer Zeugen der Tat in Schach gehalten und davon abgehalten zu haben, den Verletzten zu Hilfe zu kommen. Davon rückte die Staatsanwaltschaft – offenbar unter dem Eindruck der Beweisergebnisse in der ersten Hauptverhandlung – ab.
Am Ende des Beweisverfahrens versicherte der Angeklagte noch einmal, er hätte niemanden töten wollen. Er entschuldigte sich bei allen Anwesenden dafür, dass er mit seinem Verfahren „ihre Zeit verschwendet hätte.“
In Folge gehäufter Messerstechereien in der Gegend um den Reumannplatz und den Keplerplatz war im vergangenen Frühjahr ein Waffenverbot für diesen Bereich in Kraft getreten. Dieses wurde zuletzt verlängert.
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