Schon Charles Darwin schrieb in seinem Standardwerk "The Origin of Species", dass es Organe gibt, die ursprünglich einem Zweck dienen, später aber für einen anderen verwendet werden. Einen Namen bekam die Idee allerdings erst 1982 von den Paläontologen Stephen Jay Gould und Elisabeth Vrba. Seitdem wird unter "Exaptation" die Nutzbarmachung einer Eigenschaft für eine Funktion verstanden, für die sie ursprünglich nicht entstanden war.
Adaption versus Exaptation
"Die Häufigkeit solcher Exaptationen war damals eigentlich sehr umstritten", so Evolutionsbiologe Wagner. Der Grund dafür liegt in der Annahme, dass "die meisten Merkmale, die wir an einem Organismus sehen, dafür entstanden sind, wofür sie auch heute noch eingesetzt werden", es sich also um funktionsgebundene Anpassung (Adaptation) handelt.
Mit der Zeit fanden Wissenschaftler allerdings immer mehr Beispiele für Exaptation. So wurde etwa klar, dass sich Tiere bereits mit Federn schmückten, bevor ihre besonderen Eigenschaften ihnen das Fliegen ermöglichten. In die Welt der Moleküle konnte Darwin im 19. Jahrhundert zwar noch nicht vordringen, seine Idee hat aber auch im Kleinen Relevanz. Die durchsichtigen Proteine in den Linsen unserer Augen sind etwa ursprünglich Enzyme, die in Stoffwechselprozesse involviert sind - eine Funktion, die sie in den meisten Organismen auch noch ausüben.
Rätsel mit Computersimulationen gelöst
Wagner: "Das Problem, dem wir in unserer Studie begegnen, ist, dass man bisher keine systematische Vorstellung davon hatte, was eigentlich häufiger ist - Adaptionen oder Exaptationen." Die Forscher konnten nun anhand von Untersuchungen mittels Computersimulationen grundlegender Stoffwechselprozesse Hinweise darauf finden, dass Exaptationen sogar öfter vorkommen.
Stoffwechselprozesse (Metabolismen) sind Abfolgen hochkomplexer biochemischer Reaktionen. Bisher wurden etwa 5.000 identifiziert, die in verschiedenen Organismen ablaufen. "Jeder Organismus kann einen Teil dieser Reaktionen ausführen, aber keiner kann alle ausführen. Wir haben eine Methode entwickelt, um systematisch alle Metabolismen einer bestimmten Eigenschaft zu studieren", erklärte Wagner.
Stoffwechselprozesse "sozusagen zufällig lebensfähig"
Das Resultat ist eine Stichprobe, in der alle Stoffwechselprozesse Glukose als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle nutzen. Bei der Analyse zeigte sich, dass "sie sozusagen zufällig, noch auf Basis mehrerer anderer Kohlenstoffquellen lebensfähig sind, ohne dass wir sie danach ausgesucht haben", so der Forscher.
Auch ein sehr spezialisierter Organismus, der etwa lange in einer isolierten Umgebung von einer bestimmten Kohlenstoffquelle gelebt hat, könnte also in anderen Umwelten lebensfähig sein, mit denen er nie in Berührung kam, ohne sich lange daran gewöhnen zu müssen. Das lässt sich mit dem Konzept der Exaptation besser erklären als mit dem der Adaption. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im Fachjournal "Nature" veröffentlicht, sie wollen sie nun in Laborexperimenten überprüfen.
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