Herbert Kickl ist nur wenige Meter vor der ersehnten Kanzlerschaft gescheitert. Weder der erste Platz bei der Nationalratswahl noch die 180-Grad-Kehrtwende der ÖVP, die schlussendlich doch mit der FPÖ in Regierungsverhandlungen eingetreten war, konnte den blauen Traum vom „Volkskanzler“ wahr werden lassen.
Der lange geächtete Kickl konnte seine aggressive Rhetorik in den Verhandlungen nur bedingt ablegen, pokerte (zu) hoch und verschreckte die ÖVP mit seinem Machtanspruch. Ein Ende von Kickls Karriere an der Spitze der Freiheitlichen wird das Aus der Koalitionsverhandlungen mit der Volkspartei aber wohl kaum bedeuten. Zu erwarten ist vielmehr, dass der in der Wiener Umlandgemeinde heimatlich gewordene Kärntner das Verhandlungs-Aus als neuerlichen Ansporn sieht, bei einer allfälligen Neuwahl einen weiteren Rekord an Stimmen einzufahren.
Kickl, der vor der Machtübernahme in der Partei lange Zeit als Mann der zweiten Reihe galt, schaffte seinen Aufstieg mit einem strammen Kurs nach rechts. Früh erkannte er, dass man aktuell politisch sehr weit gehen kann, ohne den Wählerzuspruch zu verlieren. Während seine Vorgänger an der FPÖ-Spitze noch versuchten, in die politische Mitte vorzudringen, schob Kickl die Freiheitlichen immer weiter nach rechts. Eine wissenschaftlich mäßig fundierte Corona-Politik nützte ihm, lange fehlende inhaltliche Konzepte schadeten rein gar nichts. Dazu erweiterte er das freiheitliche Themenfeld gekonnt um Rechtsaußen-Punkte wie Kritik am Klimaschutz, wetterte gegen „Wokeness“ und „Genderwahn“ und hielt auch in Sachen Russland und Ukraine einen deutlich anderen Kurs als die übrigen Parteien.
Kickl dichtete FPÖ nach rechts ab
Kickl, der selbst nicht unbedingt als charmanter Sympathieträger taugt, konnte für die FPÖ den rechten Rand dicht machen. Während links der Mitte ein Gerangel unterschiedlicher Parteien begann und der ÖVP mit den NEOS ein lästiger Kontrahent erwachsen war, gemeindete der FPÖ-Chef alles, was weit rechts ist, in die Freiheitlichen ein. Die Pandemie ermöglichte es den Blauen außerdem, auch im Teich der Maßnahmen-Gegner zu fischen. Dass er dabei teils krude anmutende Thesen teilte und auch jene FPÖ-Abgeordnete wohlwollend gewähren ließ, die etwa Institutionen wie die WHO als das mögliche „Exekutivorgan einer neuen Weltregierung“ brandmarkten, tat seinem Aufstieg keinen Abbruch. Im Gegenteil: Anfangs erfolgreiche Maßnahmen-kritische Listen wie die MFG verkümmerten angesichts der Kicklschen Positionierung zur Bedeutungslosigkeit.
Unter vielen Beobachtern galt und gilt Kickl - zumindest bis zum jetzigen Aus der Koalitionsverhandlungen – als großer Stratege. Der vormalige Gag-Schreiber Jörg Haiders fungierte auch viele Jahre als Generalsekretär unter Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und wird innerparteilich als famoser Wahlkampf-Manager geschätzt, der stets mit dem Mittel der Provokation arbeitete. Persönlich nach vorne drängte Kickl, der keinen Wert auf Glamour oder Liebe der Society legt, lange nicht.
Abberufung als Innenminister
Unter der türkis-blauen Regierung unter Sebastian Kurz hätte er sich – sagen Parteikollegen – auch mit dem Klubobmann-Sessel zufriedengegeben. Doch er wurde ins Innenministerium beordert, wo Kickl mehr mit asylkritischer Symbolik als tatsächlichen Erfolgen im freiheitlichen Sinne glänzte. Der ÖVP war er damals schon zu unberechenbar, weshalb man ihn im Zuge der Ibiza-Affäre gleich loswerden wollte und aus der Regierung werfen ließ.
Das dürfte in Kickl einen bis dahin nicht gekannten Ehrgeiz ausgelöst haben. Mehr als unsanft drängte er den politisch eher sanften Norbert Hofer von der Parteispitze und positioniert die FPÖ einigermaßen brachial rechts. Neben der bekannten Anti-Ausländer-Politik und dem Kampf gegen „Wokeness“ diente speziell der Widerstand gegen Corona-Maßnahmen als blauer Turbo. Die Ironie daran, dass Kickl selbst als erster einen Lockdown gefordert hatte, sah kaum jemand. Dass er ein Entwurmungsmittel als Behandlungsalternative zur Impfung bewarb, störte die Wählerschaft sichtlich auch nicht.
Umstrittene Ukraine-Politik
Von Corona ging es gleich weiter zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, wo die FPÖ die militärische Unterstützung Kiews vehement ablehnte. Einer per Video übertragenen Parlamentsrede des ukrainischen Präsidenten blieben die Freiheitlichen gleich ganz fern, was sie jedoch nicht daran hinderte, den Vorwurf der Russland-Freundlichkeit empört zurückzuweisen. Den letzten Schub in der Wählergunst brachte zuletzt noch die Teuerung. Als quasi Sahnehäubchen bediente die FPÖ auch Kritik am – laut blauer Diktion – „Klimakommunismus“, der „Wokeness“ und „Genderwahn“. Die politischen Gegner wurden allesamt nicht mehr beim Partei-Namen genannt, sondern als „Einheitspartei“ verunglimpft.
Doch Kickl ist Stratege genug zu wissen, dass man die ÖVP schon auch locken muss. Galt der verheiratete Vater eines Sohnes, der in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, bis dahin eher als Sozialpolitiker, präsentierte er im Wahlkampf dann ein Wirtschaftsprogramm, das Industrielle mit der Zunge schnalzen ließ. Dies war strategisch wohl sein schlauester Zug. Mit der Karotte von Steuersenkungen vor der Nase wollte der ÖVP-Wirtschaftsflügel dann noch weniger auf ein schwieriges Duett mit der SPÖ eingehen und ließ die ganze Volkspartei ihre bis dahin gemachten Festlegungen, mit einer FPÖ unter Kickl keinesfalls zu koalieren, schnell vergessen. Treppenwitz daran ist, dass dann am Tag vor dem Verhandlungs-Aus ausgerechnet WKÖ-Präsident Harald Mahrer der FPÖ als Erster attestierte, nicht „regierungsfit“ zu sein.
Starke Position für Kickl
Dass sich Kickl in den Verhandlungen recht wenig kompromissbereit gab, liegt nicht nur an Platz eins bei der Nationalratswahl, bei der die FPÖ mit 28,85 Prozent knapp vor der ÖVP mit 26,27 Prozent lag. Vielmehr dürften die aktuellen Umfragen das Selbstbewusstsein der Blauen weiter befeuert haben: Zuletzt lagen diese bei Werten zwischen 32 und 37 Prozent. Bleibt es dabei, würden Neuwahlen wohl niemandem so nützen wie den Freiheitlichen.
Privat lebt Kickl, der das Bad in der Menge mehr durchleidet als liebt, sehr zurückgezogen. Seine Leidenschaft gilt den Bergen, wo er seine Gipfelsiege gerne über die sozialen Medien seiner Anhängerschaft mitteilt. Damit verbunden ist auch das einzige heimische Problem, von dem er in einem Interview vor der Wahl zu berichten wusste. Seiner Frau macht es wenig Freude, wenn er mit schmutzigen Wanderschuhen durch das gemeinsame Heim in Niederösterreich stapft.
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