Donald Trump hat die Ukraine und den Rest Europas durch sein Gespräch mit Wladimir Putin alt aussehen lassen. Wichtige Verbündete fühlen sich übergangen, während der Kreml sein Glück kaum fassen kann. In Moskau wird bereits das „Ende Europas“ ausgerufen.
Vom Gespräch zwischen dem US-Präsidenten und dem Kremlchef wurden die Staatenlenker Europas offenbar kalt erwischt – und der Gedanke daran, übergangen worden zu sein, erregt die Gemüter. Ein häufiger Kritikpunkt: Trump und sein Verteidigungsminister hätten ohne Rücksprache im Namen der Ukraine festgelegt, welche Landesteile der kriegsgebeutelte Staat nun aufzugeben habe.
Pentagon-Chef Pete Hegseth, der über keinerlei politische Erfahrung verfügt, konnte am Donnerstag beim NATO-Gipfel in Brüssel auch auf wiederholte Nachfrage nicht darlegen, was Putin und Moskau im Gegenzug für einen Frieden auf den Tisch legen müssten. Hegseth argumentierte, dass Putin auf „Stärke“ reagieren würde.
Die Entwertung Europas
Inwiefern eine bevorzugte Behandlung für Moskau eben jene Kraft ausstrahlt, konnte der Neu-Politiker nicht beantworten. Hegseth erklärte lediglich, dass „Realitäten“ nicht mit „Zugeständnissen“ verwechselt werden dürften. In nur wenigen Sätzen schaffte er es, die Bedeutung Europas auf dem eigenen Kontinent auf eine homöopathische Rolle zu reduzieren.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas betonte, es sei keine gute Taktik, Positionen aufzugeben, bevor Verhandlungen zum Ende des Angriffskriegs gegen die Ukraine überhaupt begonnen hätten. Eine „Appeasement“-Politik werde nicht funktionieren. „Ein schmutziger Deal“ werde das Töten nicht stoppen. Der Sicherheitsexperte Carlo Masala sah darin ein „apokalyptisches Szenario“, das Europa vor vollendete Tatsachen stellt.
Die Ukraine werde keine bilaterale Vereinbarung über ihr Schicksal akzeptieren, die ohne ihre Beteiligung zwischen den USA und Russland getroffen wurde, sagte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor der Presse in Kiew. Europa sollte am Verhandlungstisch sitzen, wenn es um ein Ende des Krieges gehe. Trumps prioritäre Behandlung von Putin empfinde er als „unangenehm“.
Moskau sieht Europas Zeit abgelaufen
Im Kreml sieht man sich hingegen auf glorreiche Zeiten zusteuern. Trump hat immerhin ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes zur Debatte gestellt. Die Statistenrolle der Ukraine in den Verhandlungen über deren eigene Staatsgrenze kommt in Moskau gut an. „Auf die eine oder andere Weise wird die Ukraine natürlich an den Verhandlungen teilnehmen“, tönte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen.
Dreiecksgespräche mit den USA ohne direkten Kontakt zur Ukraine seien aktuell vorstellbar. Einen Seitenhieb auf den Rest Europas konnte er sich freilich nicht verkneifen: Über eine Beteiligung der Europäischen Union an diesen Verhandlungen hätten Trump und Putin nicht gesprochen.
Europas Zeit ist vorbei!
Dmitri Medwedew
Bild: APA/AP
Der stellvertretende Chef des russischen Sicherheitsrats, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, ging noch einen Schritt weiter. Er sieht das Zustandekommen des Telefonats als Beleg für die Schwäche Europas auf der internationalen Bühne.
„Das zeigt seine wahre Rolle in der Welt. Europas Zeit ist vorbei.“ Die Vereinbarung über die Aufnahme von Verhandlungen sieht er als Zeichen der Unbesiegbarkeit Russlands. Das Gespräch von Putin und Trump zeige, dass westliche Hoffnungen, Russland zu besiegen, niemals erreicht werden könnten. „Es ist unmöglich, uns in die Knie zu zwingen. Und je eher unsere Gegner das erkennen, desto besser.“
Auch Trump scheint „Stärke“ zu gefallen. Als Belohnung will er die Runde der führenden westlichen Wirtschaftsnationen (G7) wieder um Russland erweitern. Dabei legt er eine bemerkenswerte Naivität an den Tag: „Ich glaube, Putin will Frieden. Ich glaube, er würde es mir sagen, wenn er es nicht wollte“, erklärte der US-Präsident am Donnerstag im Oval Office.
Wie geht es jetzt weiter?
In Europa schrillen angesichts der Annäherung an den Kreml die Alarmglocken. Die US-Regierung hat deutlich gemacht, dass sie sich sicherheitspolitisch zurückziehen will. Der Fokus von „Uncle Sam“ richtet sich künftig auf China und den Indopazifik. EU-Staaten wie Ungarn oder die Slowakei sind bereits vor einiger Zeit Richtung Moskau abgebogen. Dieser Trend könnte unter Trump weiter an Fahrt gewinnen.
Obwohl europäische Spitzenpolitiker nun Einigkeit demonstrieren und den diplomatischen Widerstand proben, herrscht auf dem internationalen Parkett eine tiefe Verunsicherung. Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu fürchtet eine Identitätskrise. Die NATO sei zwar das wichtigste und robusteste Militärbündnis der Geschichte. Die eigentliche Frage sei jedoch: „Wird das in zehn oder 15 Jahren immer noch der Fall sein?“
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