Interview: Die beiden Weltklasse-Sängerinnen Asmik Grigorian und Aigul Akhmetshina betreten im Theater an der Wien in „Norma“ Neuland. Die Premiere ist am Sonntag.
„Krone“: Fangen wir mit der Jüngeren an. Wie geht es Aigul Akhmetshina, die sich als Novizin Adalgisa unwissend in Normas Geliebten und Vater von deren Kindern verliebt?
Aigul Akhmetshina: Diese Rolle ist ganz anders als alle meine bisherigen. Damit ist nicht der Gesang gemeint, sondern der Charakter. Denn es geht mir immer darum, eine Rolle zu fühlen, zu spüren, sonst kann ich mich nicht hineinfinden. Es ist Belcanto. Ich habe gerade die Elisabetta in Donizettis „Maria Stuarda“ gesungen, und die ist viel schwieriger.
Mit ihrer Carmen begeisterte die 1996 in der Republik Baschkortostan geborene Aigul Akhmetshina zu Saisonbeginn bereits an der Staatsoper. Als Adalgisa debütiert sie jetzt im Theater an der Wien.
Im Belcantofach wurde sie als Bellinis Romeo in Salzburg und als Elisabetta in Donizettis „Maria Stuart“ in Amsterdam und Madrid gefeiert.
Höhen bereiten ihr dabei kein Problem, hat sie doch ihr Studium als Sopran begonnen.
Asmisk Grigorian, wie fühlen Sie sich kurz vor Ihrem Norma-Debüt? Im Sommer waren Sie noch etwas …
Asmik Grigorian: Ich bin immer noch sehr nervös!
Akhmetshina: Sie macht das großartig, es klingt sehr gut!
Grigorian: Es war viel Arbeit und ich wünschte mir, ich hätte noch mehr Zeit. Aber ich hoffe, dass das nicht meine letzte Produktion ist, damit ich die Rolle weiterentwickeln kann. Ich spüre, dass die Norma meiner Stimme besonders liegt.
Sie haben eine ganz spezielle Beziehung zur Norma, weil es eine Paraderolle ihrer Mutter, der Sopranistin Irena Milkevičiūtė, war.
Grigorian: Deshalb habe ich es auch geschafft, mich für diese Premiere zu motivieren. Denn ich bin im Moment oft müde und denke mir: Asmik, warum musst du ständig an dein Limit gehen? Kannst du nicht einfach nur singen? Und natürlich kommt auch der Druck dazu, dass es zwei „Normas“ zugleich in derselben Stadt gibt. Das ist nicht einfach für mich. Aber wenn ich diese Musik höre, werde ich sehr emotional. Ich möchte durch meine Interpretation der Welt zeigen, was für eine großartige Norma meine Mutter war.
Kommt sie zur Premiere?
Ja.
Schon als Mädchen stand Asmik Grigorian als eines der Kinder Normas auf der Opernbühne, als ihre Mutter, die litauische Sopranistin Irena Milkevičiūtė, diese Rolle – ihre Paraderolle – sang.
Bis heute gruselt es sie vor der Mutter mit dem Messer in der Hand.
Nach ihrer Ausbildung sang sie dann als Adalgisa mit ihr das Duett aus dem ersten Akt bei einem Konzert.
Ihre Norma-Interpretation versteht Asmik Grigorian als eine Hommage an die Mutter.
In welcher Zeit und Szenerie spielt die Inszenierung von Vasily Barkhatov?
Akhmetshina: In den 1950er- oder 1960er-Jahren. Wir sind Fabrikarbeiterinnen. Es ist eine Kommune oder Sekte, die von einer anderen Gemeinschaft unterwandert wurde.
Adalgisa ist ein junges unschuldiges Mädchen, sehr naiv, das noch nicht weiß, wie das echte Leben funktioniert. Sie folgt ihren Instinkten und verliebt sich in den Mann, der sie umwirbt.
Was für ein Mensch ist Ihre Norma?
Grigorian: Ich versuche nie, den Charakter einer Rolle von mir selbst zu trennen. Ich bringe immer meine eigenen Erfahrungen in eine Rolle mit ein. Und Norma besitzt alle Facetten, die ich mir für eine Frau vorstellen kann. Da ist große Liebe, Mutterschaft, tiefer, wahrhaftiger Schmerz. Und wenn man echten Schmerz fühlt, kann man auch sehr gefährlich werden.
In ihrem Schmerz über die Untreue Polliones will Norma sich und ihre Kinder sogar umbringen. Können Sie sich vorstellen, so verzweifelt zu sein?
Ja. Auch wenn es heute ein wenig anders ist. Ich bin eine freie Frau. Daher weiß ich, was auch immer passiert, dass ich überleben kann. Aber wenn du alles verlierst, keine Hoffnung mehr hast, kann ich mir das vorstellen.
Wie sehr geht man als Sänger mit den Partien an sein Limit?
Grigorian: Die Norma ist eine sehr schwierige Rolle, aber ich denke Wagner und Strauss fordern einen mehr.
Akhmetshina: Belcanto zwingt einen, sehr diszipliniert zu sein. Man kann sich nicht hinter einer vollen Orchestrierung verstecken, sondern man steht sehr nackt auf der Bühne und muss die Zuhörer ganz mit seinem Gesang abholen.
Grigorian: Bei Verdi oder Puccini hat man diese Wellen aus dem Orchester, die einen tragen und helfen.
Akhmetshina: Da kann man schummeln, sich verstecken.
Wird es womöglich weitere Belcanto-Rollen mit Asmik Grigorian geben?
Grigorian: Ich bin nicht sicher. Ich weiß nur, dass ich die Norma definitiv weitersingen möchte.
Akhmethsina: Ich denke, Donizettis Maria Stuarda wäre etwas für dich. Das haben mir auch viele gesagt. Sie ist sehr ähnlich. Und du liebst doch Herausforderungen! Es geht vor allem darum, die Stimme auf eine gewisse Weise zu trainieren. Außerdem, wem steht es zu, uns vorzuschreiben, was wir singen dürfen? Es gibt kein richtig und falsch. Unser Job ist es, den Noten zu folgen, und es wird immer Menschen geben, die das mögen oder ablehnen.
Grigorian: Ich muss oft lachen, wenn Leute zu wissen glauben, wie es genau funktioniert. Das mag vielleicht etwas arrogant klingen, aber ich werde nie versuchen, Salome oder Turandot oder Norma zu sein. Ich habe keine Ahnung, wer die sind. Ich interpretiere mich selbst durch ihre Musik. Das ist meine Art, mein eigenes Leben zu verstehen.
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