Nach seinem zweiten gescheiterten Restaurationsversuch musste Kaiser Karl 1921 Europa verlassen und ins Exil nach Madeira gehen. Seine Biografin Eva Demmerle spricht über die Hintergründe und Karls letzte Lebensmonate auf einer Atlantikinsel. Im April 1922 starb der letzte regierende Habsburger.
„Krone“: Frau Demmerle, die Entente-Mächte entschieden 1921, dass Kaiser Karl nach einem zweiten Restaurationsversuch in Ungarn Europa verlassen musste. Wie ordnen Sie diesen zweiten gescheiterten Restaurationsversuch Karls vom Oktober desselben Jahres ein? Etwa: Feldmessen waren wichtiger, als militärische Demonstration seiner Bataillons kaisertreuer Soldaten. Und als es zu Kämpfen kam und mit Todesopfern zu rechnen war, brach Karl – gegen den Rat seiner militärischen Berater – das Unternehmen ab.
Eva Demmerle: Der Hintergrund zu den Restaurationsversuchen ist die Annahme Kaiser und König Karls, dass mit einem restaurierten Ungarn wieder Stabilität in das nach dem Zerfall der Monarchie zerrissene Mitteleuropa gebracht werden könne. Der ganze geografische Raum litt unter diesem Zerfall. Ein geopolitisches Vakuum war entstanden, die kleinen Staaten konnten nur zu leicht zu Spielbällen großer Mächte werden. Was dann 20 Jahre später durch Adolf Hitler auch geschehen ist. Mitteleuropa konnte sich erst nach 1989 wieder von den Brüchen des 20. Jahrhunderts erholen.
Kaiser Karl hatte die negative Entwicklung vorausgesehen und wollte sich dem entgegenstellen. Der erste Restaurationsversuch in Ungarn scheiterte an der Sturheit von Admiral Miklós Horthy, der die Macht nicht übergeben wollte. Der zweite Restaurationsversuch scheiterte aufgrund zahlreicher Pannen, schlechter Planung und Verrat. Die Feier der heiligen Messen war weniger das Problem als vielmehr der unbedingte Machtwille Hortys, der nicht gezögert hatte, auch Studenten an die Front gegen den gekrönten König zu schicken. Letzten Endes wollte Karl kein ungarisches Blut vergießen, deshalb brach er den Restaurationsversuch ab.
Die Entente entschied, dass nicht Österreich und Ungarn, sondern die vier Nachfolgestaaten Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien für den Unterhalt Karls und seine Familie auf Madeira aufkommen sollten. Diese weigerten sich jedoch, allein dessen Lebensunterhalt zu übernehmen, die Entente-Mächte verweigerten zudem Vorschüsse, solange keine endgültige Regelung gefunden wurde. Das wirft die Frage auf: Wovon lebten Karl, seine Familie und sein Gefolge eigentlich?
Die Familie lebte von einem kleinen Geld, was noch übriggeblieben war, von der Unterstützung der Familie Bourbon-Parma, also der Familie Kaiserin Zitas, und von der Unterstützung von treuen Anhängern, was aber schwierig genug war. Die Entente-Mächte machten immer neue Auflagen, verlangten Vermögensnachweise und weigerten sich, für den Unterhalt der Familie Sorge zu tragen. Der britische Konsul kündigte sogar an, man würde die Überweisung privater Gelder verbieten. Und die Nachfolgestaaten wollten keinesfalls für die Habsburger aufkommen. Finanziell war es also eher knapp.
Wie verbrachte Kaiser Karl seine letzten Lebensmonate auf Madeira? Hat er geahnt, dass er nie wieder einen Fuß auf europäischen Boden setzen würde?
Kaiser Karl machte sich natürlich keine Illusionen über seine Lage. Zunächst galt es aber, die Kinder nachkommen zu lassen. Kaiserin Zita konnte sogar erreichen, dass sie anlässlich einer Operation eines der Kinder in die Schweiz reisen durfte, allerdings unter strengen Auflagen. Anfang Februar kamen die Kinder schließlich auf Madeira an.
Es lag nicht in der Persönlichkeit des Kaisers, sich politisch abstinent zu verhalten. Er schrieb nicht nur ausführlich Tagebuch, sondern er erarbeitete einen konkreten Verfassungsentwurf für seine Heimat. Über einen Mittelsmann gab er ein schriftliches Interview, das sogenannte „Memorandum für Lethbridge“, das mit einer bemerkenswerten Klarheit die politische und ökonomische Situation des Donauraumes analysierte – insofern, als dass er klar vorhersah, in welche Katastrophe Mitteleuropa nur wenige Jahrzehnte später hineinschlittern würde.
ist Historikerin und Autorin. Sie ist die ehemalige Büroleiterin und Pressesprecherin von Dr. Otto von Habsburg. Zu ihren bekanntesten Werken gehört „Kaiser Karl, Mythos und Wirklichkeit“, „Das Haus Habsburg“ und „Otto von Habsburg. Die Biografie“ (gemeinsam mit Stephan Baier). Eva Demmerle lebt und arbeitet in Bayern.
Daneben kümmerte er sich sehr um seine Kinder und unternahm insbesondere mit den Ältesten, Otto und Adelheid, ausgedehnte Spaziergänge, in denen er ihnen viel erzählte. Otto von Habsburg erschien es im Nachhinein so, als ob sein Vater irgendwie geahnt hätte, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Die Sehnsucht nach der Heimat aber blieb. Eines seiner letzten Worte auf dem Sterbebett war: „Warum lassen sie uns nicht nach Hause gehen?“
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