Bei absoluten Notfällen nach Stich- oder Schusswaffenangriffen will die Wiener Berufsrettung künftig vermehrt selbst vor Ort am offenen Herzen behandeln. Das dabei angewendete Verfahren – genannt „Clamshell-Thorakotomie“ – ist hierzulande noch recht neu. Doch oftmals hat der Patient durch diesen Eingriff eine weit größere Chance, zu überleben.
Bei der „Clamshell-Thorakotomie“ wird Patientinnen und Patienten mit Kreislaufstillstand der Brustkorb geöffnet, „um lebensgefährliche Verletzungen notdürftig zu reparieren“, wie Chefarzt Mario Krammel bei einem Hintergrundgespräch skizzierte.
„Wir haben das vor zehn Jahren in Berlin gesehen und uns überlegt, wie wir diese Ausbildung nach Wien bringen können“, sagte Notarzt Krammel, einer der Ideengeber bei der Berufsrettung. Nun sei man so weit, „Clamshell-Thorakotomien“ könnten mittlerweile in der ganzen Hauptstadt bei Bedarf erfolgen.
100 Notärztinnen und Notärzte sowie 80 Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wurden bisher ausgebildet, weitere sollen folgen. Die Berufsrettung sei damit österreichweit Vorreiter. „Wir wagen uns damit an ein Feld, das bisher in der präklinischen Versorgung nicht in dieser Form verbreitet war“, ergänzte ein Sprecher.
Das, was wir hier machen, ist wirklich eine absolute Notfallmaßnahme im Rahmen der Wiederbelebung, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen.
Chefarzt Mario Krammel
Oft entscheiden Sekunden über Leben und Tod
Bei dem Eingriff ist Krammel aber bewusst um Abgrenzung bemüht: „Wir sind keine Chirurginnen und Chirurgen.“ Mit der flächendeckenden Einführung des Eingriffs solle kein Konkurrenzdenken geschürt werden. „Das, was wir hier machen, ist wirklich eine absolute Notfallmaßnahme im Rahmen der Wiederbelebung, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen.“ Denn oft seien Sekunden über Leben oder Tod eines Patienten entscheidend, erklärte Krammel.
„Da bringt halt Herzmassage und Defibrillator nichts“
Erfahrungen aus der Vergangenheit im Rettungswesen hätten gezeigt, dass vor allem akuter Blutverlust, ein Lungenkollaps, Sauerstoffmangel oder eine Blutansammlung im Herzbeutel zu einem – oft letztlich tödlichen – Kreislaufstillstand geführt hätten.
„Und da bringt halt die Herzmassage und der Defibrillator nichts. Wir können unseren Patienten nicht anders helfen – außer mit dieser Notfallmaßnahme, um sie dann schnellstmöglich ins Krankenhaus zu bringen“, so Krammel. „Sie hätten ansonsten keine Überlebenschance.“
Überlebensrate bei 35 Prozent
Er verwies in diesem Zusammenhang auf Studien zur Überlebensrate nach einer „Clamshell-Thorakotomie“ infolge eines Kreislaufstillstands aufgrund einer Herzverletzung. Demnach blieben 35 Prozent der Behandelten aufgrund einer solchen Behandlung am Leben. 2022 sei es darum nach jahrelangen Überlegungen schließlich zum Beginn eines Ausbildungsprojekts für die „Clamshell-Thorakotomie“ gekommen.
Verfahren seit 2023 bereits mehrmals angewendet
Im Jänner 2023 musste die Berufsrettung zum ersten Mal auf die neue Maßnahme zurückgreifen. Ein 60-Jähriger hatte damals in der Kienmayergasse in Penzing lautstark mit einer Schusswaffe an der Tür seines Nachbarn geklopft. Nach einem darauffolgenden Schusswechsel mit der Polizei wurde der Mann von Cobra-Beamten erschossen und verstarb letztlich trotz erfolgter Notfallbehandlung. Insgesamt seien 2023 drei Einsätze mit Clamshell-Thorakotomie gezählt worden. 2024 erfolgten Behandlungen an fünf Personen. Zwei davon überlebten ihre Verletzungen, zuletzt eine junge zweifache Mutter im August 2024 in Wien-Penzing nach lebensgefährlichen Stichverletzungen. „Und genau darum machen wir das.“
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