„Krone“-Interview

Richard Dawson: Ein Mann voller Widersprüche

Musik
21.02.2025 09:00

Wer folkloristische Klänge der schrägen Art mit besonders speziellen Textkonzepten sucht, der ist bei Richard Dawson richtig. Auf seinem neuen Album „End Of The Middle“ besingt der Brite unterschiedliche Generationsthemen aus der Sicht einer fiktiven Familie. Der „Krone“ erzählt er im Gespräch, wie er selbst aus einer dunklen Phase herauskam und warum er den Zugang zu poppigen Strukturen sucht.

Der einfache Weg war noch nie seiner. Richard Dawson ist zeit seiner musikalischen Karriere bekannt dafür, besonders schräg an seine Musik heranzugehen. Eine Albumtrilogie teilte er als loses Konzept zu sozialen Missständen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein, mit der experimentellen Band Hen Ogledd franst er gerne in absurde Klanggegenden aus und sein neuester Streich „End Of The Middle“ ist eine musikalische Werkschau, die sich inhaltlich mit den Veränderungen und Zuständen verschiedener Generationen und Sichtweisen innerhalb einer Familie befasst. Was in der Theorie abgedreht und schwer fassbar klingt, ertönt in der Praxis tatsächlich zugänglicher als so manches, was der 43-jährige Nordbrite in seiner bisherigen Karriere fabriziert hat. Man erinnere sich etwa an sein letztes Werk „The Ruby Cord“ (2022), das mit einem 41-minütigen Song gestartet hat.

Pop als Widerspruch
„Ich wollte ein bisschen weg von meinem bisherigen Weg und mich selbst herausfordern“, erzählt Dawson mit ruhiger Stimme im Zoom-Interview mit der „Krone“, „mir war klar, dass der Sound des Albums nichts mit Popmusik zu tun haben wird, wollte aber so poppig schreiben, wie es mir möglich ist. Einfach ein weiterer Widerspruch in meinem Leben, das voller Widersprüche ist.“ Herkömmlicher Pop wie jener von Daft Punk oder der aufstrebenden Britin Hannah Diamond gefällt Dawson wider Erwarten von außen, aber es sind mehr die Aufnahmen und Klanggebilde als die Songs an sich. „End Of The Middle“ zentriert sich wie kein Album zuvor auf seine Stimme, was mitunter daran liegt, dass er die angesprochenen Generationskonflikte und -unterschiede so steuern konnte. „Es gibt keine reichhaltigen Arrangements oder Instrumente, die die Geschichte tragen. Ich mag den Gedanken der limitierten Farbpalette, aus der man Kunst erschaffen muss. So kriegen die Texte mehr Empathie.“

Storytelling und Musik sind für Dawson keine von sich abgekoppelten Welten, sondern lassen sich ideal miteinander verbinden. Die Geschichte auf dem Album ist keine persönliche, lässt sich thematisch aber nicht von seiner eigenen Lebensrealität entfernen. „Ich bin in einem Alter, wo man sich mit der Sterblichkeit der eigenen Eltern auseinandersetzen muss. Viele Dinge im Leben verändern sich, man bekommt andere Verantwortungen. Ich glaube fest daran, dass man im Laufe seines Lebens mehrere Wiedergeburten durchlebt. Hoffentlich nicht zu viele, aber sicher einige. Wenn einschneidende Dinge in deinem Leben passieren, dann fühlt sich deine Seele verloren und irgendwann wiedergeboren an. Jeder Song ist am Ende ein Puzzle aus eigenen Erlebnissen, Erlebnissen aus meinem Umfeld oder Beobachtungen von außen.“

Konversation als bedrohte Art
Das eigene Älterwerden hat Dawson dazu verleitet, mit seinem gewohnt trockenen britischen Humor auf die verschiedenen Generationsspiralen zu achten. „Wir durchleben unheimlich viele Zyklen. Manchmal sind sie gesünder, manchmal weniger, aber es fällt jedem einzelnen von uns schwer, aus gewissen Mustern und Traditionen auszubrechen, die familiär weitergegeben werden. So habe ich mir als Vorlage eine Familie erwählt, die sich um diese Themen dreht. Um Ausbruch und den Wunsch, Dinge selbst zu erfahren und anders zu machen.“ In Familien wird man hineingeboren, die Freunde sucht man sich aus. Nach diesem Grundsatz ist es nicht immer leicht, im familiären Verband Frieden und Einheit zu verspüren. „Wir hören in unserer Gesellschaft zunehmend, zu diskutieren und uns zu tolerieren. Ich will nicht sagen, dass Konversation ausstirbt, aber sie ist eine bedrohte Art und sehr viele von diesen Dingen beginnen in einer Familie.“

Die angesprochene Mitte im Albumtitel steht für verschiedene Dinge. Wie bei allen Dawson-Alben geht es manchmal ins Nebulöse und schwer Begreifbare. „Ich habe nie in Genres gedacht, diese Limitierung war mir immer fremd. Bei Romanautoren hofft man als Leser immer, dass ihnen was Neues einfällt und sie ihre Geschichten nicht ständig aufwärmen und wiederholen. Bei Musikern hingegen möchten viele immer dasselbe Album hören. Beim Songschreiben versuche ich so gut wie möglich andere musikalische Einflüsse auszublenden und konzentriere mich auf Romane, Kunst und Filme. Ich will immer, dass ein Song auch wirklich meine Idee eines Songs ist.“ Dawson ist ein introvertierter Charakter, der drei Meilen vom Fluss Tyne entfernt nahe Newcastle lebt und fast all seine Ideen in seinem Gartenschuppen niederschreibt. „Schon über meine Musik zu sprechen, fühlt sich für mich nicht so gut an. Ich widme meine Aufmerksamkeit lieber den Gitarrenklängen oder Textzeilen, als der Tatsache, lang und breit darüber zu reden.“

Kein Ende der Mitte
Mit „Nothing Important“, dem Album, das ihm 2014 erstmals eine breitere Aufmerksamkeit bescherte, fiel Dawson aber auch in ein mentales Loch. „Ich habe einen Zeh in die düstere Tiefe gehalten“, erinnert er sich zurück, „ich war mir lange nicht sicher, was der Sinn in meinem Leben sei, und musste mich da erst wieder rausziehen. Ich habe mich zwei Jahre lang fast nur zu Hause eingesperrt und musste aktiv die Entscheidung treffen, Menschen anzurufen, mit ihnen zu reden und wieder Teil der Gesellschaft zu sein. Es war dann so, als würde ich plötzlich wieder Farben erkennen. Diese Zeit wünsche ich niemandem, aber sie hat mir auch viele Erkenntnisse gebracht.“ Mit Mitte 40 hat Dawson auch wieder so etwas wie die Mitte in seinem Leben gefunden. Von wegen „End Of The Middle“ also. Ein weiterer Widerspruch, der den schrägen Richard Dawson so hörenswert macht.

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